REUTLINGEN. Achtung: Dies ist kein Tippfehler! Erich Brunner ist tatsächlich fischverliebt. Und zwar von Kindesbeinen an. Wurde er doch in eine Familie hineingeboren, die oft und gerne angeln ging. Verbunden, entsinnt sich der heute 55-Jährige, war die Sportfischerei damals oft mit Lagerfeuerromantik, Übernachtungen unter freiem Himmel und gemeinsamen Mahlzeiten an See-Ufern.
Angeln, das bedeutete für den Bub mithin Naturerleben pur und - im Falle von Fangerfolgen – lecker Essen. Wobei der junge Erich keinerlei Berührungsängste kannte. Ob waidgerechtes Schlachten, Ausnehmen oder Entschuppen: Für den gebürtigen Münchner gab nichts von alledem Anlass, das Näsle zu rümpfen. Umso weniger als Fischverliebtheit bei ihm schon immer durch den Magen ging.
Die Ruhe vor dem Ansturm
Jahrzehnte später auf dem Reutlinger Wochenmarkt: Brötchen mit Bismarckhering wandern über die gläserne Theke von Brunners »Fisch und Feinkost«-Mobil - erst in die Hand, dann schwuppdiwupp in den Mund. Eine Kundin mittleren Alters ordert Seelachs, derweil ein Mann mit Pudelmütze zur Makrele greift. Es ist ein gemächliches Kommen und Gehen. Nennen wir es: die Ruhe vor dem Ansturm. Denn Weihnachten und Silvester dräuen und mit ihnen der Appetit auf Kiementräger.
»Viele meiner Stammkunden«, so Erich Brunner, »haben eine Tradition. Sie servieren Fisch an den Festtagen«. Aufgetischt werden dann bevorzugt Lachs, Austern und Kaviar. Was keineswegs immer so war, wie der vierfache Vater weiß, der sich noch lebhaft an Zeiten erinnert, als Karpfen die Festtagstafeln beherrschten.
Damals - Brunner war noch nicht auf Wochenmärkten präsent, sondern betrieb lediglich einen im heutigen E-Center am Heilbrunnen integrierten Laden - baute er alle Jahre wieder große Bassins mit Lebendware auf. Damit sich die Klientel ihre »fangfrischen« Lieblingsexemplare ausgucken konnte. Um sie sodann bis Heiligabend in der heimischen Badewanne dümpeln zu lassen? »Nein. Das ist Tierquälerei und verboten.« Geschlachtet wurden die Karpfen deshalb fachmännisch im Fischgeschäft; und zu Hause landeten sie entweder direkt im Topf oder vorübergehend im Kühlschrank.
Hummer gibt es nur für ausgewählte Kunden
»Vier bis fünf Tonnen Karpfen«, so der ausgebildete Einzelhandelskaufmann, hat er dereinst im Monat Dezember an den Mann und die Frau gebracht. Was heutzutage undenkbar ist: weil die ehemalige Nummer eins der kulinarischen Festtags-Charts längst von Edel-Fischen und Meeresfrüchten entthront wurde.
Zur Konkurrenz zählen jetzt auch Hummer, die an Brunners Wochenmarktstand jedoch ausschließlich auf Bestellung zu haben sind. Außerdem verkauft der 55-Jährige sie nur an »ausgewählte Kunden«, also an solche, von denen er definitiv weiß, dass sie den Krustentieren beim Küchentod kein Martyrium zumuten. »Ich will mir in diesem besonderen Fall sicher sein, dass die Käufer präzise wissen, was sie tun.«
Das Rezept: Saltimbocca vom Seeteufel
Zutaten für 4 Personen: 8 Portionen filetierter Seeteufel à 100 Gramm, Olivenöl, 8 Scheiben Parmaschinken, 1 Handvoll Salbeiblätter, 2 Zwiebeln, 4 Esslöffel Butter, 200 Milliliter Weißwein, Salz und Pfeffer
Zubereitung: Die Seeteufel-Portionen von beiden Seiten mit Pfeffer und wenig Salz würzen. Jedes Teil in eine Scheibe Parmaschinken einwickeln, mit einem Salbeiblatt belegen und mit Zahnstochern feststecken. Nun die Zwiebeln fein würfeln und eine Handvoll Salbeiblätter in feine Streifen schneiden. Die Seeteufelwickel in einer heißen Pfanne mit etwas Olivenöl kräftig von beiden Seiten anbraten, aus der Pfanne nehmen und warm stellen. Butter und Zwiebelwürfel in die Pfanne geben, kurz dünsten und dann mit Weißwein ablöschen. Das Ganze etwas einkochen und dann die Seeteufelwickel nebst Salbeistreifen in der Soße schwenken und servieren.
