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Harte Vorwürfe gegen Reutlinger Kreisklinikum

Eine Tochter spricht von »menschenverachtender« Behandlung ihres Vaters im Reutlinger Klinikum am Steinenberg. Von dort kommt eine Entschuldigung.

Angelika Holder zeigt ein Foto ihres todkranken Vaters, der nach ihren Angaben im Klinikum am Steinenberg nicht gut behandelt wo
Angelika Holder zeigt ein Foto ihres todkranken Vaters, der nach ihren Angaben im Klinikum am Steinenberg nicht gut behandelt worden sein soll. Foto: Stephan Zenke
Angelika Holder zeigt ein Foto ihres todkranken Vaters, der nach ihren Angaben im Klinikum am Steinenberg nicht gut behandelt worden sein soll.
Foto: Stephan Zenke

REUTLINGEN. Harte Vorwürfe gegen das Klinikum am Steinenberg erhebt die Tochter eines todkranken Mannes, der mehrere Tage lang Patient des Krankenhauses gewesen ist. Die Behandlung ihres Vaters sei »menschenverachtend« gewesen, sagt Angelika Holder. Sie steht mit ihrem Namen hinter der Kritik, ebenso ihr Papa. Die Kreiskliniken Reutlingen entschuldigen sich in einer Stellungnahme.

Gegenüber dem GEA schildert Holder das Drama wie folgt: Es beginnt mit einer weiteren niederschmetternden Diagnose für einen ohnehin lebensbedrohlich erkrankten Menschen. Matthias Volgmann leidet mit 70 Jahren am Multiplen Myelom (Knochenmarkskrebs). In der Folge ist er körperlich umfassend hilfsbedürftig – sein Geist jedoch hellwach. Pflegestufe vier hat der in Dettingen lebende ehemalige medizinische Bademeister und Masseur. Anfang diesen Jahres überweist sein Hausarzt ihn mit einer akuten Lungenentzündung – auch das noch – ins Krankenhaus. Volgmann erreicht das Klinikum am Steinenberg mit einem Liegendtransport des Deutschen Roten Kreuzes etwa um die Mittagszeit an einem Montag im Januar. »Dann stand er erst mal mit acht anderen Neuzugängen den ganzen Tag auf dem Gang«, beschreibt Angelika Holder den Empfang. Bei der Eingangsuntersuchung kommt eine Corona-Infektion zum Vorschein – der Patient wird deswegen isoliert.

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In so einem Untersuchungszimmer der Station C mit teilweise durchsichtiger Glaswand ohne Sanitäranlagen war der Patient laut seiner Tochter tagelang untergebracht. Foto: Stephan Zenke
In so einem Untersuchungszimmer der Station C mit teilweise durchsichtiger Glaswand ohne Sanitäranlagen war der Patient laut seiner Tochter tagelang untergebracht.
Foto: Stephan Zenke

»Er landete alleine in einem Untersuchungsraum auf der Station C«, erzählt die Tochter weiter, »das war ein Zimmer mit nur teilweise undurchsichtiger Glaswand, also einsehbar. Eine Toilette fehlte, er hat einen Nachtstuhl bekommen«. Der Raum lässt sich auch nicht verdunkeln. Volgmann erhält Infusionen und inhaliert Medikamente, jeden Tag schauen Ärzte bei ihrer Visite vorbei. Die medizinische Behandlung kann und will Angelika Holder weder beurteilen noch kritisieren. Was die ausgebildete Altenpflegerin keinesfalls schweigend hinnehmen möchte, sind die Unterbringung sowie die Betreuung des Patienten.

Während seines gesamten Krankenhausaufenthaltes steht sie in Verbindung mit ihrem Vater, tauscht Textnachrichten und Fotos mit ihm aus. »Er musste von Montag bis Donnerstag in dem Untersuchungszimmer bleiben. Ihm wurde gesagt, es gebe keinen anderen Platz«, erzählt die Mutter von vier Kindern. »Das Essen wurde nur reingestellt, aber er kann nicht selbstständig speisen«, stellt sie fest, »er kann die Gabel zum Mund führen, aber nichts klein schneiden«. Dadurch sei die Nahrungsaufnahme für den pflegebedürftigen Patienten sehr schwierig geworden.

»Essen wurde reingestellt, aber er kann nicht selbstständig speisen«

»Er hat versucht zu essen. Später ist dann auch meine Mutter hin, um ihn zu füttern«, sagt die 36 Jahre junge Frau. Dennoch habe ihr Vater während des Aufenthaltes am Steinenberg »sechs Kilogramm Gewicht verloren«. Dazu müsse man wissen, dass der krebskranke Mann bei einer Körpergröße von 1,67 Metern bereits vor seiner Einlieferung nur noch 58 Kilogramm auf die Waage brachte. Keinerlei Unterstützung habe der hilfsbedürftige Kranke auch erhalten, als er mal auf die Toilette wollte.

