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Aktuell Immobilien

Gebäude, die sich die Kirchen in der Region noch leisten

Die Kirchenbänke werden leerer, ebenso sinken die Kirchensteuereinnahmen. Das hat auch Folgen für den kirchlichen Immobilienbesitz. Die Dekane aus dem Kreis Reutlingen sprechen über die Lage in ihren Kirchenbezirken, wie es weitergehen soll, aber auch darüber, dass Kirche mehr ist als ein Gebäude.

Ein gelungenes Beispiel für eine Umnutzung: Aus der Christuskirche wird ein Diakonisches Zentrum.
Ein gelungenes Beispiel für eine Umnutzung: Aus der Christuskirche wird ein Diakonisches Zentrum. Foto: Archiv/Zenke
Ein gelungenes Beispiel für eine Umnutzung: Aus der Christuskirche wird ein Diakonisches Zentrum.
Foto: Archiv/Zenke

KREIS REUTLINGEN. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Hatte die evangelische Kirche im Kirchenbezirk Reutlingen im Jahr 1994 noch mehr als 82.000 Mitglieder, sind es heute noch gut 53.500. Ein wenig besser ist es im ländlich geprägten evangelischen Kirchenbezirk Bad Urach-Münsingen: »Unser Mitgliederrückgang ist nicht ganz so stark«, sagt Dekan Michael Karwounopoulos, wobei auch die Zahlen auf dem Land stetig und linear nach unten gehen. Ähnlich düster ist die Lage in der katholischen Kirche: Die Diözese Rottenburg verliert jedes Jahr rund 40.000 Mitglieder.

Auch finanziell hat dieser Mitgliederschwund für die Kirchen Folgen: Die Kirchensteuer wird weniger, hinzu kommen Rezession und Inflation. Auf der anderen Seite besitzen die Kirchen etliche Immobilien, die wahnsinnig viel Kapital binden, ohne dass sie auch nur annähernd ausgelastet sind. Oft findet nur noch eine kleine Zahl an Gläubigen den Weg in den Gottesdienst, Pfarr- und Gemeindehäuser sind aufgrund von Personalkürzungen oder Vakanzen verwaist oder nur wenig genutzt.

Infrastruktur muss angepasst werden

Raphael Steur, Projektmanager der Diözese Rottenburg, spricht von einer jährlichen Unterdeckung, die bis zu 65 Millionen Euro beträgt. Bisher könne das Minus aus den Rücklagen gedeckt werden, aber das ist natürlich keine Dauerlösung. »Die Kirchen müssen ihre Infrastruktur an die Ressourcen anpassen«, erklärt der evangelische Reutlinger Dekan Marcus Keinath. Denn auch in der evangelischen Kirche gibt es Berechnungen, wie hoch der Abmangel für ihre Besitztümer ist. Hinzu kommen Investitionskosten für die Klimaneutralität, die beide Kirchen bis 2040 in ihren Gebäuden umsetzen wollen.

Das Karl-Hartenstein-Gemeindehaus der evangengelischen Kirche Bad Urach und Seeburg ist verkauft worden.
Das Karl-Hartenstein-Gemeindehaus der evangengelischen Kirche Bad Urach und Seeburg ist verkauft worden. Foto: Archiv
Das Karl-Hartenstein-Gemeindehaus der evangengelischen Kirche Bad Urach und Seeburg ist verkauft worden.
Foto: Archiv

»Oikos« und »Räume für eine Kirche der Zukunft«

Beide Konfessionen haben (zeitgleich, aber unabhängig voneinander) ein Programm aufgelegt - »Oikos« heißt es in der evangelischen Landeskirche, »Räume für eine Kirche der Zukunft« in der Katholischen. Das Ziel ist annähernd identisch: Die Immobilien werden bewertet, um den Kirchengemeinden und Bezirken (sie sind meist die Besitzer) belastungsfähige Kriterien für deren Entscheidungen an die Hand zu geben, welche Gebäude auch künftig in Kirchenbesitz bleiben und welche nicht. 2035 will die Diözese Rottenburg mit dem Projekt fertig sein. »Der Zeitplan ist sportlich«, sagt Projektmanager Steur, aber machbar. »Noch haben wir die Kraft, es in die Hand zu nehmen«, ist er überzeugt - darum wollen sie schnell handeln.

