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Gewalttätige Beziehung in Reutlingen: Polizisten sagen aus - Richter im Zeugenstand

Regelmäßig hatten Reutlinger Polizeibeamte mit einem Paar zu tun, dessen Beziehung von Gewalt geprägt war. Acht von ihnen sagten am Donnerstag vor Gericht aus. Außerdem wurde Richter Sierk Hamann in den Zeugenstand gerufen.

Justitia an der Fassade des Amtsgerichts Reutlingen.
Justitia an der Fassade des Amtsgerichts Reutlingen. Foto: Zenke
Justitia an der Fassade des Amtsgerichts Reutlingen.
Foto: Zenke

REUTLINGEN. Seit Januar zieht sich die Verhandlung gegen einen 41-jährigen Reutlinger wegen gefährlicher Körperverletzung seiner Freundin hin. Die »inständige Hoffnung« von Richter Eberhard Hausch, »einen Knopf an die Sache machen zu können«, zerschlug sich aber auch am Verhandlungstag am Donnerstag. Eine Vielzahl von Zeugen war geladen worden - darunter allein acht Reutlinger Polizeibeamte, die immer wieder zu dem Paar gerufen worden waren, weil es zu Streit und Handgreiflichkeiten gekommen war. Direkt beobachtet hatte keiner einen Übergriff - Blessuren waren allerdings oft deutlich erkennbar, vor allem bei der Frau, manchmal auch beim Angeklagten.

Die zuständige Sachbearbeiterin für häusliche Gewalt sagte erneut aus - sie saß bereits an einem früheren Verhandlungstag im Zeugenstand. Sie sei erstmals mit der Geschädigten in Kontakt gekommen, als dieser bei einem Streit die Fingerkuppe von einer zuschlagenden Tür abgetrennt worden war. Danach kam die Frau öfter zu der Beamtin, die am Ende auch für die Inhaftnahme des Angeklagten sorgte. Die Beziehung des Paares sei »toxisch« gewesen, sagte die Polizistin vor Gericht aus, zudem geprägt von Alkohol- und Drogenkonsum, zumindest von Seiten des Opfers. Die Geschädigte, die seit vielen Jahren unter einer Suchterkrankung leidet, sei ihrem Partner absolut hörig gewesen. Immer wieder wurde sie misshandelt, auch der Verdacht auf sexuelle Übergriffe stand mehrfach im Raum. Doch konkrete Angaben dazu hatte das Opfer stets vermieden.

So manches Mal hatte sie klare Momente, in denen sie ihre Situation erkannt habe, so die Beamtin, aber dann auch wieder unschöne Episoden, in denen sie komplett verwirrt war. Nach der Verhaftung ihres Ex-Partners stürzte sie komplett ab, wurde immer wieder im Drogen- und Alkoholrausch von der Polizei aufgegriffen. Dabei leistete sie Widerstand und wurde auch beim Stehlen erwischt - derzeit sitzt sie in Untersuchungshaft.

Auf einem Auge erblindet

Erst im Juni 2023 habe die Frau endgültig beschlossen, den Angeklagten anzuzeigen, berichtete die Beamtin. Damals stand fest, dass sie auf einem Auge erblindet war - immer wieder habe er gezielt zugeschlagen, bis sich die Netzhaut ablöste. Dies habe das Opfer mit Fotos belegen können, zudem gibt es einen ärztlichen Bericht von der Augenklinik. Die angekündigte Anzeige zog sie dennoch kurzfristig zurück, sie sagte damals der Polizei, dass der Angeklagte ihr gedroht habe, »sie auch noch auf dem anderen Auge blind zu schlagen«.

Ein weiterer Zeuge, den der Angeklagte während seiner Haftzeit kennengelernt hat, wurde in Handschellen vorgeführt. Der Mann hat eine Zeit lang bei der Nebenklägerin gewohnt und er sagte aus, dass es Gerüchte gebe, nach denen die Frau erblindet sei, da sie sich Kokain in den Hals gespritzt habe. Allerdings würde eine Überdosis eher zu einem erhöhten Augeninnendruck und einem grünen Star führen, so die Aussage des anwesenden Mediziners Dr. Hubertus Friederich.

Richter im Zeugenstand

Richter Eberhard Hausch rief an diesem Verhandlungstag auch seinen Kollegen Sierk Hamann in den Zeugenstand, der als Ermittlungsrichter mit dem Fall betraut war. Dabei ging es vor allem um die Zeugenaussagen der Geschädigten, die ihn ratlos zurückgelassen habe, sagte Hamann. Sie habe eine schwierige Biografie und es habe viele Vorfälle mit Betäubungsmitteln gegeben, was oft wohl dazu führe, dass ihr die Polizei nicht glaube. Darum scheue sie eher vor Angaben zurück. Im Gespräch mit ihm habe sie sich jedoch viel Mühe gegeben. »Sie war sehr orientiert und bemühte sich, ehrlich zu sein«, so Hamanns Einschätzung. Weder wollte sie den Angeklagten belasten, noch ging es ihr darum, eine Tat zu erfinden, betonte Hamann. Ganz im Gegenteil: »Ich hatte den Eindruck, dass da noch viel Schlimmeres passiert ist«.

Inwieweit der Angeklagte unter Drogen- oder Alkoholeinfluss stand, als er gewalttätig wurde, lässt sich nicht nachweisen. Eine telefonische Rückfrage bei dem Arzt, der dem Angeklagten Ersatzstoffe für seine langjährige Drogenabhängigkeit verschrieben hatte, ergab jedoch, dass in den Monaten vor der Tat öfters Substanzen in den unangekündigten Proben gefunden wurden. Laut dem medizinischen Gutachter Dr. Friederich ist er dennoch schuldfähig. Die Haft wurde bis zur Urteilsverkündung, die nach den Plädoyers am 29. Juni stattfinden soll, aufgehoben. Es bestehe weder Flucht-, noch Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr, waren sich die Verfahrensbeteiligten einig. (GEA)

Im Gerichtssaal

Richter: Eberhard Hausch, Schöffen: Karin Bachleitner und Thomas Hirsch. Verteidiger: Hans-Christoph Geprägs. Staatsanwalt: David Schwarz. Nebenklage-Vertreter: Steffen Kazmaier. Medizinischer Gutachter: Dr. Hubertus Friederich.