KREIS REUTLINGEN. Am 1. Februar 2021 wurde Dr. Ulrich Fiedler mit 51 von 62 Stimmen zum neuen Landrat des Kreises Reutlingen gewählt. Er folgte Thomas Reumann nach und trat sein Amt am 1. April 2021 an. Im GEA-Interview spricht er über massive Finanzprobleme und die Zukunft der Klinikstandorte im Kreis. Gibt aber auch Einblicke in sein Privatleben und seine Jugend.
GEA: Sie haben ja lange Zeit Handball gespielt. Was war der Berufswunsch des kleinen Ulrich Fiedler? Profihandballer?
Dr. Ulrich Fiedler: Ich hatte nie einen konkreten Berufswunsch. Handball fand ich schon ziemlich genial, Sport insgesamt. Jura habe ich dann eigentlich aus Verlegenheit studiert, nicht aus Überzeugung. Ich dachte, danach stehen mir viele Berufsfelder offen.
Was haben Ihre Eltern beruflich gemacht? Und ihre Geschwister?
Fiedler: Ich bin bildungsfern aufgewachsen. Mein Vater war Schichtarbeiter in der Automobilzulieferer-Industrie. Meine Mutter hat halbtags als Buchhalterin gearbeitet. Ich habe zwei Geschwister, ich bin der Jüngste. Mein Bruder hat Medizintechnik studiert, meine Schwester ist Textilingenieurin.
Dann haben Sie sich ja alle drei bildunsgtechnisch hochgearbeitet …
Fiedler: Ja absolut. Wir sind Profiteure der Struktur unseres Landes. Ich bin unserer Staatsform sehr dankbar, weil sie Menschen, die aus einfachen Verhältnissen kommen, ermöglicht aufzusteigen.
Jetzt mal Rückblick auf Ihre erste Hälfte als Landrat: Auf was sind Sie besonders stolz?
Fiedler: Darauf, dass es uns gelungen ist, die wichtigen Themen konsequent und innovativ voranzutreiben. Wir haben viel auf den Weg gebracht, was für mich wirklich richtungsweisend für diesen Landkreis ist. Zum Beispiel können wir stolz sein auf die Art und Weise, wie wir das Landratsamt als Organisation weiterentwickeln und umgestalten. Zum einen als modernen Dienstleister für die Menschen, zum anderen als attraktiven Arbeitgeber. Oder das Thema Bildung: Wir stellen im Zuge der regionalen Schulentwicklung jetzt Strukturen auf den Prüfstand, die über viele Jahre entstanden sind. Es ist uns gelungen, das ganze wirklich sehr planvoll und im Austausch mit den relevanten Akteuren auf den Weg zu bringen.
Bedeutet?
Fiedler: Es gibt einen Grundsatzbeschluss der besagt, dass alle vier Standorte unserer Beruflichen Schulen erhalten bleiben. Es sollen Kompetenzzentren gebildet und Doppelungen vermieden werden, um die Ausbildungsqualität zu sichern und nachhaltige Strukturen zu schaffen. Dafür haben wir einen Pfad skizziert, der noch nicht festgelegt, aber sichtbar ist. Also beispielsweise: Fahrzeug-, Metall und Elektrotechnik in Zukunft in Reutlingen zu bündeln.
»Wenn man es nur wirtschaftlich betrachten würde, dann wäre es am sinnvollsten einen neuen Campus auf der grünen Wiese zu bauen«
Was bleibt Metzingen dann noch?
Fiedler: In Metzingen könnten berufliche Gymnasien in den Bereichen Biotechnologie, Ernährung und Sozialwissenschaften entstehen. Das ist der jetzige Gedanke, die jetzige Empfehlung, der Prozess ist aber noch nicht abgeschlossen. Wenn man es nur wirtschaftlich betrachten würde, dann wäre es am sinnvollsten einen neuen Campus auf der grünen Wiese zu bauen. Das passt aber nicht zu unserem auch ländlichen Landkreis und unserer Vorstellung einer wohnortnahen und bedarfsgerechten schulischen Versorgung. Außerdem gehören nach meiner Auffassung Schulen in die Innenstädte. Dort findet das Leben statt, dort gibt es Einkaufs- und Freizeitmöglichkeiten.
Auch beim Thema Gesundheitsversorgung wird gerade ja viel entschieden. Überall ist von einem Klinik-Neubau in Reutlingen die Rede, ein konkreter Beschluss dazu existiert aber noch nicht. Gibt es noch einen Weg zurück zur Sanierung des bestehenden Gebäudes?
Fiedler: Theoretisch ja. Aber praktisch halte ich das für kaum denkbar. Nicht nur, weil es bereits einen Kreistagsbeschluss mit Zielsetzung Klinikneubau gibt. Wir müssen über die stationäre Versorgung hinaus auch präventive und rehabilitative Strukturen an einem Klinikcampus mitdenken. Wie das am Steinenberg möglich sein sollte, kann ich mir nicht vorstellen.
»Selbstverständlich halte ich am Standort Albklinik fest«
Halten Sie am Standort Albklinik in seiner jetzigen Form fest?
