REUTLINGEN. Wenn Johannes Schempp (72) von seiner politischen Vergangenheit erzählt, dann ist das auch für Jüngere spannend. Denn teilweise ist es damals heftig zur Sache gegangen. Stichworte sind der Streit ums Naturkundemuseum oder das Bürgerbegehren gegen ein Kongress- und Kulturzentrum. Jetzt verlässt der Sozialdemokrat, den Gegenwind nie vom Pfad seiner Überzeugungen abgebracht hat, nach 40 Jahren den Gemeinderat. Angefangen hat seine politische Karriere mit einem heißen Spruch.
»Fünf, die zünden« werben Schempp und einige andere Jusos bei der Kommunalwahl 1984 für sich. Der Nachwuchs verteilt Streichholzbriefchen mit dem Slogan darauf. Der junge Sozi schafft’s ins Stadtparlament. »Ich war schon vom Elternhaus so geprägt, dass mir die CDU nicht unbedingt in den Sinn gekommen ist«, erinnert er sich an seine politischen Wurzeln. Unvergessen ist ihm aber auch, wie ihm ein altgedienter Sozialdemokrat den Kopf wäscht. Das war Adolf Wild, Arbeiter und Vorsitzender der Naturfreunde sowie natürlich auch Gewerkschafter – mithin einer, der das klassische politische Profil der Partei repräsentiert. Wild schnappt sich den Frischgewählten mit den Worten: »Du musst noch Solidarität lernen. Bei uns zünden alle«. Das sitzt nachhaltig. Was sonst noch so geblieben ist von vier Jahrzehnten im Gemeinderat, verdichtet Schempp auf zwei Streitfälle in der Stadtgeschichte.
Knisternde politische Spannung
Heute ist das Naturkundemuseum am Weibermarkt eine Institution, die gerne hergezeigt und besucht wird. Was Museumsleiterin Dr. Barbara Krawatzki und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bieten, ist von großer Güte. Doch die Gründung eines professionell geführten Museums ist keine Selbstverständlichkeit, sondern Ergebnis eines harten politischen Ringens, an dem Johannes Schempp ebenso wie FWV-Rätin Ursula Menton maßgeblichen Anteil haben. Der verheiratete Vater von zwei Söhnen und mittlerweile Großvater von vier Enkeln legt eine zweiseitige Chronik seiner Aktivitäten zum Naturkundemuseum auf den Tisch. In jeder Zeile knistert es vor politischer Spannung.
Denn zu Beginn der 90er-Jahre beschäftigen sich Schempp und andere mit dem »Verbleib der Fossiliensammlung«, während die SPD-Fraktion die »hauptamtliche Stelle eines Naturmuseumsleiters« beantragt. Die Rede ist von »Unregelmäßigkeiten« im Naturkundemuseum, Verträgen mit Präparatoren und anderen delikaten Vorgängen. Die Geschichte zieht sich über Jahre voller deutlicher Worte. In einer Pressekonferenz zum Thema Naturkundemuseum fordert Schempp 1994 Verwaltungsbürgermeister Christof Eichert dazu auf, »sofort die Öffentlichkeit über die verheerenden Zustände zu informieren«. GEA-Redakteur Thomas Baral titelt damals »Massive Vorwürfe gegen die Stadtverwaltung«. Wer heute vor dem Fachwerkhaus steht, kann sich den Umfang der Auseinandersetzungen von damals kaum vorstellen. Jahrzehnte später freut sich Schempp beim Blick auf das gelungene Museum.
Kongresszentrum gekippt
Wenn ein anderes geplantes Bauwerk eben nicht entstanden ist, dann gehört das aus seiner Sicht ebenfalls zur Erfolgsbilanz. Erinnert sich noch jemand an einen Oberbürgermeister namens Dr. Stefan Schultes, dem gemeinsam mit einer Mehrheit des Gemeinderates zu Beginn des neuen Jahrtausends der Bau eines gigantesken Kultur- und Kongresszentrums vorschwebte? Johannes Schempp gewinnt enorm an Sprachgeschwindigkeit, wenn er davon berichtet. Einige engagierte Menschen – Dr. Werner Felix Schobel sowie Horst Wüst-Knopki plus später Schempp und noch viel später Peter Krauß – kämpfen wie »David gegen Goliath«. Gegen die Stadtverwaltung inklusive OB und gegen die Mehrheit des Gemeinderates – aber entschieden für den Bürgerwillen.
»Wir haben recht schnell eine Bürgerinitiative gegründet«, erinnert sich Schempp. Jeden Samstag bauen die Kongresszentrums-Rebellen auf dem Marktplatz einen Pavillon auf, in dem ein Video das aus ihrer Sicht größenwahnsinnige Vorhaben präsentiert. Stets gibt es frische Flugblätter, die viele Leser finden. »Die Menschentraube vor unserem Stand wurde immer größer«, sagt Schempp mit zufriedenem Gesicht. Schließlich habe die Stadtverwaltung daneben ihr eigenes Zelt aufgebaut, vor dem ein gewisser Dr. Stefan Schultes meistens unbeachtet herumgestanden sei. »Schultes und die Mehrheit des Gemeinderates dachten, man müsse noch mehr klotzen. Aber das hat nur uns genutzt«, analysiert Schempp die Vorgänge von damals. Schließlich scheitert das Projekt 2002 krachend mit einem Bürgerentscheid. Eine Vergangenheit, die ihm bis in die Gegenwart sichtlich Freude bereitet.
Täglich ein Waldspaziergang
So auch sein Beruf als Reutlinger Revierförster zwischen 1988 und 2018 immer mehr als ein Job gewesen ist. Bis heute beginnen seine Tage morgens mit dem Waldspaziergang in Begleitung von Hündin Kiki. Schempp liebt den Wald. Beim Abschiedsspaziergang mit seinen Kollegen erwartete Stadtförster Johannes »Jo« Schempp passenderweise eine faustdicke Überraschung, wie GEA-Redakteur Hans Jörg Conzelmann berichtete: »Sie schenken dem Ruheständler eine Holzbank. Sie steht direkt vor einem Baum, den Jo Schempp selbst gepflanzt hat, als er das Forstrevier übernahm.« Sie trägt heute noch den Namen »Förster-Schempp-Eiche«, kenntlich gemacht durch eine Eichentafel mit Inschrift.
Für die Menschen im Stadtparlament, die nach ihm dort Verantwortung tragen, hat er zum Abschied einen kleinen Tipp aus Erfahrung: »Nicht beim ersten Gegenwind zu glauben, es lohne sich nicht«. (GEA)