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Dieser Reutlinger ist Zauberer, Arzt und Sozialarbeiter

Gernot Bohnenberger lebt und arbeitet in Reutlingen, er ist Sozialarbeiter im Projekt »Hallo Nachbarn«, Arzt und Teil eines magischen Weltmeister-Duos.

Der Arzt und Zauberer ist im Ringelbach als magischer Sozialarbeiter tätig.
Der Arzt und Zauberer ist im Ringelbach als magischer Sozialarbeiter tätig. Foto: Norbert Leister
Der Arzt und Zauberer ist im Ringelbach als magischer Sozialarbeiter tätig.
Foto: Norbert Leister

REUTLINGEN. Ziemlich unglaublich, diese Geschichte. Zusammen mit seinem Bruder Wolfram steht Gernot Bohnenberger hinter »Junge Junge«, dem Reutlinger Zauberer-Duo, das sich neben vielen Preisen auch einen Weltmeister-Titel erarbeitet hat. Vielleicht noch unglaublicher ist aber, dass die beiden Männer auch noch akademische Berufe erlernt haben: Gernot ist Arzt, Doktor, Spezialist für Krampfadern. Sein Bruder Wolfram ist Architekt.

Dass beide seit mittlerweile mehr als 30 Jahren die Bühnen der Welt bereisen, sie bespielen und dabei das Publikum verzaubern und begeistern – auch das ist alles andere als gewöhnlich. Zumal beide von der Zauberei leben können und all die Zeit »nebenher« als Arzt und Architekt tätig waren. Doch zurück zum Anfang: Geboren wurden Gernot und Wolfram in Karlsruhe, aufgewachsen sind sie am Bodensee, in der Nähe von Radolfzell. Der Arzt ist heute 56 Jahre, sein Bruder drei Jahre jünger. Beide wohnen mit ihren Familien in Reutlingen. Ihr Vater war Pfarrer – und somit laut Gernot auch die Grundlage dafür bereitet, dass sie sich für Menschen interessierten.

»Zauberei vereint alle künstlerischen Formen«

Hinzu kam, dass beide im Gymnasium auf eine Berufsschauspielerin trafen und dort das Bühnentalent des magischen Duos geweckt wurde. »Zauberei vereint alle künstlerischen Formen von Tanz, Gesang, über Schauspielerei, Moderation, das Publikum begeistern und die Leichtigkeit des Seins bescheren«, sagt Gernot Bohnenberger. »Was könnte es Schöneres geben?«

Schon in der Schule hatten die Brüder mit der Zauberei begonnen, während des Studiums starteten sie so richtig durch. Wie man »nebenher« noch so anspruchsvolle Studien wie Medizin und Architektur bewältigen kann? »Am Abend vor meinem dritten Staatsexamen hatten wir einen Auftritt im polnischen Fernsehen«, erinnert sich der Arzt und lacht. »Zwischen 2003 und 2012 haben wir als Künstler in Vollzeit fast die ganze Welt kennengelernt, waren ein Vierteljahr in Frankreich engagiert, das war großartig«, sagt Gernot Bohnenberger.

Irgendwie machte er auch noch seinen Facharzt, wurde Spezialist für Krampfadern und Naturheilmediziner. Dann schlug er aber eine andere Richtung ein, entschied sich, künftig als Facharzt für den öffentlichen Gesundheitsdienst tätig zu werden. In der Gesundheitsförderung und Gesundheitsplanung. Zehn Jahre lang war er im Gesundheitsamt Reutlingen tätig und mitverantwortlich dafür, dass das Gesundheitszentrum in Hohenstein entstand – ebenso wie die »Gesunden Gemeinden« in der Region.

»Ich hatte ich mich schon gefragt, ob das nicht ein Fehler war«

Es ging ihm darum, von »der Individualmedizin zur Bevölkerungsmedizin« zu wechseln, »nicht nach den Defiziten der Menschen zu suchen, sondern nach den Ressourcen«. Ein halbes Jahr lang war Gernot Bohnenberger im Sozialministerium in Stuttgart selbst tätig, als er eines Morgens Otto Haug (vom Projekt »lebenswert«) im Zug traf. »Wir kannten uns vom Tischtennis her«, sagt Bohnenberger.

»Wir schaffen im Ringelbach eine Stelle beim Projekt ‚Hallo Nachbarn‘, das wäre doch genau das Richtige für dich«, hatte Otto Haug gesagt. Gernot Bohnenberger überlegte, tauschte die gut dotierte Stelle im Ministerium mit der schlecht bezahlten 50-Prozentstelle im Ringelbach. »Als ich das erste Mal durchs Quartier lief, hatte ich mich schon gefragt, ob das nicht ein Fehler war.« Doch der Organisator, Netzwerker, Ermöglicher, »Menschen-zusammen-führer« gab nicht auf. Hartnäckigkeit ist eines seiner Markenzeichen, Problembewältiger quasi sein zweiter Vorname. Er weiß um seine Stärken. Er sprach Menschen im Quartier an, stellte sich ihnen zwischen Lidl und Aldi in den Weg, bot ihnen Kaffee an.

Ein Fest im Ringelbach vor rund zwei Jahren war der Startschuss. Mehr als 300 Menschen kamen zusammen. In dem Reutlinger Viertel – in dem zuvor Sozialarbeit und auch Kreuzkirche mit ihren Bemühungen nicht weitergekommen waren – öffnete Gernot Bohnenberger »die Tür einen kleinen Spalt breit«. Ein Café entstand, das einmal im Monat geöffnet hat – und für die Besucher viel mehr als »nur ein Café ist«. Menschen engagieren sich ehrenamtlich, kommen aus ihren Wohnungen heraus, lernen andere in der Nachbarschaft kennen, nutzen Hochbeete und feiern gemeinsam. Was Gernot Bohnenberger im Ringelbach betreibt, ist Quartiersarbeit, klassische Sozialarbeit. Dabei nennt er sich Koordinator. »Der Mensch steht bei mir im Mittelpunkt«, sagt der sympathische Zauberer, der sich selbst auch noch ehrenamtlich in der Auferstehungskirche engagiert. Der eine Frau und zwei Söhne hat.

»Ich kann Menschen motivieren, sich in die Gesellschaft einzubringen«

Er kenne beide Welten, die glitzernde auf den Bühnen und die wenig schillernde. An der Peter-Rosegger-Schule etwa, wo er ein monatliches Frühstück mit Ehrenamtlichen organisiert hat. »Ich kann Menschen motivieren, sich in die Gesellschaft einzubringen«, sagt der Zauberer.

Und er nutzt seine Kontakte: Ein berühmter Sprayer aus New York kam so ins Ringelbach, Comedian Bernhard Hoecker hat für Schüler gelesen, Fragen beantwortet. Die Rosegger-Schule ist die erste in Reutlingen, die nun eine festangestellte Gesundheitsfachkraft hat. Eine Nähwerkstatt ist entstanden.

Natürlich sei noch viel zu tun. Die Türen mancher Bewohner im Ringelbach seien erst ein paar Zentimeter geöffnet. Aber: »Menschen aus dem Quartier haben in den Projekten von ‚Hallo Nachbarn‘ ihren Lebensmittelpunkt, einen Lebensinhalt gefunden«, sagt Gernot Bohnenberger. »Das ist einfach großartig«, freut sich der vielseitig begabte 56-Jährige. (GEA)
https://www.lebenswert-ringelbach.de/hallo-nachbarn