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Aktuell Armut

Die Reutlinger Vesperkirche öffnet ihre Türen

Start der 28. Reutlinger Vesperkirche am Sonntag in der Reutlinger Fußgängerzone unter dem Motto »Herz statt Hetze«.

Am Sonntag ist die 28. Reutlinger Vesperkirche gestartet.
Am Sonntag ist die 28. Reutlinger Vesperkirche gestartet. Foto: Norbert Leister
Am Sonntag ist die 28. Reutlinger Vesperkirche gestartet.
Foto: Norbert Leister

REUTLINGEN. Viele Menschen konnten es kaum erwarten, dass die 28. Reutlinger Vesperkirche endlich ihre Türen öffnet – und das nicht allein diejenigen, die nun endlich wieder vier Wochen lang ein warmes Mittagessen völlig kostenlos erhalten. Nein, auch die ehrenamtlichen Helfer freuen sich enorm, dass sie seit Sonntag wieder im besonderen Gasthaus die Gäste bedienen dürfen.

Für dieses Engagement erhielt die große Zahl an Freiwilligen Lob von höchster Stelle in der Stadt: Oberbürgermeister Thomas Keck würdigte den Einsatz mit den Worten: »Die Ehrenamtlichen beweisen Solidarität, Bürgersinn und Nächstenliebe.« Auch Prälat Markus Schoch äußerte sich ähnlich: »Hier wird Liebe begreiflich – was für ein Schatz ist doch diese Vesperkirche«, betonte er zum Abschluss seiner Predigt während des Eröffnungsgottesdienstes.

Pfarrerin Birgit Hövel, die Vesperkirchenpfarrer Jörg Mutschler in diesem Jahr zur Seite steht (und ihn vertritt, solange er krankheitsbedingt nicht kann), brach das Brot, um es danach unter allen Gästen zu verteilen. Dazu passt auch das Motto der diesjährigen Vesperkirche, das nach den Worten von Joachim Rückle lautet: »Herz statt Hetze«.

Mehr als 300 Ehrenamtliche bedienen in den kommenden vier Wochen die Gäste.
Mehr als 300 Ehrenamtliche bedienen in den kommenden vier Wochen die Gäste. Foto: Norbert Leister
Mehr als 300 Ehrenamtliche bedienen in den kommenden vier Wochen die Gäste.
Foto: Norbert Leister

Der Geschäftsführer des Diakonieverbands sagte, er freue sich gerade angesichts schwieriger Zeiten auf die kommenden vier Wochen. Viele Sorgen würden die meisten Menschen drücken, etwa, ob es zu Frieden auf der Welt komme, wie es mit dem Bürgergeld weitergehe, ob die künftige Regierung die Probleme der Zeit anpacke. All diesen Fragen und Schwierigkeiten stünden »die Begegnungen hier in der Vesperkirche entgegen, Begegnungen, die guttun, die Vertrauen aufbauen«, so Joachim Rückle.

»Wir dürfen uns nicht damit abfinden, dass die Armut in der Gesellschaft immer mehr zunimmt«, mahnte der Prälat. »Wir müssen für eine gerechtere Verteilung von Ressourcen, gegen Ausgrenzung und gegen Machtmissbrauch eintreten, nicht nur hier in Reutlingen, sondern weltweit.«

Motto »Herz statt Hetze«

Während einige der Gäste schon ungeduldig auf das Mittagessen warteten, hob OB Keck in seiner Rede hervor, dass "es uns allen nicht gleich gut geht, die Vesperkirche gibt einen ehrlichen Einblick in andere Lebenswelten". Empathie, Verständnis für andere Menschen und Mitgefühl seien die Grundlagen, um selbst auch etwas gegen die Ungerechtigkeit in der Welt wie auch in Reutlingen zu tun. Deshalb sei das Motto »Herz statt Hetze« gut gewählt, es gelte "das Miteinander zu suchen, nicht das Trennende", sagte Keck. Für alle Menschen sei die Vesperkirche "ein Anker, der uns erdet", so der OB.

Die kommenden vier Wochen werden sich insgesamt mehr als 300 Ehrenamtliche in die Vesperkirche einbringen, darunter viele Firmen, die ihre Azubis und auch Mitarbeiter schicken. Die Koordination, wer wann wie lange helfen will, ist eine aufwändige Aufgabe, wie Ehrenamtskoordinatorin Sabine Lehmkühler erläuterte. »Schulen, Sozialpraktikanten, ein Männerfreundeskreis und viele Einzelpersonen wollen sich einbringen.«

160.000 Euro Kosten

Ein Arzt wird wieder in der Vesperkirche vor Ort sein, zudem auch Sozialberatung in der Person von Karen Bruda. Das Essen kommt erneut von der Großküche der Bruderhaus-Diakonie, am gestrigen Sonntag gab es Gulasch mit Kaisergemüse und Spätzle. Für die 28. Vesperkirche werden nach den Worten von Rückle rund 160.000 Euro benötigt – eine Steigerung, die all die gestiegenen Kosten für Lebensmittel, Löhne, Energie und mehr abbilde.

Als es endlich losging mit dem Essen, wartete eine Frau vor der Nikolaikirche auf einen freien Platz an den Tischen. Auf die Frage, ob sie schon im Café in der Oberen Gerberstraße war, sagte sie: »Neee, ich trinke doch dort nicht erst Kaffee und esse Kuchen – dann habe ich ja keinen Hunger mehr auf das Essen hier in der Vesperkirche.« Jörg Mutschler wünschte dem besonderen Gasthaus aus dem Krankenstand heraus: »Viele heitere Begegnungen, in denen die Würde jedes einzelnen Menschen zum Tragen kommt.« (GEA)