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Aktuell Interview

Diese Gefahren sieht eine Reutlinger Zukunftsforscherin

Professor Dr. Elizabeth Hofvenschiöld ist Zukunftsforscherin, angewandte Ethikerin und Professorin für Strategisches Management an der ESB Business School der Hochschule Reutlingen. Im GEA-Interview spricht sie über die Gefahren der Zukunft, die rasantesten Entwicklungen und was sich in unserer Gesellschaft ändern muss.

Künstliche Intelligenz (KI)
Schon in fast der Hälfte der Unternehmen in Deutschland kommen nach einer Umfrage im Auftrag der PwC Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KI-Anwendungen zum Einsatz. Die Beschäftigten sind offen dafür. Aber es gibt auch Sorgen. Foto: Oliver Berg/DPA
Schon in fast der Hälfte der Unternehmen in Deutschland kommen nach einer Umfrage im Auftrag der PwC Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KI-Anwendungen zum Einsatz. Die Beschäftigten sind offen dafür. Aber es gibt auch Sorgen.
Foto: Oliver Berg/DPA

REUTLINGEN. Professor Dr. Elizabeth Hofvenschiöld ist Zukunftsforscherin, angewandte Ethikerin und Professorin für Strategisches Management an der ESB Business School der Hochschule Reutlingen. Im GEA-Interview spricht sie über die Gefahren der Zukunft, die rasantesten Entwicklungen und was sich in unserer Gesellschaft ändern muss.

GEA: Frau Hofvenschiöld, wird die Zukunft besser als die Gegenwart?

Elizabeth Hofvenschiöld: Ich glaube, die Zukunft kann auf jeden Fall besser als die Gegenwart sein. Das hängt davon ab, wie wir uns jetzt in der Gegenwart entscheiden. Zum Beispiel bei der Wahl Anfang des Jahres. Oder unser alltägliches Verhalten in der Gesellschaft: Was kaufen wir? Wie verhalten sich die Politikerinnen und Politiker? Wie verhalten sich auch die Industrie und unterschiedliche Unternehmen? Es gibt also mehrere Zukünfte, die möglich sind.

Welche dieser Entwicklungen machen Ihnen derzeit Angst?

Hofvenschiöld: Dass einige Menschen denken, dass es gut ist, sich nur auf sich zu fokussieren. Es macht mir Angst, wenn Menschen nicht konstruktiv und offen miteinander reden können oder wollen. Zum Beispiel Menschen, die eher populistisch oder politisch extrem unterwegs sind. Ich bin da sensibel, weil ich hier auch als Ausländerin bezeichnet werden kann. Aber nicht nur deswegen, sondern ich frage mich, ob diese Gruppe von Menschen versteht, dass ihr Verhalten auch ihre eigene Zukunft verschlechtern kann. Diversität ist sehr wichtig für unsere Gesellschaft, genau wie offener und konstruktiver Diskurs. Ich möchte nicht sagen, dass wir zurzeit keine Probleme haben. Ich sehe die tagtäglich. Aber es gibt auch andere Wege, andere Lösungen, die wir finden können, um unsere Probleme zu lösen, anstatt bestimmten Gruppen von Menschen auszugrenzen.

Ist der Rechtsruck in der Politik also die größte Herausforderung der Zukunft?

Hofvenschiöld: Also für mich ist es tatsächlich der Zustand der Erde und was wir daraus machen, und diese sehr menschenzentrierte Entwicklung, insbesondere in der westlichen Welt. Das sind die größten Herausforderungen der Gegenwart, und es wird nur schlimmer, wenn wir das nicht heute adressieren. Die Klimakrise hat auch einen negativen Einfluss auf andere Herausforderungen, wie geopolitische Konflikte. Wenn wir kein gutes Klima mehr haben und es zu heiß wird, warum denken wir dann, dass wir auf diesem Planeten noch leben können? Ich sage immer, dass wir unsere Erde wirklich im Zentrum haben müssen. Und zwar nicht nur uns Menschen auf der Erde, sondern auch die Pflanzen, die Bäume, die Tiere. Und es überrascht mich immer wieder, wenn man denkt, dass Bereiche wie die Wirtschaft alleinstehende und isolierte Systeme sind. Nein, wir sind alle miteinander verbunden.

Die westlich zentrierte Lebensweise, von der Sie sprechen, ist nicht erst heute entstanden. Glauben Sie, die Menschheit lernt aus ihren Fehlern?

Hofvenschiöld: Ich glaube, wir können auf jeden Fall aus unseren Fehlern lernen. Ob man das machen möchte, ist eine andere Frage. Dieser Fokus auf Konsum und Kapitalismus zum Beispiel, der uns ehrlich gesagt auch sehr weit gebracht hat, entstand schon vor circa 300 Jahren. Für mich ist das alles sehr mit dem Narrativ »Wachstum, Wachstum, Wachstum« verbunden und hat viel mit Kolonialismus zu tun - wachsen durch Erobern. Heute liegt der Fokus auf dem Mars, wo es keine Lebewesen gibt, die wir erobern könnten. Aber diese Mentalität, dieser menschenzentrierte Expansionismus, dient uns nicht mehr. Wir können so viel von anderen Kulturen, wie Ureinwohnern, die im Einklang mit der Natur leben, lernen. Wir müssen nicht eins zu eins wie sie wohnen und auf unsere Technologie verzichten, aber sollten verstehen, wann es genug ist. Viele Leute sprechen von neuen Erfindungen, die uns helfen können, CO2 abzuscheiden - und dann wäre alles wieder gut. Aber niemand macht das auf einer größeren Skala. Also ja, Schönreden ist ein Ding, aber bitte ins Tun kommen.

