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Flüchtling auf vergeblicher Jobsuche in der Region

Händeringend suchen Unternehmen nach Azubis, allein in der Region sind noch mehr als 1.000 Lehrstellen unbesetzt. Der 26-jährige Murat Magomedov jedoch bekommt Absage nach Absage. Er und seine Betreuer sind ratlos.

Auch das Jobcenter konnte dem jungen Mann aus der Ukraine bisher keine Ausbildungsstelle vermitteln.
Auch das Jobcenter konnte dem jungen Mann aus der Ukraine bisher keine Ausbildungsstelle vermitteln. Foto: Frank Pieth
Auch das Jobcenter konnte dem jungen Mann aus der Ukraine bisher keine Ausbildungsstelle vermitteln.
Foto: Frank Pieth

REUTLINGEN. Murat Magomedov kann es einfach nicht begreifen: Fast 100 Bewerbungen hat er in den vergangenen Monaten geschrieben. Meist kam überhaupt keine Antwort, manchmal eine Standard-Absage, aber woran es wirklich liegt, dass er nicht genommen wird - das kann ihm keiner beantworten. Auch Ulrich Ahlert kann nicht nachvollziehen, warum Murat oft nicht einmal zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wird oder in einem Praktikum beweisen darf, was in ihm steckt. Ulrich Ahlert war viele Jahre Chef der Stuttgarter Caritas - und auch in seinem Ruhestand ist er noch aktiv. Unter anderem begleitet er ehrenamtlich für die Joblinge AG Murat, um ihn bei seiner Suche nach einer Ausbildung zu unterstützen.

Der zweite Krieg für den 26-Jährigen

Vor drei Jahren ist der 26-Jährige aus der Ukraine nach Deutschland gekommen, seit fast drei Jahren lebt er in Reutlingen. Murat ist halb Russe, halb Ukrainer, bevor er über Österreich nach Deutschland geflohen ist, lebte er in der ukrainischen Stadt Butscha, in der es Anfang 2022 zu einem furchtbaren Massaker gekommen ist. »Für mich passierte zum zweiten Mal in meinem Leben ein Krieg«, berichtet der junge Mann. Vor zehn Jahren musste die Familie aus dem Donbass fliehen, nachdem Putins Truppen dort einmarschiert waren. Erst ließ sich die Familie in Russland nieder, bevor sie in die ukrainische Heimat von Murats Vater zurückgekehrt sind.

Für Murat war es dort nicht einfach. Er hat zwar eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung für die Ukraine, aber einen russischen Pass - und Russen sind in der Ukraine nicht gerne gesehen. 2022 beschloss er, das Land zu verlassen. Zuerst ging er nach Österreich, wo Verwandte von ihm bereits lebten - doch sein russischer Pass bereitete ihm im Nachbarland Schwierigkeiten. Weder der Aufenthaltstitel für die Ukraine noch dass sein Vater ukrainischer Staatsbürger ist, wurde von den österreichischen Behörden anerkannt. Murat wurde ausgewiesen.

Viel Hilfe erfahren

Er kam nach Deutschland, »und hier habe ich sehr viel Unterstützung und Hilfe bekommen«, erzählt er. Eifrig machte er sich daran, deutsch zu lernen, hat zwischenzeitlich das B1-Niveau erreicht - B1 bedeutet die Mittelstufe der selbstständigen Sprachverwendung, auch sein Realschulabschluss aus der Ukraine wird anerkannt. Zwölf Jahre hat er eine Schule besucht und im Anschluss mehrere Jahre im Vertrieb eines Lebensmittelhändlers gearbeitet. Der Umgang mit Kunden, eine Tätigkeit im Vertrieb - das hatte er sich eigentlich auch für die Zukunft vorgenommen.

Nachdem es mit der Sprache so gut lief, dass er sich problemlos verständigen konnte, begann er deshalb, nach einer Ausbildungsstelle zu suchen. Fast 100 Bewerbungen hat er geschrieben. »Das ist ein Höchstwert bei den Joblingen«, erklärt Ulrich Ahlert. Die Joblinge engagieren sich gemeinsam mit Wirtschaft, Staat und Privatpersonen, um junge Menschen mit schwierigen Startbedingungen beim Berufseinstieg zu unterstützen. Neben den ehrenamtlichen Mentoren bekommen die Ausbildungs- oder Jobsuchenden Schulungen von festangestellten Mitarbeitern der Joblinge. Meist werden sie von Jobcentern und der Bundesagentur für Arbeit mit der Unterstützung der jungen Menschen beauftragt, heißt es auf der Homepage der Joblinge. Ihre Erfolgsquote liege bei rund 80 Prozent, sagt Ahlert. Die durchschnittliche Verweildauer im Programm liegt gerade mal bei drei bis vier Monaten, schreibt die Organisation.

Keine Erklärung für die Absagen

Bei Murat jedoch tat und tut sich nichts - in den meisten Fällen bekommt er nicht einmal eine Antwort auf seine Bewerbungen, manchmal Schreiben mit Absage-Floskeln, in seltenen Fällen durfte er zum Probearbeiten kommen, um dann doch wieder abgelehnt zu werden. Auf Rückfragen antworten die Personalabteilungen ausweichend. »Wir können uns nicht erklären, an was es liegt«, betont Ahlert. Vielleicht ist der Grund, dass er die russische Nationalität hat -und damit kein typischer Flüchtling aus der Ukraine ist. Wobei dies alles nur Mutmaßungen sind.

Fest steht jedoch für Ahlert: »Murat ist engagiert, fleißig, höflich, intelligent - und er will unbedingt arbeiten.« Das kann der nur unterstreichen. »Ich möchte mich beruflich und persönlich weiterentwickeln«, sagt Murat Magomedov. »Ich bin jung und will mir hier ein Leben aufbauen.« Dass dies nun auch zum aktuellen Ausbildungsjahr wieder nicht funktioniert hat, macht ihn traurig.

Lieber ein Job statt Bürgergeld

Denn erst vergangene Woche hat das Jobcenter Reutlingen gemeldet, dass rund 1.000 Ausbildungsstellen noch nicht besetzt sind, für Ulrich Ahlert und seinen Schützling ist es daher umso unverständlicher, dass er Absage auf Absage erhält. Manchmal frustriert ihn dies schon, erzählt er, aber er will nicht aufgeben, sondern sucht weiter motiviert nach einem Job. Deutschland habe ihm so viel gegeben, sagt er lächelnd, gerne würde er etwas zurückgeben. Und wenn er eine Arbeit finden würde, dann müsste er auch nicht vom Bürgergeld leben. (GEA)