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Aktuell Stadtentwicklung

»Furchterregende« Perspektive

REUTLINGEN. Ob die »Bürgerinitiative L(i)ebensweRTer Nordraum, Altenburg« die Mehrheit der Bürger der 1 900-Seelen-Gemeinde vertritt, wisse er nicht, sagte am Mittwochabend Günther Brändle im Vereinszimmer der Hofschule im Rahmen einer Infoveranstaltung zur geplanten Erweiterung des interkommunalen Gewerbegebietes Mahden/Mahdenäcker.

Aber vielen Altenburgern brennt dieses Thema auf den Nägeln. 80 waren der Einladung der Bürgerinitiative gefolgt. Auch zwei Mitglieder des Kirchentellinsfurter Gemeinderates und Vertreter des Reutlinger Stadtrates waren bis auf FDP und WiR-Fraktion vor Ort. Bezirksbürgermeister Frank Hofacker referierte den Stand der Diskussion und wie es zu den Differenzen mit der Stadtverwaltung kam.
»Wir lehnen nicht nur die Erweiterung, sondern auch die Prüfung ab«
Gegründet wurde die Bürgerinitiative bereits 2004. Sie ist demnach nicht ins Leben gerufen worden, nachdem die städtischen Pläne hinsichtlich der Erweiterung des Gewerbegebietes öffentlich wurden - Pläne, die dem Ortschaftsrat in einer Sitzung am 13. Mai vor zwei Jahren sauer aufgestoßen sind. Für den damaligen Leiter des Amtes für Wirtschaft und Immobilien, Dr. Christoph-Michael Pfefferle, und Stefan Dvorak, Leiter des Amtes für Stadtentwicklung und Vermessung, gab es vom Ortschaftsrat gehörig auf die Finger: ein einstimmiges »Nein« für eine Beschlussvorlage, die neu auszuweisende Gewerbeflächen im Fokus hat, darunter zwei im Gewerbegebiet Mahden/Mahdenäcker.Nachdem wie berichtet das Gewerbeflächenentwicklungskonzept respektive die Neuaufstellung des Flächennutzungsplans und das »Entwicklungskonzept Siedlungsflächen« im Gemeinderat diskutiert worden waren, kamen diese Themen 2015 auch im Altenburger Ortschaftsrat zur Sprache. Der Stuttgarter Stadtplaner Dr. Richard Reschl hatte in der Gemeinderatssitzung von mindestens 130 Hektar Gewerbefläche gesprochen, die in den nächsten Jahren ausgewiesen werden müssen, will die Stadt ein »moderates Arbeitsplatzwachstum« erzielen. Rund 100 Hektar hat die Stadtverwaltung bislang im Visier, darunter im interkommunalen Gewerbegebiet Mahden 17 Hektar auf Kirchentellinsfurter Seite und 12,4 Hektar auf Altenburger Markung. Dieser Erweiterung erteilte der Ortschaftsrat eine Absage.Sauer aufgestoßen ist den Altenburgern vor allem die städtische Vorgehensweise. Ohne vorherige Rücksprache seien sie mit Plänen konfrontiert worden, die aus ihrer Sicht für Altenburg nicht taugen. Diese Einschätzung teilt die Bürgerinitiative zu 100 Prozent. Mehr noch: Der Reutlinger Gemeinderat hatte Ende des vergangenen Jahres beschlossen, zunächst Daten und Fakten zu sammeln und die Prüfflächen auf ihre Eignung zu untersuchen, um im weiteren Verfahren zur Neuaufstellung des Flächennutzungsplans eine »fundierte Entscheidung über die Beibehaltung oder Rücknahme der Entwicklungsflächen treffen zu können«, wie es in der Beschlussvorlage heißt. Das Entwicklungskonzept soll dem Nachbarschaftsverband Reutlingen-Tübingen zur weiteren Prüfung zugehen. »Wir lehnen nicht nur die Erweiterung, sondern auch die Prüfung ab, weil durch die Erweiterung für Altenburg gravierende Nachteile entstünden«, sagte Günther Brändle, bis 2014 selbst Altenburger Ortschaftsrat. »Was auf uns zukommt, ist furchterregend.«Bevor die Stadträte zu Wort kamen, referierte Bezirksbürgermeister Frank Hofacker detailliert die Entstehung des Gewerbegebietes. Vor allem auf eine Absichtserklärung des Eingemeindungsvertrages wies Frank Hofacker mehrmals hin: »Der Gemeinderat wird in Angelegenheiten der Bauleitplanung gegen den Willen des Ortschaftsrates keine Entscheidungen treffen.