Dekanatsbezirk Reutlingen im Wandel

Der Dekanatsbezirk Reutlingen hat sich bereits vor Jahren auf diesen Weg begeben, berichtet Dekan Marcus Keinath. Zugunsten der Sanierung und Erweiterung des Matthäus-Alber-Hauses verzichtete man beispielsweise auf vier Standorte kirchlicher Arbeit. Ziel war bereits damals, das sanierte Gebäude im Anschluss intensiver zu nutzen. Ein Plan, der aufging: »Es rentiert sich – das Haus wird bis an den Anschlag genutzt«, betont Keinath. In Reutlingen sei man in Sachen Immobilienverkauf schon relativ weit. In anderen Gemeinden steht dies noch bevor. »Es geht um viele Emotionen, wir müssen mit großer Achtsamkeit vorgehen und es vor Ort erarbeiten«, betont Keinath. Mit zu den aufgegebenen Gebäuden gehörte übrigens auch die Leonhardskirche: Sie wurde 2010 entweiht und verkauft. Umbaupläne des neuen Besitzers und Investors konnten bis heute nicht umgesetzt werden – die Kirche verfällt zusehends.

Die Leonhardskirche wurden 2010 umgewidmet. Seitdem tut sich dort nichts.
Die Leonhardskirche wurde 2010 umgewidmet. Seitdem tut sich dort nichts. Foto: Archiv/Pieth
Die Leonhardskirche wurde 2010 umgewidmet. Seitdem tut sich dort nichts.
Foto: Archiv/Pieth

Positive Beispiele für Umnutzungen

Doch es gibt auch viele positive Beispiele, wie Kirchenimmobilien mit neuem Leben erfüllt werden können, genannt seien nur einige. Die evangelische Kirchengemeinde Pfullingen baut die Magdalenenkirche zum Kindergarten aus. Für den neuen katholischen Kindergarten konnte die Pfullinger Baugenossenschaft gewonnen werden, das Grundstück bleibt in der Hand der Kirche. Auch in der Reutlinger Christuskirche tut sich einiges, aus ihr wird ein diakonisches Zentrum mit Büros und Wohnungen, »ein wunderbares Projekt«, sagt Keinath.

Die Magdalenenkirche in Pfullingen wird zum Kindergarten.
Die Magdalenenkirche in Pfullingen wird zum Kindergarten. Foto: Archiv/ Reisner
Die Magdalenenkirche in Pfullingen wird zum Kindergarten.
Foto: Archiv/ Reisner

Bad Urach-Münsingen: Kirchen werden nicht verkauft

Für Dekan Michael Karwounopoulos und seinen Kollegen Norbert Braun (Münsingen) sind Kirchenschließungen in den kommenden Jahren weiterhin undenkbar. »Der Erhalt der Dorfkirche ist wichtig. Für die Menschen sind es besondere Orte«, sagt Karwounopoulos. Das bedeutet: Im Doppel-Dekanat bleiben alle Kirchen als solche erhalten. Allerdings wird man sich von anderen Immobilien trennen. »Das haben wir auch schon in der Vergangenheit gemacht«, berichtet Karwounopoulos. Beispielsweise sind das Karl-Hartenstein-Haus in Urach und Kindergartengebäude an die Kommunen verkauft worden. Oft entwickeln sich aus neuen Sachzwängen auch Chancen - etwa, wenn Gottesdienste in den kleinen Landgemeinden über die Gemeindegrenzen hinweg zusammen gefeiert werden. »Solche Wege versuchen wir zu gehen«, verdeutlicht der Dekan. Nicht mehr alles überall anbieten, öfters mal über den Tellerrand hinausschauen, um in der Fläche weiter präsent sein zu können.

