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Aktuell Reutlingen

Grün sieht mit Rot weniger schwarz

REUTLINGEN. Die Jagd auf Macht ist eröffnet. Von den 598 Abgeordneten des Deutschen Bundestags, deren Zahl am Wahlsonntag, 27. September, durch Überhangmandate höher sein wird, werden 299 in den Wahlkreisen direkt gewählt. Neunzehn Wahlvorschläge für den Kreis Reutlingen decken das gesamte politische Spektrum ab von Schwarz über Rot, Gelb und Grün bis Braun und Tiefrot mit Marxisten-Leninisten. Die Wahl-Erfahrungen im Kreis Reutlingen lassen erwarten, dass der Reutlinger CDU-Abgeordnete Ernst-Reinhard Beck, 64, mit dem einzigen Direktmandat seine Arbeit in Berlin fortsetzt.

Als sicher gilt, dass auch die 49-jährige Diplom-Pädagogin Beate Müller-Gemmeke aus Pliezhausen auf Platz fünf der Landesliste mit dem Zweitstimmen-Ergebnis der Grünen im neuen Bundestag mitsprechen wird. Setzt die FDP, die nur mit Schwarz kooperieren will und eine Ampelkoalition ausschließt, den Höhenflug 2009 auch bei der Bundestagswahl fort und erreicht sie über 14 Prozent, könnte auch der 38-jährige Reutlinger Pfarrer Pascal Kober auf Platz 13 der liberalen Landesliste zum Zug kommen.

Kaum eine Perspektive, auf dem direkten oder dem Überhang-Weg zum politischen Mandat in Berlin zu kommen, hat nach den Ergebnissen seiner Partei 2009 bei Europa-, Landtags- und Kommunalwahlen der SPD-Bewerber. Der Reutlinger Sebastian Weigle, 31, Fachangestellter für Altersvorsorge, hat auf der Landesliste Platz 26. Derzeit ist Baden-Württemberg in Berlin mit 23 SPD-Abgeordneten vertreten: vier direkt (Freiburg, Lörrach, Mannheim, Stuttgart) und 19 über die Landesliste Gewählten.

Flucht nach vorn

Die SPD-Ergebnisse bei Wahlen und Umfragen in diesem Jahr verheißen nicht Auf-, sondern Abstieg. In dieser Situation ist Flucht nach vorn angesagt. Jetzt bekennen die Beteiligten Farbe: Grün sieht mit Rot weniger schwarz und gibt den Wählern die Empfehlung »Wer Schwarz-Gelb verhindern will, muss Rot-Grün stärken.« Das ist der Kern eines gemeinsamen Wahlaufrufs, den Müller-Gemmeke und Weigle am Donnerstag veröffentlicht haben. Müller-Gemmeke empfiehlt sogar, die Erststimme Weigle zu geben. Weigle: Als SPD-Direktkandidat werbe er um die Erststimme. Beide stünden für Rot-Grün mit der Absicht, »Deutschland sozial und ökologisch zu erneuern«. »Ich freue mich deshalb auch über ein gutes Zweitstimmen-Ergebnis der Grünen«, so Weigle im Wortlaut.

Müller-Gemmeke ihrerseits im Blick auf ihre Chance, durch die Zweitstimme für die Partei über die Landesliste in den Bundestag einzuziehen, malt den schwarz-gelben Teufel an die Wand, dass CDU/CSU und Liberale »durch Überhangmandate eine zweifelhafte Mehrheit gewinnen.« Zwei Stimmen hat am Sonntag jeder Wähler - die Zweitstimme für die Partei, der er im Bundestag den Vorzug gibt, vielleicht noch bekräftigt durch die Erststimme für die gleiche Partei, mit der er so oder so deutlich macht, welchen Politiker er in seinem Wahlkreis will.

»Um die Erststimme kämpfen alle Kandidaten, auch wenn sie auf der Landesliste gut abgesichert sind«, verdeutlicht der Tübinger/Reutlinger Politikwissenschaftler Professor Hans-Georg Wehling: Das Ausmaß der Erststimmen, vor allem auch über die Zahl der Zweitstimmen hinaus, sei ein Prestigegewinn, der für die weitere politische Karriere genutzt werden kann.

Beck besser als die CDU

Bestes Beispiel Reutlingen: Der christdemokratische Bundestagsabgeordnete Ernst-Reinhard Beck hat 2005 mit seinem Anteil von 49,1 Prozent (75 189) die eigene Partei weit hinter sich gelassen: Sie war im Wahlkreis Reutlingen mit dem Zweitstimmen-Ergebnis auf 38,4 Prozent abgerutscht, als CDU/CSU insgesamt auf Bundesebene auf 35,2 Prozent.

Der sozialdemokratische Konkurrent Sebastian Weigle hatte vor vier Jahren beachtliche 32,5 Prozent für sich geholt, seine SPD bei den Zweitstimmen 29,6 Prozent. Die Grünen erreichten bei den Erststimmen 7,8 Prozent, bei den Zweitstimmen 10,6, die Liberalen 5,4 Prozent der Erststimmen und 13,7 Prozent der Zweitstimmen, die Linke 3,3 Prozent Erst- und 3,5 Prozent Zweitstimmen, die NPD, auch diesmal wieder im Rennen, 1,6 beziehungsweise 1,1 Prozent. (GEA)