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Aktuell Amtsgericht

Freispruch in Reutlinger Vergewaltigungsprozess

Vier Jugendliche und ein gemeinsamer Nachmittag im Hotel - das hatte dramatische Folgen, die jetzt das Schöffengericht am Amtsgericht Reutlingen beschäftigt haben.

Justitia
Eine Figur der blinden Justitia. Foto: Christoph Soeder/DPA
Eine Figur der blinden Justitia.
Foto: Christoph Soeder/DPA

REUTLINGEN. Ein Nachmittag von vier Jugendlichen im Hotel hatte dramatische Folgen, weswegen sich das einstmals befreundete Quartett Monate später vor dem Jugendschöffengericht am Amtsgericht Reutlingen wieder in die Augen blicken musste. Vergewaltigung lautete die Anklage gegen einen der Heranwachsenden. Nach sechs erschöpfenden Stunden Verhandlung, in der reichlich schmutzige Wäsche gewaschen wurde, sprachen Richterin Insa Föhn sowie die Schöffen Christine Speidel und Dr. Gideon Maier den jungen Mann frei. Denn was das minderjährige Mädchen erleben musste, sei für sie ohne Zweifel schockierend gewesen, erfülle aber nicht den Tatbestand einer Vergewaltigung.

Im Gerichtssaal

Richterin: Insa Föhn. Schöffen: Christine Speidel und Dr. Gideon Maier. Staatsanwältin: Kaia Seiler. Verteidigerin: Sabine Höfner. Nebenklagevertreterin: Safak Ott.

Betroffenheit ist das, was im Laufe der Beweisaufnahme wie ein Frosch im Hals stecken bleibt. War es wirklich so, wie Staatsanwältin Kaija Seiler dem zum Tatzeitpunkt 19-jährigen Angeklagten vorwirft? Er soll zunächst mit einem Freund und dessen 15-jähriger Geliebten sowie ihrer gleichaltrigen Freundin im März 2023 in einem Reutlinger Hotel Whisky getrunken haben. Die Jugendlichen hätten »Wahrheit oder Pflicht« gespielt. Der Freund und seine Geliebte wollten anschließend alleine sein. Der Angeklagte verzog sich mit dem anderen Mädchen in ein zweites Zimmer. Die 15-Jährige sei durch den getrunkenen Alkohol nicht mehr in der Lage gewesen, selbstständig zu laufen. Sie habe einen Blackout gehabt. Dies habe der Jugendliche dann ausgenutzt, um mit ihr zu schlafen - obschon sie erkennbar dem Akt weder zustimmen noch ihn verweigern konnte. Dies wäre ganz klar eine Vergewaltigung gewesen.

Doch Stück für Stück entstehen Zweifel über den tatsächlichen Verlauf des verhängnisvollen Nachmittags. Verteidigerin Sabine Höfner erklärt im Namen ihres Mandanten klipp und klar, »das hat er nicht getan. Das würde er niemals einer Frau antun. Sie hatte auch nichts getrunken«. Im Gegenteil habe der junge Mann den Eindruck gewonnen, das vermeintliche Opfer sei »an ihm interessiert« gewesen. Es habe sich »um einvernehmlichen Sex gehandelt«. Der Angeklagte selbst äußert sich zu den Vorwürfen, beantwortet Fragen zu den Ereignissen, verwickelt sich dabei in Widersprüche zu seinen vor zwei Jahren gemachten polizeilichen Aussagen, womit er sich allerdings in schlechter Gesellschaft mit geladenen Zeugen befindet.

Wer hatte was getrunken?

Die vermeintliche Freundin des Mädchens, das Anzeige wegen Vergewaltigung gestellt hatte, fällt ihr in den Rücken. »Die waren richtig stolz darauf, dass sie was hatten. Zehn Minuten später hieß es dann, sie sei vergewaltigt worden«, sagt die 17-Jährige, die selbst offenkundig eine Menge Probleme hat und von der Polizei vorgeführt werden musste. »Kein einziger« der Gruppe sei betrunken, es sei »alles in Ordnung« gewesen. Ihre Aussage gipfelt im Satz, »ich glaube dem Mädchen gar nichts. Die hat schon andere Sachen abgezogen«. Auch bei ihr gibt es erhebliche Differenzen zur einstigen Aussage bei der Polizei.

Was das von ihrer Mutter begleitete und sichtlich mitgenommene Mädchen aussagt, wird zu ihrem Schutz unter Ausschluss der Öffentlichkeit angehört. Aber was der damals gerade volljährige andere Jugendliche berichtet, ist wieder für die Allgemeinheit im Sitzungssaal 1 hörbar. »Das Mädchen wollte mit ihm Geschlechtsverkehr«, behauptet er und ergänzt, »ich spürte, dass sich solche Sachen ergeben«. Immerhin habe die Freundin seiner Ex-Freundin mehrfach die Möglichkeit gehabt, zu gehen. Wesentlicher ist jenseits solcher Meinungsäußerungen seine Feststellung, wirklich viel Whisky sei von niemandem konsumiert worden.

Jugendliche mit Problemen

Die Aussagen einer Polizistin und einer Sozialarbeiterin machen das unklare Bild der Ereignisse kaum deutlicher. Es scheint so gewesen zu sein, dass sich da vier junge Menschen trafen, die jeder für sich mit einer Menge Probleme zu kämpfen haben. Dem Angeklagten wird einerseits ein »Entwicklungsrückstand« attestiert, andererseits ausdrücklich bescheinigt, er »könne keiner Fliege etwas zu Leide tun«. Nicht eindeutig klären lässt sich vor allem, ob das Mädchen zum Zeitpunkt des Beischlafs wirklich einen Blackout hatte. Letztlich kommt das Gericht zu einem Urteil ganz im Sinne von Justitia: Im Zweifel für den Angeklagten.

»Die Voraussetzungen für den Tatbestand der Vergewaltigung sieht das Gericht als nicht erfüllt an«, begründet Richterin Insa Föhn den Freispruch. Zu den gehörten Zeugenaussagen sagt sie dann etwas, was den gesamten Prozess charakterisiert: »Wer solche Freunde hat, der braucht keine Feinde mehr«. Ausdrücklich betont Föhn, das Gericht glaube der Aussage des Mädchens. Die 15-Jährige sei in »eine für sie traumatisierende Situation hineingerutscht«. Nur sei das eben im strafrechtlichen Sinne keine Vergewaltigung gewesen. (GEA)