REUTLINGEN. Isabel Möhrle, Kreisfachberaterin für Obst- und Gartenbau, war kürzlich auf Streuobstwiesen im Landkreis Reutlingen unterwegs. Dabei entdeckte sie in einem älteren Streuobstbestand in der Nähe Pfullingens zwischen liegendem und stehendem Totholz einen blau schimmernden Käfer.
»Erst beim zweiten Blick war ich mir sicher, dass es sich um einen Alpenbock handelt und ich machte einen innerlichen Freudensprung. Ich hatte davor noch nie einen Alpenbock in freier Natur zu Gesicht bekommen, dass ich ihn auf einer Streuobstwiese entdeckt habe, freut mich in besonderer Weise«, so Isabel Möhrle. Dass sie den Alpenbock in Pfullingen entdecken und fotografieren konnte, ist auf eine lange Tradition in den Wäldern im Kreis Reutlingen zurückzuführen. Die naturräumliche Ausstattung mit Felsen und trockenen Bereichen am Albtrauf mit hohen Totholzanteilen bietet dem Alpenbock seinen Lebensraum.
»Vermutlich ist der Alpenbock eine eiszeitliche Reliktart, die unter anderem an den besonnten Felsen am Albtrauf im Kreis Reutlingen überlebt und von dort aus die Alpen wiederbesiedelt hat. In den Wäldern am Albtrauf boten sich für den Alpenbock über Jahrtausende hinweg günstige Lebensbedingungen«, erklärt Kreisforstamtsleiter Matthias Kiess.
Das Augenmerk der Försterinnen und Förster liegt seit Jahrzehnten auf der Erhaltung dieser imposanten blau-schwarzen Käferart. Dabei wurde vor allem darauf geachtet, dass in besonnten Lagen im Bereich von Bad Urach bis Pfullingen und Reutlingen genügend Totholz im Wald verbleibt. In den Bannwäldern um Urach, die bereits vor dem ersten Weltkrieg ausgewiesen wurden und den extensiv bewirtschafteten Flächen im Bereich der Felsen hatte der Alpenbock auch in Zeiten intensiverer Waldbewirtschaftung noch einen sicheren Lebensraum. In den ehemaligen Forstämtern Bad Urach und Reutlingen wurden bereits seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts Maßnahmen für den Alpenbock ergriffen.
So wurden bereits in den 1960er Jahren beispielsweise im Bereich des Runden Berges Alt- und Totholz gezielt für den Alpenbock im Wald belassen. Dem Forstamt des Landkreises Reutlingen ist der Erhalt von Lebensstätten des Alpenbocks ein wichtiges Anliegen. Ein umfangreiches Angebot an Totholz sorgt für zahlreiche Brutplätze des besonderen Käfers. Die Ausweisung der Kernzonen im Biosphärengebiet, Alt- und Totholzkonzepte im öffentlichen Wald sowie gezielte Maßnahmen zur Förderung des Alpenbocks zeigen Wirkung. Im Rahmen einer umfassenden Kartierung der Alpenbock-Lebensstätten im Jahr 2013 konnte ein zusammenhängendes Verbreitungsgebiet am Albtrauf im Landkreis Reutlingen nachgewiesen werden.
Der Landkreis Reutlingen hat im Rahmen des 111-Arten-Korbs der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg besondere Verantwortung für den Alpenbock übernommen. Darin finden sich 111 Arten, die besonders auf unsere Hilfe angewiesen sind und schwerpunktmäßig in Baden-Württemberg vorkommen. Durch die Aufnahme in den Anhang II und IV der FFH-Richtlinie unterliegt er dem besonders strengen europäischen Schutzregime. Im Anhang II der FFH-Richtlinie sind Tier- und Pflanzenarten aufgelistet, für die Schutzgebiete im NATURA 2000-Netz eingerichtet werden müssen. Anhang IV ist eine Liste von Tier- und Pflanzenarten, die unter dem besonderen Rechtsschutz der EU stehen, weil sie selten und schützenswert sind.
Gelegentlich erreichen das Kreisforstamt Reutlingen Anzeigen von besorgten Bürgerinnen und Bürgern, der asiatische Laubholzbock habe den Kreis Reutlingen erreicht. Dieser neu einwandernde, gefürchtete Holzschädling unterliegt besonderen Quarantänevorschriften der EU. Die eingereichten Fotos zeigten in der Vergangenheit allerdings immer eindeutig den Alpenbock, der von Laien leicht mit dem asiatischen Laubholzbock verwechselt werden kann. (pm)