In welchen Bereichen wird es denn diese neuen Erfindungen und die rasantesten Veränderungen geben?

Hofvenschiöld: Einer meiner größten Interessensbereiche ist Technologie. Man hat beim Thema KI gemerkt, dass einige Sachen sich rasant entwickeln. Ich glaube, es wird so weitergehen. Ich denke, wir werden mehrere geopolitische Entwicklungen weltweit sehen, auch durch die Wahlergebnisse in den USA. Da kann einiges ziemlich schnell passieren. Das sieht man zum Beispiel auch an Syrien. Oft überraschen uns die Bereiche, bei denen wir denken, es würde ewig dauern, bevor sich etwas ändert. In der Gesellschaft kann das superschnell gehen, weil sich Gruppen von Menschen über Social Media mobilisieren können, oder einige Tech-Unternehmen die Verbreitung von Fake-News nicht unterbinden.

Diese rasante Entwicklung der KI hat sowohl Befürworter als auch Gegner. Wie ordnen Sie die Diskussionen rund um Künstliche Intelligenz ein?

Hofvenschiöld: Ich bin auch angewandte Ethikerin und beschäftige mich daher viel mit KI und Roboterethik. Und ich finde diese zwei Extreme vom Spektrum - »Alles wird super« und »oh Gott, das ist das Ende der Welt« - sind nicht unbedingt hilfreich. Ich glaube, wir sollten uns in der Mitte oder leicht nach links oder rechts bewegen. Es ist auf jeden Fall wichtig zu verstehen, welche Konsequenzen die unterschiedlichen Technologien auf uns haben können, insbesondere in der Gesellschaft. KI kann eine Möglichkeit für uns sein. Vielleicht heißt das, dass wir neue Jobs haben werden. Vielleicht heißt es, dass wir weniger arbeiten müssen. Wir müssen dieses Thema aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten. Ich nutze dafür gerne verschiedene ethische Theorien. Man kann zum Beispiel sehen, dass wir ein bisschen mit Gesichtserkennungssoftwares aufpassen sollten, weil die Trainingsdaten nicht diversifiziert genug sind. Das kann zu Problemen an Flughäfen führen, wenn man nicht fliegen darf, weil die Identifizierung nicht funktioniert.

Neben den Chancen und Gefahren durch die KI ist derzeit auch viel die Rede von der Verödung der Innenstädte. Auch in Reutlingen gibt es bereits viel Leerstand. Wie sehen Sie die Zukunft in diesem Bereich?

Hofvenschiöld: Ich finde das sehr traurig, weil wir Menschen ganz soziale Tierchen sind. Dank vielen unterschiedlichen modernen Dingen wie Social Media oder Smartphones haben wir uns andere Verhaltensweisen angewöhnt, und das führt dazu, dass wir jetzt alles bequemer und individueller haben möchten. Leider ist eine Konsequenz, dass wir nicht mehr in die Innenstadt gehen, um einzukaufen oder Freunde zu treffen. Wir verlieren dieses Soziale. Solche Verhaltensänderungen können wirklich sehr gravierende Konsequenzen haben, das merken wir jetzt in unseren Innenstädten. Wir sind immer online, kaufen online ein. Ich will aber nicht nur die Technologie dafür verantwortlich machen. Dieser ständige Glaube an Wachstum und daran, dass, wenn es unserer Wirtschaft gut geht, dann geht es uns auch gut, dieser Glaube schadet uns auch. Es ist so einfach, online einzukaufen. Man überlegt gar nicht mehr, ob man das alles wirklich braucht. Im Laden ist das anders und der Konsumkreis wird verlangsamt, aber gerade wird dieser Konsumkreis nur beschleunigt.

Gibt es dann überhaupt eine Möglichkeit, diese Entwicklung zu verändern? Das Angebot an Social Media-Apps und Onlinemärkten steigt ja immer weiter.

Hofvenschiöld: Ich glaube, es ist schwierig, weil wir uns alle daran gewöhnt haben. Ich meine, ich nutze auch Social Media und Amazon, obwohl ich versuche, das alles bewusst zu nutzen. Es ist wichtig, zu verstehen, wenn mir eine Firma sagt, dass ich ein neues Gerät jedes zweites Jahr brauche, brauche ich das dann wirklich oder bin ich nur ein Akteur in einem Gesamtkonsumsystem? Vielleicht klingt es wirklich komisch von jemandem, der eine Professorin in einer Business School ist. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir Business auch anders machen können. Ich liebe die Technologie und nichtsdestotrotz ist es wie mit jedem anderen Ding: Wenn man zu viel Schlechtes davon hat, ist es auch ungesund. Aber wie lernen wir, eine gesunde Beziehung zu diesen Werkzeugen und coolen Plattformen aufzubauen? Da bin ich mir noch nicht sicher, und da würde ich gerne mit sehr unterschiedlichen Generationen von Menschen hirnen. (GEA)

Professor Dr. Elisabeth Hofvenschiöld ist Zukunftsforscherin und Professorin für Strategisches Management an der Hochschule Reutlingen. Für ihre Lehrveranstaltung »Future Thinking« wurde sie mit dem Lehrpreis für Nachhaltigkeit ausgezeichnet. Foto: Privat
Professor Dr. Elisabeth Hofvenschiöld ist Zukunftsforscherin und Professorin für Strategisches Management an der Hochschule Reutlingen. Für ihre Lehrveranstaltung »Future Thinking« wurde sie mit dem Lehrpreis für Nachhaltigkeit ausgezeichnet.
Foto: Privat