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Gefühlte Sicherheit: Geht in Reutlingen die Angst um?

Laut einer Studie des Instituts für Kriminologische Forschung Baden-Württemberg fühlt sich im Ländle fast jeder zweite Einwohner unwohl, wenn er nachts alleine auf der Straße unterwegs ist. Gilt das auch für Reutlingen?

Löst mitunter mulmige Gefühle aus: die Wilhelmstraße bei Nacht.
Löst mitunter mulmige Gefühle aus: die Wilhelmstraße bei Nacht. Foto: Niethammer Markus
Löst mitunter mulmige Gefühle aus: die Wilhelmstraße bei Nacht.
Foto: Niethammer Markus

REUTLINGEN. Dass die objektive Sicherheitslage einer Stadt und die subjektiv-empfundene ihrer Bürger nicht zwingend miteinander harmonieren müssen, ist bekannt. Bestätigt wird dies jetzt einmal mehr von den Ergebnissen einer repräsentative Studie des Instituts für Kriminologische Forschung Baden-Württemberg. Danach beschleicht im Ländle fast jeden zweiten Einwohner ein mulmiges Gefühl, wenn er nach Sonnenuntergang alleine auf der Straße unterwegs ist. 

Die Angst davor, Opfer eines Verbrechens zu werden, ist demnach für knapp 50 Prozent der Baden-Württemberger eine nächtliche Weggefährtin. Ob das auch für die Reutlinger gilt? Der GEA hat sich in Planie und Wilhelmstraße umgehört und Passanten auf ihr subjektives Sicherheitsempfinden angesprochen.

»Wo kommen wir denn da hin, wenn ich aus lauter Angst, überfallen zu werden, nur noch zu Hause sitze? - Ingeborg Ziegler«

»Angst? Nein, die kenne ich nicht«, erklärt Ingeborg Ziegler. Was jedoch auch daran liegen könnte, »dass ich«, wie sie augenzwinkernd sagt, »mit meinen 80 Jahren nachts nicht mehr so intensiv um die Häuser ziehe«. Aber auch tagsüber verspürt die Reutlingerin kein Missbehagen, wenn sie durch die Stadt bummelt; obschon »Trickbetrügereien oder Raubdelikte ja oft am helllichten Tag passieren«. Davon lasse sich die Seniorin jedoch nicht einschüchtern. »Wo kommen wir denn da hin, wenn ich aus lauter Angst, überfallen zu werden, nur noch zu Hause sitze?« Mal ganz davon abgesehen, dass »ich auch in jungen Jahren kein verhuschtes Häsle war. Bammel ist mir eher fremd. Ich habe allerdings zeit meines Lebens Glück gehabt und keine schlechten Erfahrungen machen müssen.«

»Ich bin noch nie bedroht worden oder habe mich bedroht gefühlt - Peter Gessler«

Was auch auf Peter Gessler zutrifft. »Ich bin noch nie bedroht worden oder habe mich bedroht gefühlt«, so der 67-Jährige, der sich in Reutlingen generell sehr sicher fühlt. Wobei es für ihn dennoch eine Ausnahme von dieser Regel gibt. »Der kleinen Park beim Bahnhof ist mir ehrlich gestanden nicht ganz geheuer. Dort halten sich schon ziemlich zwielichtige Typen auf. Denen traue ich vieles zu, bloß nichts Gutes.«

»Ich denke diesbezüglich an Bahnreisende, die zu später Stunde in Reutlingen ankommen - Franziska Schuster-Münz«

Überhaupt ist es die von Gessler genannte Grünanlage zwischen Friedrich-List-Denkmal und Bahnhofsentrée, die ein angstbesetzter Raum zu sein scheint. Auf »gruselige Orte« angesprochen, nennen zahlreiche Passanten eben dieses grüne Lüngle. So auch Franziska Schuster-Münz, die »wegen der dort rumlungernden Gestalten« eine Videoüberwachung des Terrains begrüßen würde. »Ich denke diesbezüglich nicht zuletzt an Bahnreisende, die zu später Stunde in Reutlingen ankommen und es bestimmt unangenehm finden, an diesem Park vorbeigehen zu müssen. Aber vielleicht täusche ich mich ja total, und die Leute, die sich dort aufhalten, sind im Grunde genommen harmlos.«

»In der Gruppe ist es okay. Die bietet Schutz - Mirtill Miszneder und Sarah Gauckel«

Missbehagen lösen sie trotzdem aus. Bei Schuster-Münz ebenso wie bei Mirtill Miszneder (19) und Sarah Gauckel (18). Beide halten die Sicherheitslage in Reutlingen zwar prinzipiell für gut, beide möchten abends aber trotzdem nicht allein unterwegs sein. »In der Gruppe ist es okay«, sagen sie. »Die bietet Schutz« - vor potenziellen Straftätern einerseits und vor »doofer Anmache« andererseits.