Serviertipp: Dazu passen Kartoffelwürfel mit getrockneten Tomaten oder cremige Polenta.
Apropos Bestellung: Die empfiehlt sich mit Blick auf Weihnachten und Silvester auch für andere Produkte aus Brunners breitem Fisch- und Feinkostsortiment, das von A wie Auster, über O wie Oktopus und T wie Thunfisch bis hin zu Zander allerlei Köstlichkeiten zu bieten hat. Doch worauf haben Reutlingens Marktgänger eigentlich den meisten Hunger? Klare Antwort: auf Kabeljau und grätenfreien Lachs. Wiewohl sich auch Forellen einiger Beliebtheit erfreuen.
Mit ihnen und vielen weiteren frischen Fischspezialitäten lässt sich Erich Brunner übrigens vom Großmarkt beliefern. Hinzu kommen kleine französische Händler. Und einige Produkte stellt er selbst her. Lachs-/Edelfisch-Maultaschen zum Beispiel und Fischfrikadellen. Wobei er neuerdings innovative kulinarische Kreationen in Herz und Hirn bewegt, um sein »Selfmade-Portfolio« zu erweitern. Dies jedoch erst nach einem bevorstehenden Kraftakt.
Umzug auf den Nürtinger Rammerthof
Gegen Jahresende wird Erich Brunner nämlich seinen Laden »Am Heilbrunnen« schließen und statt seiner Lager- und Produktionsflächen auf dem Gelände des Nürtinger Rammerthofs beziehen. Und wer weiß? Vielleicht lassen sich am neuen Standort ja sogar Synergieeffekte erzielen? Ist dem Gehöft doch auch eine Gastronomie angeschlossen.
Von alle dem bleibt der Freiluftverkauf im Herzen Reutlingens jedoch ebenso unberührt, wie Brunners Wochenmarkt-Präsenz in Esslingen und Pfullingen. Zumal der Beschicker den Open-Air-Verkauf schätzt. »Ich mag die unmittelbare Nähe zu meiner Kundschaft. Auf diesen direkten Draht würde ich ungern verzichten.«
Oh ja, Handel und Wandel an der frischen Luft sind ihm wichtig - jetzt, mittenmang im letzten Viertel seines Berufslebens, das bislang ein vergleichsweise bewegtes war. Beginnend mit der Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann bei Feinkost Käfer in München führte Brunner der Weg ins Berliner KaDeWe (Kaufhaus des Westens) und dann weiter in den Leipziger Fischgroßhandel, ehe er in Metzingen seine Wahlheimat fand und den Sprung in die Selbstständigkeit wagte.
Es fehlen zupackende Hände
Bereut hat er ihn nie. Auch wenn, wie sollte es anders sein, nicht immer alles rund lief. »Aufs und Abs gehören dazu.« Unvorhersehbares ebenfalls. So hat die Covid-Pandemie - »Corona war fürs Geschäft ein Segen« - den Wochenmarkt beflügelt, derweil sich der russische Angriffskrieg auf die Ukraine nachteilig auswirkt. Stichwort: Inflation.
Aktuell ist es aber vor allem eklatanter Personalmangel, der (beileibe nicht bloß) Erich Brunner zu schaffen macht. Das Fehlen zupackender Hände ist mit ein Grund, weshalb der 55-Jährige nach 26 Jahren seinen stationären Fischhandel im E-Center aufgibt. Ohne freilich deshalb den Kopf hängen zu lassen. Bringt ja nichts und vermiest bloß die Laune. Das Grätigsein überlässt er gerne den Fischen. (GEA)