REUTLINGEN. Mit einem ebenso spektakulären wie menschlichen Einsatz hat die Höhenrettungsgruppe der Feuerwehr Reutlingen am Samstagmorgen eine schwerstbehinderte alte Dame aus ihrer Wohnung ganz oben im Hochhaus nach unten auf den Boden gebracht. Damit haben die Männer rund um Michael Schumacher als Leiter der Gruppe ganz viele Herzen bewegt.
Nötig wurde die Aktion, weil seit Wochen die Aufzüge des Gebäudes an der Humboldstraße Nummer 11 saniert werden müssen, was für eine Bewohnerin ansonsten noch längeren Stubenarrest bedeutet hätte. Wer da im Rollstuhl sitzend in der Rettungskanzel befördert wurde, ist mit Kathrin Bindemann eine in der Region bekannte Frau mit zahlreichen Freunden. Denn gemeinsam mit ihrem Partner Eberhard Benz hat sie in ihrem Metzinger Keramik-Atelier ein Leben lang vielen Leuten Freude gemacht. Ein beeindruckender Mensch, der trotz seiner schweren Behinderung bei jeder Begegnung mit seiner Herzlichkeit beeindruckt. Auch ihre Freundin Gabriele Janz, in Reutlingen als grüne Stadträtin bekannt.
»Ich kenne Frau Bindemann, und sie hat sich verzweifelt an mich gewandt«, erzählt Janz - aber erst nach ausdrücklicher Nachfrage, denn ihr geht es wirklich nicht um irgendeine öffentliche Aufmerksamkeit. Ihr geht es um diese liebenswürdige Töpferin, die seit Jahrzehnten im Rollstuhl sitzt, mittlerweile kaum noch stehen kann. Gemeinsam mit ihrem Partner wohnt sie im achten Stock des GWG-Hochhauses. Als dort dann die lange geplante und von keinem Bewohner kritisierte Sanierung der beiden Aufzüge ansteht, hat die Künstlerin damit ein Riesenproblem.
Sechs Wochen lang arbeiten Handwerker, auch an diesem Samstag sind die am Werk. Drei Wochen bleibt sie freiwillig in ihrer Wohnung, aber dann würde sie schon gerne diesen einen und einzigen Sommerurlaub antreten. Als Gabriele Janz das vernimmt, wird sie tätig - und stößt auf offene und hilfsbereite Ohren an vielen Stellen. Die GWG ist sofort dabei, erteilt alle Genehmigungen und sperrt den Parkplatz. Die Höhenrettungsgruppe betrachtet ihren segensreichen Einsatz als unentgeltliche Übung für den guten Zweck. Morgens kurz nach sieben Uhr geht's los.
Mit einer Rettungskanzel am Kran geht es runter
Vor dem Hochhaus postieren sich ein Kran inklusive Begleitfahrzeug sowie der Gerätewagen der Höhenrettungsgruppe. Sechs Männer sind angerückt. Schnell und professionell fahren sie den Kran aus, hängen die Rettungskanzel dran. Am Boden sowie von den Balkonen beobachten viele Nachbarn und natürlich auch Gabriele Janz das Schauspiel, was die Siedlung so noch nicht gesehen hat. Oben in ihrer Wohnung atmet Kathrin Bindemann aufgeregt schwer, »ich bin ganz schön nervös«. Aber sie hat wie immer ein buntes Halstuch umgehängt und strahlt - unfassbar der Lebensmut dieser Dame. »Sie packt das an«, sagt ihr Partner Benz, »sie will sich den Urlaub nicht nehmen lassen. Sie ist hilflos da oben, und Frau Janz hat uns geholfen«. Seit 35 Jahren fährt das Paar gemeinsam nach Frankreich.
Festen Boden unter dem Rollstuhl und Tränen in den Augen
Aus der Wohnung tragen die Höhenretter Kathrin Bindemann hoch aufs Dach, weil dort der Einstieg in die Rettungskanzel leichter ist. Glücklicherweise hat die Frau keine Höhenangst. Dann geht's am Haken sanft schwebend nach unten. Dort steht mit Stephan Allgöwer, dem Macher der Garden Life, ein weiterer Freund der Keramikkünstlerin und kann's kaum fassen, wie klasse das alles ist. Allgöwer hat dafür gesorgt, dass die Aktion von einem Fernsehteam dokumentiert wird.

Wenige Minuten später ist die Kanzel mit einer überglücklichen Kathrin Bindemann angekommen. Die Frau hat wieder festen Boden unter ihrem Rollstuhl und Tränen in den Augen. »Danke euch allen für eure Liebe«, sagt sie bewegt. Nach dem Gruppenfoto umarmen sich Bindemann und Janz innig. (GEA)


