REUTLINGEN. Einen Tag ist der kleine Finn auf dieser Welt. Seinen Eltern strahlen vor Glück. Ganz in der Nähe liegen im gynäkologischen Tumorzentrum Patientinnen mit der Diagnose Krebs, die Angst um ihr Leben haben. Die Frauenklinik im Klinikum am Steinenberg ist ein Ort, der voller solcher extremer existenzieller Emotionen steckt. Der neue Chefarzt Dr. Lars Norrenberg beschreibt das mit dem Satz: »Wir Frauenärzte begleiten Frauen vom Beginn ihrer Fraulichkeit bis ins hohe Alter«.
Die Mutter-Kind-Station D3 gehört zu denen, die gerne gezeigt werden. Denn hier ist es schön vom Blick in den Innenhof über Babybilder von Gaby Höss an den Wänden der Gänge bis hin zur Cafeteria-Ecke mit Balkon und Weitblick. Wer möchte, kann sich einen Kaffee oder Tee holen, bequem Platz nehmen. Auf anderen Etagen dieses komfortablen jüngeren Gebäudetraktes liegen Privatpatienten, auf der D3 Mütter mit ihren Neugeborenen, gerne auch mit den Vätern. Das Verhältnis zwischen Pflegekräften und Patientinnen ist ein weiterer Beweis dafür, dass hier viel fürs Wohlbefinden getan wird: Tagsüber kommen »nur« sieben werdende oder frisch entbundene Mütter auf eine Pflegekraft – in anderen Stationen des Klinikums sind es offiziell zehn Patienten, manchmal tatsächlich auch mehr. Ganz anders ist auch das Gefühl hier.
»Ich habe die große Ehre, junge Eltern in ihr neues Leben zu begleiten«
»Ich habe die große Ehre, junge Eltern in ihr neues Leben zu begleiten«, charakterisiert Kinderkrankenschwester und Stillberaterin Melanie Leuchs eine Aufgabe, die für sie »beglückend« ist. Obschon »Geburtshilfe nicht planbar ist, in Wellen verläuft«, wie sie sagt. Die Kreißsäle liegen im zweiten Stock, praktisch um die Ecke, und sind seit Jahren die Schauplätze für jeweils rund 1.800 Geburten. »Unser Allzeithoch war während der Coronazeit 2021, da waren es 2.200«, erinnert sich Oberärztin Dr. Kerstin Kipke. Es sind helle Räume mit wenigen sichtbaren medizinischen Geräten. Auffällig lediglich die große rote Badewanne für Mütter, die ihr Kind im Wasser gebären möchten.
»Eine Geburt ist ein natürlicher Vorgang und in den allermeisten Fällen komplikationslos«, sagt Kipke. Aber falls es doch zu Komplikationen kommt, ist es ein unter Umständen lebensrettender Segen für Mutter und Kind in der Frauenklinik zu sein. Laut Eigenwerbung des Klinikum liest sich das so: »Wir möchten Ihnen und Ihrem Kind ein individuelles Geburtserlebnis mit größtmöglicher Sicherheit bieten«. Davon haben auch der einen Tag junge Knabe Finn und seine Mutter Csilla Brugger profitiert.
Im Bett liegt die 30-Jährige strahlend mit ihrem Sohn an der Brust. »Es war eine eher leichte Geburt«, sagt sie zu Beginn des Gespräches am Rande der Visite der Oberärztin. »Sie sind hart im Nehmen«, deutet Kipke einen herausfordernden Verlauf an. »Am Schluss war es schmerzhaft«, sagt die junge Mutter daraufhin. »Es ist eine Saugglockengeburt gewesen«, rundet die Medizinerin ein Gesamtbild ab, das für die Geburt im Klinikum spricht. Hier konnte zügig gehandelt werden, hier waren alle Fachärzte und medizinischen Gerätschaften schnell zur Stelle. Deswegen können Mutter und gesundes Kind sich jetzt sorglos aneinander erfreuen.
Die Entscheidung für den Geburtsort ist für werdende Eltern ein großes Thema. »Wir kommen aus Reutlingen und wollten nah sein«, erklärt Finns Vater Simon Brugger. Zusätzlich sprachen seine Frau und er mit Freunden und Bekannten, die Erfahrungen mit dem Kreisklinikum gemacht hatten, »und die sagten uns, dass da alle so nett und hilfsbereit sind«. Offenbar hat es sich in der Region Reutlingen herumgesprochen, dass das Klinikum ein guter Ort ist, um sein Kind zur Welt zu bringen. »Die Mehrheit aller Schwangeren gebärt am Steinenberg«, meinen Ärztin Kipke sowie Kinderkrankenschwester Leuchs und schätzen den Anteil von außerklinischen Entbindungen »auf rund zwei Prozent«. Ihr erstes Kind bekommen Frauen im Durchschnitt mit um die 30 Jahre, »knapp 30 Prozent sind Kaiserschnitte, die meisten sind medizinisch indiziert«, berichtet Kipke.
