REUTLINGEN. »Ach«, sagt Hilde Kappler zum Abschied, »das ist ja alles gar nicht so wichtig.« Das, was zuvor aus ihrem Mann und ihr herausgesprudelt ist? Von wegen: Wenn die Eisernen Ehejubilare zeitweise parallel und einander ergänzend aus ihrem Leben erzählen, fließen Lebensdaten, Erklärungen, Anekdoten zur persönlich gefärbten Stadtchronik zusammen. Unter den Gästen ist am Dienstag, 22. Juli, etwa die Reutlinger Baubürgermeisterin Angela Weiskopf. Sie überbringt Hilde und Willi Kappler zum 65. Hochzeitstag Blumen, Geschenke und Glückwünsche. Was die beiden zu erzählen haben, ist durchaus wichtig, versichert sie. Schließlich geht es dabei um die Lebenswege zweier Bürger in den zurückliegenden neun Jahrzehnten - und ihre vielfältigen Kontakte.
Ein Kapitel, über das heute lieber geschwiegen werde, bildete für die Hausgeburt von Wilhelm Heinz Kappler in der Katharinenstraße eine unerwartete Komplikation: Der 29. Juli 1932 war der Tag, »als Adolf Hitler auf der Rennwiese große Worte gesprochen hat und ein SA-Mann hat fast verhindert, dass der Kinderarzt zu meiner Mutter durchkam«, erzählt der bald 93-Jährige. Und stellt gleich klar: »Unter meinem Geburtsnamen kennt mich kein Mensch! Ich bin der Willi.«
»Ich könnte heute noch ganz klar das Kleid beschreiben, das sie anhatte«
Nach dem Besuch der einstigen Haupt- und späteren Mittelschule - heute Eichendorff-Realschule - hat er Elektriker gelernt, war für Stromausfälle im damaligen GEA-Druckhaus in der Burgstraße ebenso zuständig wie für die Kabel in einem ganzen Trakt des heutigen Kreisklinikums. Wenn sie zusammen durch die Wilhelmstraße gingen, wurde ihr Mann noch bis vor wenigen Jahren von allen Seiten gegrüßt - und schon mal drauf angesprochen, ob er nicht die Waschmaschine reparieren könnte, erzählt seine Frau.
Hilde Kappler ist sieben Jahre jünger als ihr Mann. Nachdem sie am 20. Januar 1939 im Reutlinger Krankenhaus zur Welt kam, wurde sie schon bald bei der Großmutter in Jettenburg »deponiert«. Denn ihr Vater war als Soldat im Zweiten Weltkrieg. Später lebte sie mit Mutter und Bruder in Betzingen und Wannweil, bevor die Familie nach der Rückkehr des Vaters 1945 in die Innenstadt zog. Und zum Schluss wieder nach Jettenburg. Auch Hilde besuchte die damalige Mittelschule. Bei ihrem Abschlussball 1957 in der Listhalle hinterließ schon der erste Blick, den der als Ehemaliger mit seinen Freunden eingeladene Willi von der 18-Jährigen erhaschte, solch einen Eindruck, dass der nicht nur sein Motorrad fortan regelmäßig die »elende Landstroß'« ins Härten-Dorf hinausjagte, sondern »heute noch ganz klar das Kleid beschreiben könnte, das sie anhatte«.
»Er ging dann sehr zielgerichtet vor und wir waren auf der gleichen Wellenlänge«
»Er ging dann sehr zielgerichtet vor«, erzählt die 86-Jährige. Das gefiel der jungen Frau, die bald darauf beim damaligen »Merkur« - später Horten und Kaufhof Galeria - in der Stoffabteilung gelernt hat. »Wir waren auf der gleichen Wellenlänge«, sagt sie. »Und wie es sich gehört, hab ich sie auch immer treu und brav bei ihrer Freundin oder den Eltern abgeliefert«, fügt ihr Mann knitz hinzu. Ihm habe wohl gefallen, dass sie gut nähen konnte, meint Hilde Kappler. So folgte auf die Verlobung 1958 schon am 22. Juli 1960 die Heirat. Seit Corona sind die beiden »mit modernen Kommunikationsgeräten« ausgestattet, wie Willi erzählt, deshalb zeigen sie dem Besuch das Hochzeitsfoto auf dem Smartphone: sie im kniekurzen weißen Petticoat-Kleid, er im schwarzen Anzug.
1964 kam ihre Tochter und zwei Jahre später der Sohn auf die Welt. Dass der vor zehn Jahren gestorben ist, war schlimm. »Das ist etwas, das geht nicht vorüber«, sagt die zweifache Mutter. Da wird das Paar, das sich sonst so heiter neckend die Bälle zuwirft und gegenseitig immer wieder liebevoll im Redefluss bremst, kurz ernst. Vom ersten Tag ihres gemeinsamen Lebens an »gab's nichts Wichtigeres als die Kinder«, sagt sie. »Und trotzdem sind sie wohlgelungen«, scherzt er da schon wieder. Seitdem Hilde bereits mit 43 Jahren erstmals Oma geworden ist, machen ihr die drei Enkel und vier Urenkelinnen »viel und noch mehr Freude«.
»Sonst haben wir immer gearbeitet« - auch im Gütle am Georgenberg. »Das ist unser Gesundbrunnen.« Erst recht, seitdem sie vor 15 Jahren vom Haus mit Garten in eine Wohnung im Ringelbachgebiet umgezogen sind. Bürgermeisterin Angela Weiskopf ist erstaunt, dass die beiden Senioren dort den obersten Stock bewohnen. Der Vitalsport der TSG-Skiabteilung hält den 92-Jährigen fit. »Es gibt Tage, wo man sich a bissle blöd fühlt. Aber mir geht's gut und ich denke, ihm auch«, resümiert seine Frau. »So geht das immer«, meint er grinsend. »Ich folge meiner Frau immer.« Sie merke das halt oft nicht so, gibt sie zurück. Und schließt: »Jetzt isch aber guad.« (GEA)

