Stolz und fröhlich hat die List-Stadt Reutlingen ihr Eisenbahn-Jubiläum gefeiert: Seit 150 Jahren fahren Züge zur Achalm und zurück Richtung Landeshauptstadt; genauer: nach Plochingen und von da aus wahlweise rauf oder runter. Das war damals zweifellos ein wichtiger Schritt heraus aus dem Verkehrsschatten, in den sich die einst württembergfeindliche Reichsstadt gestellt wähnte - und den sie bis in neueste Zeit trotz Eisenbahn immer wieder beklagte.
Doch lange schon sind nicht mehr Loks, Waggons und Schienen zentrale Aspekte verkehrstechnischen Strebens: Das Auto hat in beispiellosem Siegeszug die Bahn quasi überrollt und sich derart ins Zentrum verkehrspolitischer Überlegungen gedrängelt, dass es trotz Energie- und Umweltkrise offenbar einfach nicht mehr wegzudenk- en ist.
Da hat ein Tunnel durch die Achalm, zu der ja auch der Scheibengipfel gehört, Vorrang vor einer Stadtbahn, da suchen Ingenieure, Erfinder und Wirtschaftsbosse händeringend nach Lösungen für eine neue Autogeneration - und die Bahn macht Schlagzeilen nur durch Verspätungen und Defekte, erweist sich bei der Fahrplan-Erstellung als ebenso … unzulänglich wie bei der Wartung ihres Fahrzeugparks.
Die Missachtung der soeben mal wieder als bloßer Festanlass willkommenen Bahn ist allzu leicht abzulesen, beispielsweise am Fahrplan des Stadtverkehrs RSV, dem es offenkundig grad wurscht ist, ob seine Fahrgäste die gewünschte Bahnverbindung gut erreichen und ob sie bei ihrer Rückkehr per Bahn den Bussen von Ferne hinterhersehen und wochenends mal eine halbe, mal gar eine ganze Stunde auf den nächsten Bus warten dürfen.
Vergessen auch, dass die einzige ÖPNV-Verbindung zur Nachbarstadt Metzingen die Bahn ist - und dann halten trotz alle Bemühungen nicht einmal alle Nahverkehrsbahnen in Sondelfingen, genau zwischen den beiden größten Städten des Kreises. Dass der einst viel gerühmte, weil angeblich so schnelle Neigetechnikzug sich eher selten geneigt zeigt, rasant durch die Kurven zu flitzen, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt.
Aber Reutlingen ist natürlich stolz auf seinen größten Sohn und auf 150 Jahre Eisenbahn! Friedrich List fände es wahrscheinlich auch heut’ zum Verzweifeln.