»Die Kinder sind immer bei ihrer Mama. Bonding ist ganz wichtig«
Wer nach einem großen Kinderzimmer sucht, in dem lauter Neugeborene in Wiegen liegen, wird am Kreisklinikum keines finden. »Die Kinder sind immer bei ihrer Mama«, verrät die Oberärztin, »Bonding (Bindung) ist ein ganz wichtiges Thema«. Ganz bedeutsam auch, Mütter beim Stillen zu unterstützen. Denn Muttermilch bietet die optimale Zusammensetzung an Inhaltsstoffen für die Kindesentwicklung. Selbst wenn die eigene Muttermilch zu Beginn nicht ausreicht, kann am Steinenberg geholfen werden. In der Frauenmilchbank können Mütter, die Milch im Überschuss haben, anderen Frühgeborenen oder kranken Neugeborenen helfen.
Mehrsprachige Informationen
Zur Information von Patientinnen bieten die Kreiskliniken Videos in zehn Sprachen an, die auch für die allgemeine Öffentlichkeit interessant sind. Beschrieben werden die »U2 Untersuchung« von Säuglingen, die »Milchgewinnung« sowie »Hygiene auf der Intensiv-Neugeborenenstation«. Abrufbar mit dem Benutzername »klinikum-reutlingen« und dem PIN-Code 152342 auf der Website der Essener Mevidoc. (zen)
»Die Geburtshilfe macht 50 Prozent unserer Tätigkeit in der Klinik aus«, beschreibt der neue Chefarzt Dr. Lars Norrenberg den wesentlichen Schwerpunkt. »Ein Viertel sind Operationen bei gutartigen Erkrankungen. Da gehört die Uro-Gynäkologie dazu. Die Behebung von Senkungs- und Inkontinenz-Beschwerden. Ein weiteres Viertel ist die Onkologie – Brustkrebs, Gebärmutterkrebs und Eierstockkrebs«. Norrenberg hat den Chefposten im April 2025 übernommen.
»Wir wollen für die Bevölkerung in Reutlingen der primäre Ansprechpartner sein«, formuliert er den Anspruch der Frauenklinik. Gerade was die operativen Techniken angehe, »haben wir uns weiterentwickelt. Fast alles wird minimal-invasiv gemacht. Das bedeutet für die Patientinnen weniger Schmerzen, eine schnellere Erholung und einen kürzeren Krankenhausaufenthalt«.
Die Behandlung bösartiger Erkrankungen ist ein wichtiger Bereich in der Frauenklinik Reutlingen und erfolgt dabei in zwei Kompentenzzentren: Dem Brustzentrum und dem Gynäkologischen Tumorzentrum. Seit 2023 wird auch der Da Vinci-Operationsroboter eingesetzt, »für bessere Sicht und feinere Instrumente«, erklärt Norrenberg – um sogleich das übliche Missverständnis von einer OP durch einen Roboter auszuräumen: »Der Arzt hat die volle Kontrolle«. Was für Patientinnen im Wortsinn überlebenswichtig ist, sind die im Laufe der Jahrzehnte immer besser gewordenen Therapien gerade bei Brustkrebs. Brustkrebs ist die häufigste Krebsart bei Frauen. Die weite Verbreitung habe bei aller Tragik wenigstens auch einen Vorteil, so Norrenberg. Über kaum eine andere Krebsart werde so intensiv geforscht, so umfangreich an immer effektiveren Behandlungsmöglichkeiten gearbeitet. Der 49 Jahre alte Mediziner spricht als »Senior-Mamma-Operateur« aus den Weiten seiner Fachkompetenz, wenn er das hoffnungsvolle Fazit zieht: »In der Onkologie hat die Überlebensrate insgesamt zugenommen«. Dafür würden am Steinenberg auch in Zukunft alle Grundlagen gelegt.
Im Rahmen der Krankenhausreform, »werden wir alle Leistungsgruppen, die wir heute haben, beantragen. Und wir erfüllen alle Voraussetzungen dafür«. Dabei sei gewiss, dass ambulante Behandlungen an Bedeutung zunehmen. Schon aktuell habe die Frauenklinik »kein Bettenproblem«. Norrenberg macht am Beispiel der Geburtshilfe klar, worauf es ihm ankommt: »Am Kreissaal steht Geborgenheit und Sicherheit. Das ist mir wichtig«. (GEA)





