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Hebammen legen nach: Honorare zum Heulen?

REUTLINGEN. Reutlingens sieben Familienhebammen haben – wie unlängst berichtet – ihren Dienst quittiert: nachdem Honorarverhandlungen mit dem Jugendamt endgültig gescheitert waren. Vergütung und berufliches Engagement, so ließen sie den GEA wissen, stünden in keinem akzeptablen Verhältnis. Drei, vier Euro mehr, sagen die beiden Freiberuflerinnen Christine Landgraf und Anne Schwendner, müssten schon drin sein, wenn sich die für den psychosozialen Dienst qualifizierten Geburtshelferinnen auch weiterhin über das übliche Maß hinaus um Problemfamilien kümmern sollen.

Gut betreut vom ersten Schrei an? Auf Babys, die in Problemfamilien hineingeboren werden, trifft das oft nicht zu.
Gut betreut vom ersten Schrei an? Auf Babys, die in Problemfamilien hineingeboren werden, trifft das oft nicht zu. Foto: dpa
Gut betreut vom ersten Schrei an? Auf Babys, die in Problemfamilien hineingeboren werden, trifft das oft nicht zu.
Foto: dpa
Die presseöffentliche Antwort vom Landratsamt auf diese Zustandsbeschreibung kam prompt und per Mail in die Redaktion geflattert. Man bedauere die Entscheidung der Hebammen, hieß es darin. Und: Behördlicherseits habe man eine Entlohnung angeboten, die den Empfehlungen des Deutschen Hebammen-Verbandes entspreche. Konkret: Ab März dieses Jahres sollen Geburtshelferinnen für ihren zeitintensiven Einsatz in schwierigen Fällen 45 Euro pro Stunde erhalten. Womit eine Hausnummer genannt wäre. Allerdings eine aus Sicht der Hebammen zu kleine, die offenbar auf veralteten Richtlinien fußt und auf ein Fünf-Punkte-Papier zurückgeht, das vor etwa zehn Jahren verabschiedet und zwischenzeitlich überarbeitet wurde.

Schnee von gestern

Tatsächlich hatte der Deutsche Hebammen-Verband, der sich damals noch Bund Deutscher Hebammen (BDH) nannte, anno 2004 vorgeschlagen, examinierten Geburtshelferinnen mit Zusatzqualifikation zwischen 36 und 45 Euro zuzubilligen. Doch dies, heißt es, sei längst Schnee von gestern. Aktuelle Empfehlungen – sie datieren aus dem September 2011 – sehen jedenfalls eine Vergütung von 60 Euro pro Stunde als »optimales« Honorar vor.

Wovon die Forderungen der Reutlinger Familien-Hebammen übrigens weit entfernt sind. Diese belaufen sich laut Landgraf auf 48 Euro. »Das wäre für uns in Ordnung. Wir wollen wenigstens den gängigen Kassensatz«, also das, was Vertreterinnen der Zunft zusteht, wenn sie einer normalen Hebammentätigkeit nachgehen – von der vorgeburtlichen Beratung übers Wochenbett bis hin zur achtwöchigen Nachsorge. Diese umfasst praktische Tipps und Handreichungen in puncto Stillen und Wickeln, Hygiene, Ernährung und Körperpflege.

Süchte, Schulden, Schläge

In manchen Familien beschränken sich Sorgen und Nöte freilich nicht aufs ausbleibende Bäuerchen oder einen wunden Baby-Popo. Dort sind die Problemlagen deutlich komplexer. Süchte spielen vielfach eine Rolle oder Schulden, Trennungsstress oder Gewalt, mitunter auch das jugendliche Alter von Mutter/Vater. Kurz: Überforderung allenthalben, die durch Hebammen mit Zusatzausbildung erkannt und – wenn’s rund läuft – gebannt werden kann. Idealerweise schon während der Schwangerschaft, etwa im Rahmen von Geburtsvorbereitungskursen.

»Wir sind näher und früher dran als alle anderen Hilfeeinrichtungen«, erläutern Christine Landgraf und Anne Schwendner, weshalb sie und ihre Kolleginnen in kritischen Lagen besonders rasch einzugreifen und zielgerichtet gegenzusteuern imstande sind: Dank eines vor der Niederkunft gewachsenen Vertrauensverhältnisses einerseits, andererseits aber auch dank der intensiven Betreuung eines neuen Erdenbürgers vom ersten Atemzug an, dank Netzwerkarbeit im Rahmen des Programms »Frühe Hilfen« und dem Wissen, wo passgenaue Unterstützung zu kriegen ist.