Fiedler: Ja selbstverständlich halte ich an diesem Standort fest. Es ist aber wahnsinnig schwierig und unseriös, jetzt eine Antwort auf die Frage zu geben, wie eine Klinik der Zukunft aussehen wird. Mit welchen Disziplinen und Leistungen? Das kann keiner, der derzeit eine Klinik betreibt sagen, weil wir uns mitten in einer Reform befinden. Daran werden wir in den nächsten Monaten und Jahren arbeiten müssen.
Wie sieht der Zeitplan bezüglich Neubau nun aus?
Fiedler: Ich gehe davon aus, dass wir diesbezüglich im Laufe von diesem und nächstem Jahr sehr viel konkreter werden.
Was ja auch wieder auf den Tisch kommen könnte, ist das Thema Stadtkreisgründung. Die Stadt hält sich zumindest die Option offen, es nochmal als Stadtkreis zu versuchen. Was sagen Sie dazu?
Fiedler: Ich glaube, dass wir in der jetzigen Form gute Strukturen haben. Ja, es gibt eine Dysbalance im Bezug darauf, wie die Stadt Reutlingen als Oberzentrum vom Land ausgestattet wird, im Vergleich zu anderen großen Städten, die kreisfrei sind. Aber trotzdem bin ich der Überzeugung, dass es nicht in die Zeit passt, kleinere Einheiten und Doppelstrukturen zu schaffen. Sondern es wird eher zu überlegen sein, ob es sogar einer neuen Verwaltungs- und Gebietsreform bedarf. Vor allem in kleineren Kommunen haben wir mittlerweile Probleme, Stellen überhaupt noch zu besetzen.
Warum haben Sie, vor dem Abbruch der Gespräche, nicht die Landtagsfraktionen einbezogen? Das werfen Ihnen nun Stadt-CDU und Grüne vor.
Fiedler: Da muss man die unterschiedlichen Interessen von Stadt und Kreis betrachten. Aus unserer Sicht haben wir den Auftrag des Landtags mehr als erfüllt.
Thema Finanzen: Können Sie schon sagen, ob der Landkreis einen Nachtragshaushalt aufstellen muss? Dann würde ja auch die Kreisumlage weiter steigen, also das Geld, das die Kommunen an den Kreis geben müssen.
Fiedler: Nein, dazu kann ich noch nichts sagen. Dazu müssen wir erst die Zahlen der Mai-Steuerschätzung abwarten. Aber Fakt ist: Wir werden sicher in unserem Haushalt auch massivste Probleme bekommen, weil es zahlreiche Bereiche gibt, in denen wir für von Bund und Land vorgegebene Pflichten Geld ausgeben, aber nur langsam oder gar nicht die vollständige Erstattung bekommen.
Nennen Sie mal ein Beispiel.
Fiedler: Beispiel Bundesteilhabegesetz. Wir haben Mehraufwendungen von rund 13,5 Millionen Euro. Bisher haben wir dafür nur eine Vorauszahlung in Höhe von 3,4 Millionen bekommen. Stellen Sie sich vor, ein Unternehmer müsste so arbeiten. Dass bei ihm eine Leistung beauftragt wird, er bekommt aber nur einen Bruchteil davon ersetzt. Hier fordern wir vom Land, dass es seiner Verpflichtung deutlich stärker nachkommt. Und das Bundesteilhabegesetz ist nur ein Beispiel … Am Ende wird die Politik erkennen müssen, dass wir uns diese Leistungen von heute in Zukunft nicht mehr leisten werden können. Das ist unmöglich. Wenn Bund und Land das nicht erkennen, gefährdet man irgendwann auch die Demokratie. Weil es so wahnsinnig einfach wird, mit populistischen Phrasen Wahlkampf zu betreiben.
Erhoffen Sie sich von der neuen Regierung eine Besserung der Situation?
Fiedler: Ich gehe davon aus, dass sich Dinge verbessern, weil es keine andere Wahl gibt. Diese Regierung wird erkennen müssen, dass sie Dinge grundlegend ändern muss. Beispiel Bürokratieabbau. Wir haben zu viele Vorschriften. Wir müssen in unserer Gesellschaft wieder dazu kommen, Verantwortung nach unten zu delegieren. Wir müssen den Menschen wieder mehr zutrauen. Wir wissen doch, was wir tun ... Aktuell geht die Vollkasko-Absicherungsmentalität aber beispielsweise so weit, dass Bürgermeisterinnen und Bürgermeister bei manchen Förderungen explizit zusichern müssen, dasss diese Fördermittel nicht für terroristische Zwecke genutzt werden.
Tarifabschluss im Öffentlichen Dienst: Wie viel kostet Sie das als Kreis nun?
Fiedler: Der neue Tarifabschluss wird den Landkreis Reutlingen in den Jahren 2025/26 voraussichtlich rund 3,7 Millionen Euro kosten. Diesen hohen Tarifabschluss halte ich für nicht zeitgemäß. Ich habe den letzten Tarifabschluss befürwortet, der war sehr üppig und völlig gerechtfertigt. Aber jetzt ist die Situation eine andere. Jetzt brauchen wir öffentliche Haushalte, die auch diese schwierige Finanzlage bewältigen können. (GEA)