REUTLINGEN. »Achtung vor Inbetriebnahme des Mundwerkes - Gehirn einschalten«, beginnt Richter Eberhard Hausch zu begründen, wieso das Schöffengericht am Amtsgericht Reutlingen am Mittwoch einen mutmaßlichen Reutlinger Reichsbürger zu zwei Jahren und neun Monaten Haftstrafe verurteilt hat. Denn der geständige Mann hat monatelang im Internet erheblich mehr als Hass und Hetze verbreitet. Er rief unter anderen zur Geiselnahme von Ministerpräsident Winfried Kretschmann und zum Anzünden des GEA auf. Obendrein verherrlichte er die Schreckensherrschaft Adolf Hitlers und leugnete den Holocaust. Dies alles obschon er bereits wegen ähnlicher Straftaten kurz zuvor verurteilt worden war, weswegen ihm das Gericht weder Reue noch Sinneswandel glauben wollte.
Eine halbe Stunde lang verliest Roman Géronne von der Stuttgarter Staatsanwaltschaft eine Anklageschrift voller schwerwiegender Vorwürfe. Deswegen hat sich auch die Staatsanwaltschaft der Landeshauptstadt des Falles angenommen. Weil der Angeklagte kein Unbekannter für die Justiz ist, haben die Ermittlungsarbeiten sowohl das Polizeipräsidium Reutlingen als auch überwiegend das Landeskriminalamt geleistet. Schon 2022 wurde wegen ähnlicher Vorwürfe gegen den Mann ein Urteil gesprochen. 2023 hat es im Rahmen einer Reichsbürger-Razzia auch Durchsuchungen seinem Altenburger Haus gegeben. Wieso in den jetzt zur Last gelegten Fällen zwischen den Taten und dem Prozess vier Jahre vergangen sind, erklärt Géronne mit dem hohen Verfahrensaufwand: »Wenn man auch digitale Daten auswerten muss, dann dauert das so lange«. Dies gelte gerade dann, »wenn man einen extremistischen Hintergrund vermutet«.
Im Zeitraum zwischen Mai 2021 und März 2022 hat der 61-Jährige, wie er später über seinen Verteidiger Steffen Kazmaier gesteht, auf der Social-Media-Plattform Telegram unter dem Pseudonym »Lümmele« zahlreiche Beiträge veröffentlicht, in denen er zu Gewalttaten gegen mit den Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie beschäftigte Menschen aufrief. Zudem bestellte er Feuerwerkskörper, ohne im Besitz der hierzu erforderlichen Erlaubnis zu sein. Schließlich verleugnete er in einem Interview mit Spiegel TV den Holocaust. Was da im Detail von ihm geschrieben wurde, liefert Géronne gleich mit.
Zahlreiche Äußerungen auf Telegram
Im Mai 2021 verkündet er »bis 2022 ist Klaus Schwab hingerichtet«, womit der Gründer des Weltwirtschaftsforums gemeint ist, der nach dem Irrglauben von Verschwörungserzählern ein Drahtzieher des sogenannten »Great Reset« sei. Wenige Tage später fordert er in einem Telegram-Chat als offensichtlicher Gegner der Schutzmaßnahmen gegen Corona andersdenkende Menschen »ohne Anmeldung einfach umstellen, absichern, wegen kommender Polizei rausholen und fertig. Pro Haus mit 1.000 Mann zu machen. Nacht-und-Nebel-Aktion. Angemeldete Demos sind nutzlos«. In Sachen Impfpflicht für Kinder möchte er »die Verantwortlichen aufhängen! Sofort!«
Ebenfalls auf Telegram äußert er sich zur Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten mit den Worten, »wer die Wahrheit über Hitler und das Dritte Reich kennt weiß, das wir uns für nix schämen müssen«. Im weiteren Verlauf schreibt er zu Massenmorden und Antisemitismus, »es gab keinen Massenmord«. Weiter verbreitet er in diesem Zusammenhang die absurde Lüge, »nur etwa eine Million ermordete deutsche Soldaten in den Rheinwiesenlagern von den Amis ermordet. Diese Bilder wurden als ermordete Juden verkauft«.
In einer auf den August 2021 datierten Sprachnachricht sagt er: »Wieso macht man net ein Landtag platt unter der Woche. Der Landtag in Stuttgart ist so weit außerhalb, bis die Polizei rauffährt geht neu Stund rum und da hat man den Kretschmann schon draußen. Dann ist der im Wald und dann ist der in unserer Hand«. Ein unmissverständlicher Aufruf zur Entführung des Ministerpräsidenten. Im Dezember 2021 textet der Angeklagte in der Chatgruppe »DasSindWir...« nicht nur munter mit, als der GEA als »Lügenpresse« beschimpft und zur Kündigung von Abonnements aufgerufen wird, sondern beteiligt sich mit den Worten »Mit kündigen?? Ha ha besser mit Abfackeln«. Wie solche unverhohlenen Drohungen bei den im GEA arbeitenden Menschen angekommen sind, erzählt als Zeugin eine Redakteurin.
Erdrückende Beweise vor Gericht
»Die Stimmung gegenüber dem GEA wurde immer schlechter«, erinnert sich die junge Frau an die Coronajahre, als Querdenkerdemonstranten teilweise schreiend und trötend am Verlagshaus vorbeigelaufen sind, »und die Stimmung wurde immer aggressiver«. Mit dem Telegram-Beitrag des Angeklagten »hatte das für uns eine neue Stufe erreicht. Da war eine Schwelle überschritten«, sagt die Zeugin. Der GEA stellte Anzeige - ohne damals zu wissen, wie umfangreich der Angeklagte sich auch ansonsten in strafrechtlich bedeutsamer Weise geäußert hatte.
Im Gerichtssaal
Richter: Eberhard Hausch. Schöffen: Pia Heim und Rolf Goller. Staatsanwalt: Roman Géronne. Verteidiger: Steffen Kazmaier.
Angesichts der erdrückenden Beweislast erklärt Verteidiger Steffen Kazmaier für seinen Mandanten, »er räumt jede einzelne Handlung ein. Er bekennt sich schuldig im Sinne der Anklage«. Hintergrund des Verhaltens sei eine schwere Erkrankung der Frau des Angeklagten. »Er war massiv mit der Situation überfordert. Dann kam Corona. Dann die Maßnahmen«. Auf Demonstrationen habe der Mann dann die falschen Menschen kennengelernt, »heute distanziert er sich nachhaltig«, so Kazmaier. Dazu erklärt Richter Eberhard Hausch, dass er den Angeklagten bereits von einem Prozess Anfang 2022 kenne, wo er verurteilt wurde. Damals hatte er bereits Besserung gelobt. Viele der nun angeklagten Taten geschahen allerdings danach. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. (GEA)