»Reutlingen ist meilenweit davon entfernt, ein Klein-Chicago zu sein - Sebastian Jung«

Und wie schätzt Sebastian Jung die Sicherheitslage in der Achalmstadt ein? »Ich bewerte sie positiv. Reutlingen ist meilenweit davon entfernt, ein Klein-Chicago zu sein.« Dass sich dennoch viele Menschen unsicher fühlen, ist für den Nürtinger ein »Ausdruck diffuser Ängste, die nichts mit der Realität vor der eigenen Haustür zu tun haben«. Konkret: »Weltweite Krisen, Kriege und Konflikte drücken unwillkürlich auf die Psyche und machen anfällig für Angst. Schreckliche Taten wie die in Magdeburg und Aschaffenburg werden unbewusst auf andere Orte übertragen. Denn Aschaffenburg könnte ja theoretisch überall sein.« Außerdem vermutet der 27-Jährige, »dass es da einen gesellschaftlichen Trend gibt, Einzeltaten zu pauschalisieren. Ich will das mal so sagen: Irgendwo läuft ein Flüchtling Amok und – zack – stehen bei zahlreichen Leuten plötzlich alle Flüchtlinge unter Generalverdacht und werden misstrauisch beäugt.« 

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Laut einer Befragung fühlen sich viele Bürger im Land nachts nicht sicher.

19%
11%
70%
»Ich wünsche mir deutlich mehr Polizeipräsenz - Cemali Yurdakul«

Eine Einschätzung, die Cemali Yurdakul nicht kommentieren möchte. Selbst nahe einer Asylunterkunft wohnend, ist er auf seine Nachbarschaft nämlich alles andere als gut zu sprechen - »aus schlechter Erfahrung heraus«, wie der Reutlinger betont. Er beklagt »Lärm und verbale Anmache«, die bei ihm mulmige Gefühle auslösen. Beides nehme zu, aber die Polizei kümmere sich zu wenig, sage »was sollen wir da machen?«. »Ich wünsche mir mehr Polizeipräsenz«, so Yurdakul. Denn die wäre seinem Sicherheitsempfinden und dem seiner Familie zuträglich.

»Wenn Menschen hinschauen ist das viel besser als flächendeckende Videoüberwachung - Leonor Silva«

Derweil Leonor Silva weder mehr Polizei noch Videokameras haben möchte. »Ja«, gibt sie zu, »in manchen Ecken Reutlingens, zum Beispiel im Bereich des Alten Busbahnhofs, fühle ich mich bei Dunkelheit unwohl. Aber ein Überwachungsstaat ist für mich trotzdem keine Lösung.« Statt patrouillierender Ordnungskräfte und Streifenwagenbesatzungen wünscht sich die 34-Jährige mehr Zivilcourage und gegenseitige Aufmerksamkeit. »In einer Gesellschaft, in der einer auf den anderen achtet, hat Angst keine Chance den Alltag zu überschatten«, ist sie überzeugt. »Wenn Menschen hinschauen, ist das viel besser als flächendeckende Videoüberwachung.«

»Hier habe ich keine Angst. Wissen Sie, ich komme aus der Ukraine - Sveta«

Das findet auch Sveta, die Kameras zwar nicht grundsätzlich ablehnt, eine derartige Überwachung aber nur in »regulierter Form« akzeptiert. Sinnvoll fände sie die 26-Jährige, wenn an bekannten Angst-Orten »SOS-Punkte« (Notrufsäulen) eingerichtet würden. Wobei für Sveta Reutlingen »voll sicher« ist. »Hier habe ich keine Angst. Wissen Sie, ich komme aus der Ukraine …« (GEA)