REUTLINGEN. Am siebten Tag nach der Auflösung des Rätsels zieht Anna Bierig, Chefin des Reutlinger Stadtmarketings StaRT, eine positive Zwischenbilanz: Die Reutlingen-Kampagne »nur lieben« bewege die Bürger weiterhin. Nach der Schmähkampagne, die die Stadt mit frechen Plakatsprüchen in ein schlechtes Licht rückte, sind die Reutlinger nun gehalten, Liebesbezeugungen für die Kampagnenwebsite zu formulieren – und sie tun dies nach Bierigs Angaben höchst eifrig. Allein an einem Stand, den das Stadtmarketing am Wochenende auf dem Stadtfest aufgebaut hatte, gaben rund 300 Bürgerinnen und Bürger in zwei Tagen Sympathie zu Protokoll. »Wir hatten keinen Leerlauf.« Auch Merchandise-Artikel, T-Shirts, Taschen und Klebetattoos fanden, so Bierig, reißenden Absatz.
Gleiche Reichweite wie die Schmähkampagne?
»Sehr gut« laufe die Kampagne auch im Internet. 50.000 Aufrufe verzeichne allein die Website. Über Instagram zähle man bisher 130.000 Views, dort komme der Teaser »wahnsinnig gut« an. Im Fernsehen sei die Auflösung des Plakat-Rätsels bei den Privatsendern RTL und Pro Sieben Thema gewesen.
Wie aus »Reu-tlingen« »Lieb-lingen« wird: Offensichtlich wollen die Menschen nach der bösen Verulkung der kleinen Großstadt auch das Positive wissen. Ob man in Summe eine ähnliche Reichweite (7,5 Millionen), wie mit der Schmähkampagne erreicht, könne man noch nicht abschätzen. Bierig geht aber von ähnlichen Zahlen aus.
Nicht alle Reutlinger sind von der Kampagne eingenommen, das hat auch eine GEA-Internet-Umfrage jüngst ergeben. Die Gäste-Resonanz am Stadtfeststand sei jedoch durchweg positiv gewesen. Obwohl Bierig fest damit gerechnet hatte, dass auch ein paar Kritiker vorbeischauen. Auch mit ihnen wollte das StaRT-Team gern ins Gespräch kommen und ihre Argumente hören, »Leider«, so scherzt Bierig, »kam keiner.«
Kommunikationskonzept ist auf zehn Jahre angelegt
Die StaRT-Managerin räumt erneut ein, dass sie mit der überragenden Resonanz quer durch Republik und Medien nicht gerechnet habe. »Positiv überrascht« sei sie über die Durchschlagskraft auch im Hinblick auf den geringen Finanzmitteleinsatz (25.000 Euro).
Dass etwas Positives hängen bleibt und nicht das Negativbild, das man zu vertreiben versucht und mit dem die Kampagne spielt, davon ist Anna Bierig überzeugt. »Die Ironie wurde verstanden« als Selbstironie einer Stadt »mit Ecken und Kanten«.
Bierig beteuert auch, dass die Kampagne »kein Gag« sei, keine »Eintagsfliege«. Das Kommunikationskonzept für die Marke Reutlingen sei auf zehn Jahre angelegt. In Phase eins gehe es um die Reutlingerinnen und Reutlinger. Sie sollen über ihre Stadt nachdenken und in Austausch gehen.
In Phase zwei werde man dann – in spätestens zwei Jahren – überregional positive Bilder plakatieren. Konkretes wisse man noch nicht, die Tübinger Werbeagentur »Die Kavallerie«, die auch schon Phase eins gezündet hat, werde jedoch im Boot bleiben.
Markenaufbau ist ein Marathon
Reutlingen stehe für attraktive Lage, viel Grün, seine Situierung im Biosphärengebiet, für einen starken Wirtschaftsstandort und eine »Erlebnis-Innenstadt«, so Bierig. Die markantesten Schokoladenseiten der Stadt, im Marketingsprech »Markentreiber« genannt, fänden sich auch in den vergangene Woche vorgestellten acht Leit-Testimonials auf der Internetseite der Kampagne wieder, erläutert die StaRT-Chefin.
Doch was bringt die Stadt auf den Nenner? »Wir haben erstmal keine fette Headline«, räumt Bierig ein. »Die kommt ganz am Ende.« Markenaufbau sei »kein Sprint, sondern eher ein Marathon«. Insbesondere, wenn es nicht um ein einzelnes Produkt gehe, sondern um eine ganze Stadt.
Basis bleibe die Brandmeyer-Analyse. Das Hamburger Markenberatungsunternehmen hatte nach einer groß angelegten Umfrage mit mehr als 9.000 Teilnehmern bereits im Sommer 2018 zehn Themenfelder herausgearbeitet und drei besondere Stärken der Stadt hervorgehoben: die »attraktive Lage«, den »starken Wirtschaftsstandort« und das »entspannte Einkaufen«. (GEA)