Dass dies alles nicht mal nebenbei erledigt werden kann, versteht sich von selbst. Doch dass dieser Mehraufwand »nicht adäquat vergütet« (Schwendner) werden soll, empört Reutlingens freiberufliche Familienhebammen, die bei mehreren Verhandlungsgesprächen gegenüber dem Jugendamt klar zum Ausdruck gebracht haben wollen, dass die Behördenseite mit veralteten Zahlen operiert.

Was aber sagt das Landratsamt (LRA) zu den Einlassungen von Landgraf und Schwendner? Was ist dran an der Behauptung, dass Honorarverhandlungen auf Grundlage überholter Empfehlungen geführt wurden? Nun, Recherchen der LRA-Pressestelle münden zunächst in einem Informationswirrwarr. Per Suchmaschine lassen sich die von Reutlingens Familienhebammen vorgelegten Zahlen nämlich nicht aus dem Internet fischen.

Einige Links verweisen auf das gut abgehangene Fünf-Punkte-Papier des Jahres 2004, andere auf eine vom Deutschen Hebammen-Verband überarbeitete Fassung desselben, wonach eine Vergütung zwischen 40 und 60 Euro als angemessen bezeichnet wird. Derweil sich die aktuellste Version des Papiers dem Netz überhaupt nicht entlocken lässt. Jedenfalls nicht von Otto-Normal-User. Denn sie ist in einen passwortgeschützten Bereich eingestellt und nennt einen Stundensatz von 60 Euro.

Beim »Googeln« belassen

Das macht die Angelegenheit kompliziert und führt den Suchenden unweigerlich in die Irre – so er sich auf schiere Internet-Recherche beschränkt, was im Falle des Landratsamts Fakt gewesen sei, wie Christine Landgraf erklärt. Eine Tatsache, die vom Andreas Bauer, Sozialdezernent bei besagter Behörde, mitnichten bestritten wird. Ja, bestätigt er, man habe es beim »Googeln« belassen – weil das Fünf-Punkte-Papier lediglich »Randthema« gewesen sei. Orientiert hätte sich das Amt vielmehr an für den öffentlichen Dienst üblichen Berechnungsschemata, um Vergleichbarkeit mit anderen Beschäftigten zu gewährleisten und eine »rechtlich-inhaltlich vertretbare Lösung« anbieten zu können.

Jahresarbeitsstunden wurden – abzüglich der Wochenenden, Urlaubs-, Krankheits- und Fortbildungstage – kalkuliert, ein Stundensatz von 42,44 Euro ermittelt, der ab März dieses Jahres auf 45 Euro angehoben werden soll. Hinzu käme eine separate Fahrtkostenvergütung von 66 Cent pro Kilometer.

Stellenanzeige geschaltet

Außerdem sei es denkbar, über Nacht- und Wochenendzuschläge zu diskutieren, so Bauer, der sich im Übrigen nicht daran erinnern kann, dass Reutlingens Familienhebammen jemals einen Stundenlohn von 48 Euro gefordert hätten. »Die Rede war von 56 Euro.« Einmal seien auch 52 Euro als Mindestforderung aufs Tapet gebracht worden. »Aber die Zahl 48 ist mir gegenüber nie genannt worden. Sie ist mir neu.«

Apropos neu: Andreas Bauer würde einen neuerlichen Anlauf in Sachen Honorarverhandlung ausdrücklich begrüßen. Die Tür des Landratsamtes, sagt er sinngemäß, stehe den Familienhebammen nach wie vor offen. Denn dem Kreis sei weiterhin an einer einvernehmlichen Lösung gelegen. Parallel dazu hat das Landratsamt jüngst eine Stellenanzeige geschaltet. Befristet auf zwei Jahre wird nach einer Familienhebamme/einem Familienentbindungspfleger gesucht; Grundvergütung nach der Entgeltgruppe S 11/TVöD, was exakt jenem Angebot entspricht, das zuletzt auf dem Verhandlungstisch lag, und Reutlingens sieben freischaffende Hebammen mit Zusatzqualifikation von Selbigem vergrault hat. (GEA)