REUTLINGEN. Zwei Männer, zwei politische Lager - aber eine Gemeinsamkeit. Sowohl Dr. Karsten Amann als auch Thomas Ziegler haben im Laufe ihrer Zeit im Reutlinger Gemeinderat die Fraktionen gewechselt: um der Sache willen, wie sie betonen, und weniger aus parteipolitischen Überlegungen. Ein Gespräch mit den beiden zeigt ganz klar, wie sich Lokalpolitik von den Befindlichkeiten im Bund unterscheidet. Für Wählerinnen und Wähler werden Entscheidungen hier sachlich und persönlich greifbar.
Für Aufsehen gesorgt hat Karsten Amann Ende 2018 mit seinem Wechsel von der Gemeinderatsfraktion der CDU zu den Grünen und Unabhängigen. Drei Monate vor der Oberbürgermeisterwahl stellt er fest, »dass es für mich in meiner eigenen Fraktion nicht mehr passt«. Gleichzeitig hätten sich inhaltliche Anknüpfungspunkte mit den Grünen ergeben. Er nennt damals als Stichworte unter anderen Mobilität, Stadtentwicklung, Kultur sowie eine »liberale und offene Stadtgesellschaft«. Als Kandidat bei der OB-Wahl möchte er hauptsächlich aus familiären Gründen - als Vater einer damals vierjährigen Tochter - nicht antreten. Spannend ist, wie er diese Entscheidung rückblickend sieht.
»Ich bin schon immer ein liberaler Christdemokrat gewesen. Ein Fan von Angela Merkel«, erinnert sich der 1973 geborene Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht. »In der Kommunalpolitik muss es immer um die Sache gehen«, sagt er. Deswegen sei sein Fraktionswechsel durch konkrete thematische Positionen begründet gewesen. Bei den Grünen und Unabhängigen fühle er sich bis in die Gegenwart hinein »gut aufgehoben«. Amann verschweigt dabei keinesfalls, dass ihn der Wechsel »wirklich über Wochen innerlich zerrissen hat«. Er erwähnt ebenso ausdrücklich sein »unkompliziertes Verhältnis zu vielen in der CDU - teilweise freundschaftlich«.
Bemerkenswert ist, dass Amann 2018 zwar die Fraktion wechselte, nicht aber gleichzeitig die Partei. Mit seinem Transfer zu den Grünen ist er zwar logischerweise aus der CDU ausgetreten, aber erst in diesem Jahr bei den Grünen eingetreten. Warum so spät? »Weil ich durch die Entscheidung die Fraktion zu wechseln ja nicht zu einem komplett anderen Menschen geworden bin«, sagt Amann. Sich selbst treu geblieben zu sein, diesen Eindruck vermittelt auch Thomas Ziegler. Der nach vier Jahrzehnten in der Lokalpolitik im Ruhestand lebende Anwalt ist seit 22 Jahren parteilos - was ihn allerdings niemals daran gehindert hat, seine Positionen in verschiedenen Fraktionen nachdrücklich zu vertreten.
Der junge Thomas Ziegler betritt die Bühne des Gemeinderates 1987 in der Parteifarbe grün. 1994 legt er eine Pause im Gremium ein, »um Jüngeren Platz zu machen«. 1999 folgt sein Wiedereinzug in das Stadtparlament. 2002 dann: der Bruch mit Fraktion und Partei der Grünen. Ohne schmutzige Wäsche der Vergangenheit waschen zu wollen, spricht der Gönninger über damalige Zweifel an demokratischen Verfahrensweisen bei der Verteilung von Listenplätzen für die Kommunalwahl. Ziegler lehnt eine Kandidatur auf Platz 14 als »nicht reputabel« ab. Seine neue Heimat findet er in einer frischen Bürgerbewegung, die erfolgreich das Kultur- und Kongresszentrum in Reutlingen verhinderte: Wir in Reutlingen (WiR).
Ab 2004 sitzt Thomas Ziegler vier Jahre lang in der WiR-Fraktion, bis ihm die Ansichten zur kommunalpolitischen Kultur innerhalb von Verein und Fraktion zu unterschiedlich erscheinen. In der Berichterstattung des Jahres 2008 bemängelt er öffentliche Meinungsduelle zwischen Fraktionsmitgliedern in grundlegenden kommunalpolitischen Fragen. Es menschelt eben auch bei WiR - und Ziegler zieht »wegen Sachfragen« seine Konsequenzen. Bis zu seinem Ruhestand engagiert er sich bei der Linken. Aufschlussreich erscheint, wie sowohl Amann und Ziegler die Rolle von Parteien beschreiben.
»Ein Bekenntnis zu einer grundsätzlichen politischen Richtung«, definiert der grüne Amann seine Parteimitgliedschaft. Der parteilose Ziegler betont dagegen: »Gerade weil ich nicht Parteimitglied gewesen bin, war ich bei Differenzen Ansprechpartner für alle«. Der Linke erwähnt dann aber auch die zur politischen Arbeit notwendige Infrastruktur einer Partei. Vereint sind beide abschließend darin, ihren Fraktionswechsel nicht bereut zu haben. »Ich würde es wieder tun«, sagt Amann. »Zu den jeweiligen Zeiten und Zuständen habe ich richtig gehandelt«, meint Ziegler. (GEA)