Die kleinen Dorfkirchen, wie hier die schmucke Johanneskirche in Seeburg, bleiben im Kirchenbezirk Bad Urach-Münsingen erhalten.
Die kleinen Dorfkirchen, wie hier die schmucke Johanneskirche in Seeburg, bleiben im Kirchenbezirk Bad Urach-Münsingen erhalten. Foto: Archiv/Fink
Die kleinen Dorfkirchen, wie hier die schmucke Johanneskirche in Seeburg, bleiben im Kirchenbezirk Bad Urach-Münsingen erhalten.
Foto: Archiv/Fink

Katholisches Dekanat Reutlingen-Zwiefalten

Der Diözesanrat der Diözese Rottenburg-Stuttgart hat beschlossen, dass der Gebäudebestand um 30 Prozent reduziert werden soll, allerdings sind die sakralen Gebäude komplett ausgenommen. Die katholischen Kirchen bleiben also (zunächst) erhalten. Ideen und Möglichkeiten, um neues Leben in kirchliche Räume zu bringen, haben die Verantwortlichen dennoch viele - sie denken an Kooperationen mit Kommunen oder sozialen Einrichtungen für ihre Immobilien. Man könnte die Ganztagesbetreuung, Mensen oder Büros unterbringen oder die Flächen in Wohnraum umwandeln, der dringend benötigt wird. Dekan Hermann Friedl wäre es lieber gewesen, wenn man die Kirchengebäude zumindest in die Überlegungen mit einbezogen hätte. Er ist dafür, Neues zu wagen und alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Für die Ökumene sei dies eine unglaubliche Chance, er wäre »sofort dabei«, wenn sich die beiden Konfessionen Kirchen teilen würden. Zwei Kirchen und zwei Gemeindehäuser direkt nebeneinander – dies sei ein Luxus, den man sich künftig nicht mehr leisten kann. »Die Strukturen werden andere sein«, ist der katholische Dekan überzeugt.

Die katholische Kirche will alle sakralen Gebäude erhalten, hier im Bild die St. Wolfgang-Kirche in Reutlingen.
Sankt Wolfgang in Reutlingen. Foto: Archiv/Böhm
Sankt Wolfgang in Reutlingen.
Foto: Archiv/Böhm

Wie sind die Reaktionen vor Ort?

Viele Gläubige werden von dem Vorhaben nicht völlig überrascht sein, so die Einschätzung der Geistlichen. Im Gegenteil: Man werde mit den Plänen auf Verständnis stoßen, ist Dekan Friedl überzeugt. »Unsere Kirchenmitglieder sehen die Situation. Sie tragen es mit«. Für ihn gehören Veränderungen zum Leben dazu, man werde sie meistern. Allerdings hofft er, dass in allen Bereichen gespart wird, nicht nur in den kleinen Gemeinden und Seelsorge-Einheiten. Auch am Bischofshügel in Rottenburg könnte man Flächen reduzieren, sagt er schelmisch. Er selbst wäre ebenfalls bereit, mit gutem Beispiel voranzugehen. Dekan Karwounopoulos glaubt, dass durchaus Überzeugungsarbeit notwendig sein wird, wenn es an dem ein oder anderen Ort zum Verkauf kommt. »Aber die Überzeugung ist ja ein evangelisches Prinzip«, sagt er mit einem verschmitzten Lächeln.

Kirchen sind mehr

Dekan Keinath warnt trotz aller Notwendigkeit zur Veränderung davor, ausschließlich mit einem wirtschaftlichen Blick auf die Kirchengebäude zu schauen. »Sie sind Räume der Kunst, der Kultur, der Musik, der Tradition und der Erinnerung. Es sind Orte, wo Menschen über Konfessionen hinweg zusammenkommen.« Auch Friedl sagt: »Kirchen sind ein absolutes Identifikationsmerkmal, sie bieten Heimat«. Zudem habe die Kirche in der Gesellschaft wichtige Aufgaben inne. »Die Diskussion, wie es mit den Kirchen weitergeht, darf nicht nur innerkirchlich geführt werden – das muss die ganze Gesellschaft interessieren«, wünscht sich Keinath. Trotzdem werden die Dekane nicht an jeder einzelnen Kirche festhalten, sondern sie wollen den Wandel aktiv mitgestalten: »Es geht um die frohe Botschaft, nicht darum, das Überleben der Kirchen zu sichern«, sagt Marcus Keinath. Die Kernaufgabe bleibe bestehen. »Das Evangelium bleibt Evangelium, es wird nicht kleiner. Das ist die Motivation für unser Handeln.« (GEA)