« »Ich denke, dieser Satz ist eindeutig«, sagte Frank Hofacker. Auch der Passus, wonach die Vereinbarung »im Geiste der Gleichberechtigung und Vertragstreue getroffen werden«, wurde von Frank Hofacker zitiert - mit Betonung auf »Gleichberechtigung« und »Vertragstreue«. Sollte die Reutlinger Stadtverwaltung gegen den Eingemeindungsvertrag entscheiden, »wäre dies ein Schlag ins Gesicht«, sagte Ortschaftsrat Martin Uber. Dem Vorschlag aus dem Publikum, diesbezüglich einen Rechtsbeistand respektive einen Gutachter einzuschalten, erteilte Frank Hofacker zunächst einmal eine Absage. »Wir wollen die Rechtslage nicht ausspielen müssen. Wir setzen auf Sachargumente und suchen eine Lösung gemeinsam mit Verwaltung und Gemeinderat.« Dann referierte Frank Hofacker noch einmal die Gründe, warum der Ortschaftsrat eine Erweiterung des Gewerbegebietes in dieser Form ablehnt: Schutzzonen würden nicht eingehalten; die Verhältnismäßigkeit von Wohnflächen und Gewerbeflächen sei bei der geplanten Erweiterung nicht mehr gegeben; der Hochwasserschutz könne wegen versiegelter Flächen nicht mehr gewährleistet werden; zusätzliches Verkehrsaufkommen; Verlust an Lebensqualität; Kaltzufuhr in den Ort; Wildtiere verlören ihre Lebensgrundlage; Altenburg sei schon heute überproportional durch Gewerbeansiedlung belastet; die Flächen auf Altenburger Gemarkung seien aufgrund ihrer Steigung von teilweise über acht Prozent nicht zur Gewerbeansiedlung geeignet. Diese Kritik mündete in einen Beschluss, den der Altenburger Rat im April 2015 einstimmig absegnete. Der Rat beließ es allerdings nicht mit Kritik. Statt der geplanten Erweiterung wurde ein Gebiet am östlichen Rand von Altenburg vorgeschlagen.Rainer Löffler, Vorsitzender der CDU-Fraktion im Reutlinger Gemeinderat, nannte die Gründe der Altenburger »nachvollziehbar«. »Wir brauchen neue Gewerbeflächen. Aber nicht um jeden Preis.« Die CDU hat der Verwaltung Fragen gestellt, die sich am Altenburger Beschluss orientieren. Mit den Antworten, die die CDU bislang erhalten habe, sei man noch nicht zufrieden. »Diese Fragen müssen vollumfänglich beantwortet werden, sonst werden wir nicht zustimmen.« Dass Altenburg mit der geplanten Erweiterung einen »anderen Charakter« bekäme, räumte Rainer Löffler ein.
»Unterschätzen Sie Ihre Einflussmöglichkeiten auf den Gemeinderat nicht«
Helmut Treutlein forderte eine »ernsthafte Prüfung aller Flächen«. Der SPD-Fraktionsvorsitzende sprach von »vielen Veranstaltungen«, die hinsichtlich der angedachten Erweiterungen kommen müssten. Denn nicht nur in Altenburg, sondern auch in Sondelfingen oder in Betzingen werden die städtischen Pläne heiß diskutiert. Holger Bergmann von den Grünen und Unabhängigen verwies auf Alternativen im innerstädtischen Bereich. So hätten sich durch den Ankauf von Flächen von der Firma Willi Betz durch die Stadt neue Optionen ergeben. Holger Bergmann sieht jedenfalls Gründe, warum eine »Erweiterung in Altenburg nicht geht«. Jürgen Fuchs, Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler, regte die Einrichtung eines runden Tisches an. Verwaltung, Ortschaftsrat und Stadtrat sollten alle Fragen ventilieren und das Ergebnis der Gespräche in einem zweiten Schritt der Öffentlichkeit präsentieren. Dieses Vorgehen solle allerdings nicht nur für Altenburg, sondern für alle »problematischen Gebiete« gelten. Thomas Ziegler von der Linke Liste Reutlingen warnte die Altenburger davor, sich auf Rechtspositionen zu verlassen. »Vertrauen Sie stattdessen Ihren Sachargumenten, denn die sind hervorragend. Und unterschätzen Sie Ihre Einflussmöglichkeiten auf den Reutlinger Gemeinderat nicht.« (GEA)