REUTLINGEN. Es betrifft fast jeden, aber kaum einer regt sich darüber auf. Es geht um einen geplanten Erlass des Bundesfinanzministeriums nach dem bestimmte Kurse der Volkshochschulen (VHS) in Zukunft mehrwertsteuerpflichtig sein könnten. Dies empört Ulrich Bausch als Geschäftsführer der VHS Reutlingen. Bislang sei Bildung in Deutschland ein umsatzsteuerfreies Allgemeingut, und das solle auch so bleiben. Sollte das Vorhaben umgesetzt werden, bedroht für Bausch ein Bürokratiemonster die Bildung - und mehr.
Wurzel des Übels ist laut Bausch im besten Einvernehmen mit dem Deutschen Volkshochschul-Verband (DVV) ein geplanter Umsatzsteuer-Anwendungserlass im Rahmen einer Anpassung an das Europarecht. Mit dem vorliegenden Entwurf werde die Umsatzsteuerbefreiung für Bildungsleistungen weder durch das Gesetz noch durch die Rechtsprechung geforderter Weise auf berufliche Bildung eingegrenzt. Für den Deutschen Volkshochschul-Verband »entsteht der Eindruck, dass Angebote der Allgemeinbildung gerade nur dann (von der Steuerbefreiung, Anmerkung der Redaktion) umfasst sein sollen, wenn sie einen direkten Bezug zu einem Beruf oder der Berufswahl haben«. Was das bedeuten würde, müsse man sich praktisch vorstellen, sagt Bausch.
In einem Französischkurs sitzen der Vertriebsmitarbeiter und der Rentner friedlich nebeneinander. Der eine braucht die Sprachkenntnisse für seinen Job, der andere würde gerne im Urlaub mehr verstehen. Mit der Neuregelung würden sie unterschiedlich besteuert. »Das klingt für den Laien verständlich, ist aber absurd. Wer definiert, was berufliche Bildung ist«, meint Bausch als einer von vielen Gegnern der Pläne.
»Zwischen beruflicher und freizeitorientierter Bildung zu unterscheiden, das geht nicht«, betont der Reutlinger VHS-Geschäftsführer. Gleichzeitig weist er auf dramatische Konsequenzen für seine Organisation hin. »Niemand hat daran gedacht, was für ein bürokratisches Monster herauskommt«, wundert er sich, »wir müssten eine Art Steuerverwaltung in der VHS aufbauen«. Etwa jeden bei der Kursbuchung fragen, wozu ein Mensch dies oder das lernen wolle.
»Wir müssten im Einzelfall prüfen, warum jemand einen Kurs besucht. Und wir hätten unterschiedliche Steuersätze in einem Klassenzimmer«, warnt Bausch. Das führe zu gewaltiger Mehrarbeit, koste massiv Geld, werde das Angebot der VHS zwangsläufig verteuern. Die Abgrenzung zwischen Bildungsleistungen und Leistungen, die der bloßen Freizeitgestaltung dienen, »erfolgt ausschließlich über das Kriterium Berufsnützlichkeit. Hierin ist eine unzulässige Einschränkung des Bildungsbegriffes zu sehen«, betont der DVV. Für den Reutlinger Sozialdemokraten ist das der eigentlich gefährliche Kern dessen, was das Finanzministerium umsetzen könnte.
»Das Finanzministerium versucht, durch die Hintertür einen neuen Bildungsbegriff zu etablieren. Die Idee dahinter: Bildung müsse sich lohnen - und zwar ökonomisch. Was keinen unmittelbaren Nutzen für den Arbeitsmarkt hat, scheint nicht mehr als wertvoll zu gelten«, bedauert Bausch. Dies sei ein direkter Angriff auf das humboldtsche Bildungsideal. Die Volkshochschulen stünden wie keine andere Bildungsinstitution in Deutschland in der Tradition des Gelehrten Wilhelm von Humboldt. Der verstand Bildung als Selbstzweck, nicht als Werkzeug für die Wirtschaft. Humboldts Ziel war der gebildete Mensch, nicht der nützliche.
Viele vermeintlich »nutzlosen« Kenntnisse könnten beruflich wichtig werden. So hätten ihm Manager zurückgemeldet, dass Ingenieure nach dem Besuch von kreativen Kursen einen erheblich besseren Job machten. Statt über die Besteuerung von Bildung nachzudenken, solle die Bundesregierung lieber mehr Geld für die Volksbildung bereitstellen. Der Streit um die Pläne ist, so Bausch, in vollem Gange. Das Ergebnis sei noch offen, »keiner weiß es. Die Verhandlungen laufen«. (GEA)