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Aktuell Mutscheltag

»Gewisse Renaissance« erkennbar

REUTLINGEN. In der Backstube von Hans Wucherer herrscht Hochbetrieb: Der Chef in höchsteigener Person walkt, knetet und formt. Der Mutscheltag steht bevor. »Da musst du dich schon ranhalten, wenn du am Tag ein paar hundert Stück machen musst«, sagt er, während er eine große Mutschel mit vierzig Zentimeter Durchmesser mit den letzten Verzierungen versieht.

Mutscheln Herstellung Januar 2011
Der Tradition verpflichtet: Hans Wucherer mit seinen Mutscheln. Foto: Uschi Pacher
Der Tradition verpflichtet: Hans Wucherer mit seinen Mutscheln.
Foto: Uschi Pacher
Den Reutlinger Mutscheltag soll es schon seit dem 14. Jahrhundert geben, aber noch nie organisiert. Man(n) ging selbstverständlich am 1. Donnerstag nach dem »Öbersten«, dem Dreikönigstag, zum Mutscheln. Eine echte Reutlinger Tradition. Auch wenn Wucherer eine »gewisse Renaissance« konstatiert, ist es seiner Beobachtung nach insgesamt doch weniger geworden. Dies auch deswegen, weil in den Lokalen der Stadt nicht mehr so viel gemutschtelt werde.

Mit Milch und Butter

Wucherer sollte es wissen. Seit 32 Jahren steht er in der Backstube, seit 20 Jahren führt er das Geschäft an der Wilhelmstraße und dies mittlerweile in der x-ten Generation, sind doch die Wucherers nachweisbar seit 1688 Bäcker. Er produziert das mürbe, aus einem mit Milch und Butter aufgeschlagenen Hefeteig gefertigte Gebäck in fünf verschiedenen Varianten von 12 bis 40 Zentimeter Durchmesser. Am bestern verkaufen sich die kleinen Mutscheln. »Die werden so nebenher gegessen«, sagt Wucherer, die Großen werden ausgemutschelt. Und die fertigt er auch nur auf Bestellung. Sie wiegen immerhin 1,4 Kilo.

Mit dem Verkauf der Mutscheln beginnt er am 1. Advent. »Nicht vorher«, unterstreicht der Bäckermeister. Einiges verkauft wird auch um Silvester herum und dann natürlich vor dem Mutscheltag. »Beim Opa war das Mutschelbacken noch ein großes Geheimnis«, erzählt Wucherer, »da wurde noch die Tür abgeschlossen und das Rezept hätte er niemals verraten«. Auch musste die ganze Familie mithelfen, der Enkel natürlich eingeschlossen.

So viel wie in früheren Zeiten ist am Mutscheltag in Reutlingen zwar nicht mehr geboten. Doch in zahlreichen Lokalen der Stadt wird auch diesmal wieder um das schmackhafte Gebäck gewürfelt. "Der Wächter bläst vom Turm", Nacket's Luisle" oder "Langer Entenschiss" heißen die launigen Würfelspiele. Zentrum ist einmal mehr die "Uhlandhöhe", wo sich allein 20 Gruppen, darunter auch der Gemeinderat, angemeldet, haben. "Wir sind komplett ausgebucht", sagte die Wirtin auf Anfrage.

Wie einer Presseankündigung der Linken zu entnehmen ist, wollen auch diese sich »ganz unpolitisch« im Café Nepomuk treffen. Originalton: »Die mitgebrachten Mutscheln werden nicht durch Beschluss vergesellschaftet, sondern nach Würfelglück verteilt.« (GEA)