»In einer Nacht rief er die Schwester, weil er aufs Klo musste. Dazu muss die Infusion abgehängt werden. Die Schwester sagte zu ihm, das gehe nicht – sie habe noch 40 andere Patienten und ist alleine«. Also half sich der alte Mann selbst, »hat sich die Infusion abgenommen, und ist auf den Nachtstuhl«. Am vierten Tag auf dem Steinenberg – einem Donnerstag – kommt er schließlich gegen 14 Uhr auf das Zimmer 10 der Station C. Der Umzug sei »überfallartig« abgelaufen. Am nächsten Tag wird der Dettinger ins Dreibett-Zimmer 15 geschoben. Nach wie vor wird ihm, berichtet seine Tochter, das Essen nur hingestellt. Erst am Sonntag sei ihm dann erstmals bei der Körperpflege geholfen worden. Außerdem versendet er an diesem Tag eine Textnachricht mit dem Inhalt: »Dank einer lieben Türkin habe ich sogar ein sauberes Bett«. Laut Angelika Holder wurden Laken und Bezüge am Bett ihres Papas erst nach einer ganzen Woche gewechselt. Sie zeigt von ihrer Mutter gemachte Fotos, die Blutflecken und Kotspuren auf dem alten Bettzeug dokumentieren, in dem er tagelang liegen musste. An jenem Sonntag passiert noch mehr.

»Der Leichnam lag die ganze Nacht im Zimmer neben den anderen«

Abends gegen 20.30 Uhr wird, erinnert sich die Tochter, ein offenbar schwer kranker älterer Mann zu ihrem Vater und dem Zimmernachbarn in den Raum geschoben. Dieser Mensch sei nur noch in der Lage gewesen, zu stöhnen. In der Nacht von Montag auf Dienstag verstirbt der dritte Mann im Raum neben den beiden anderen Patienten. »Ohne Sichtschutz, einfach würdelos«, meint Angelika Holder, »der Leichnam lag die ganze Nacht im Zimmer neben den anderen. Die Schwester hat kommentarlos – zack – das Fenster aufgemacht. Einfach so, ohne Kommunikation«.

Nach dieser Nacht kommt am Dienstagmorgen folgende Textnachricht bei Angelika Holder an: »8.40 Uhr, Oberärztin war da. Lunge hört sich gut an, kann nach Hause«. Ihr Vater verlässt das Klinikum am Steinenberg gegen 13 Uhr. Befindet sich jetzt wieder bei seiner Frau und einer Pflegekraft, die ihn rund um die Uhr zu Hause betreuen. Für die Tochter ist der Fall damit nicht erledigt. »Ich habe Verständnis für das überlastete Personal und die Raumnot«, sagt sie, »aber die pflegerische Versorgung von Menschen mit Pflegestufe vier muss gewährleistet sein«. Andernfalls müsse das Kreisklinikum »einen Aufnahmestopp verhängen«. Was Angelika Holder besonders schmerzt, fasst sie in einem Satz zusammen: »Die Menschlichkeit hat gefehlt. Was mein Vater erlebt hat, ist eigentlich menschenverachtend«.

Sie wendet sich schriftlich an Markus Weiß als Leiter der Abteilung für Organisationsentwicklung und Qualitätsmanagement der Kreiskliniken Reutlingen GmbH, wartet noch auf eine Antwort. Eine weitere Mail geht an das Büro des CDU-Bundestagsabgeordneten Michael Donth. Von dort kommt die Versicherung, man werde sich um den Fall kümmern. Auch der GEA wird von ihr mit der sofort aufgenommenen Anregung informiert, »eventuell wäre eine Berichterstattung hierzu sinnvoll«. Auf die Bitte um eine offizielle Stellungnahme antwortet die Pressestelle des Kreisklinikums mit einer ausführlichen E-Mail.

»Wir entschuldigen uns für die entstandenen Unannehmlichkeiten«

Im Hinblick auf den Aufenthalt von Matthias Volgmann »möchten wir Ihnen die Umstände dieser Situation aus unserer Perspektive erläutern und uns gleichzeitig für die entstandenen Unannehmlichkeiten entschuldigen«, schreibt Pressesprecherin Lisa Vitovec. Die Kreiskliniken Reutlingen GmbH bedauerten »die entstandenen Irritationen sehr und hoffen zur Klärung und einem besseren gegenseitigen Verständnis beitragen zu können«.

Aktuell befinde sich das Klinikum »in einer Phase mit sehr hoher Auslastung der Bettenkapazitäten, insbesondere im Bereich der Medizinischen Klinik, bedingt unter anderem durch ein vermehrtes Aufkommen an infektiösen Atemwegserkrankungen (Influenza, Covid). Ein zusätzliches strukturelles Problem liegt in den eingeschränkten Möglichkeiten zur Verlegung entlassfähiger, pflegebedürftiger Patienten, was die bestehende Situation zeitweise erheblich verschärft«, schreibt Vitovec.

Trotz dieser Herausforderungen müssten die Kreiskliniken »selbstverständlich unserem Auftrag einer adäquaten und qualitativ hochwertigen Versorgung unserer Patienten nachkommen und im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten eine menschenwürdige und von Empathie geprägten Betreuung aufrechterhalten. Im vorliegenden Fall wurde dies nur eingeschränkt erreicht«. Die Pressesprecherin betont, »wir haben uns auf der betreffenden Station kundig gemacht und eine Stellungnahme der Leitung des Pflegeteams zur Situation eingeholt. Mit Herrn Volgmann, der rasch in ein reguläres Zimmer verlegt werden und bereits entlassen werden konnte, wurde die Angelegenheit ausführlich besprochen. Zusätzlich hat der Teamleiter der Station angekündigt, die Umstände mit seinem Team zu analysieren und aufzuarbeiten«. Zusammenfassend betont die Kreiskliniken Reutlingen GmbH in ihrer Stellungnahme: »Wir hoffen aufrichtig, dass sich Herr Volgmann weiterhin auf dem Weg der Besserung befindet und wünschen ihm eine rasche Genesung«. (GEA)