REUTLINGEN. Kubanische Rhythmen, ein Pokertisch, dazu eine Auswahl von Rum, Zigarren, Whisky und Gin gehören nicht zu einem klassischen Abend im Reutlinger Jugendclub Hades. Bei der jüngsten Ladies-and-Gentlemen-Night war dagegen sogar Abendgarderobe Pflicht. Mit solchen und ähnlichen Events will Matthias Müller, der Vorstandsvorsitzende des Vereins Jugend in Aktion, der hinter der Kellerbar steht, das Image aufbessern und neue »Kundschaft« gewinnen.
Der Verein Jugend in Aktion ist mit Gründungsjahr 1962 nicht nur der älteste Jugendclub in Reutlingen, sondern Müllers Recherchen zufolge sogar der älteste autonome Jugendclub Deutschlands. Vor mehr als 60 Jahren ins Leben gerufen hatten ihn zwei Sozialpädagogen, um die kulturelle Arbeit in der Achalmstadt voranzutreiben und der damaligen Reutlinger Jugend einen Raum zu geben, um sich ausleben zu können. »Diese Grundprämisse ist geblieben«, erklärt Müller. »Mit dem Hades wollen wir junge Menschen ansprechen und sie im Rahmen ihrer monetären Möglichkeiten tolle Abende erleben lassen. Daher bieten wir Snacks und Getränke auch relativ günstig an.«
Dass eine Einrichtung mit derart noblen Vorsätzen auf die schiefe Bahn geraten ist, schiebt Müller seinen Vorgängern in die Schuhe. Eine Gruppe von »Chaoten« hatte in einem langsamen Prozess das Zepter im Verein übernommen: »Zuerst arbeiten sie mit, nehmen ihre Pflichten wahr, halten sich an die Regeln. Im Lauf der Zeit, wenn die Älteren gehen und sich die Stimmmehrheiten verschieben, können sie das Ruder an sich reißen und ihre eigenen Regeln machen, entgegen der Satzung oder Hausordnung.«
»Wir konnten die verbliebenen Chaoten rauswerfen«
Besagte Gruppe habe einen Großteil der Gäste durch unangebrachtes Verhalten vergrault. »Diese Personen waren nur auf sich und ihren Kreis fixiert. Ihnen ging es nicht darum, ein Kulturangebot für andere Menschen anzubieten. Sie wollten die Räumlichkeit für ihre eigenen Wünsche nutzen.« Viele Angebote seien ausgefallen, da die Gruppe, die unter der Woche viel Zeit im Hades verbracht »und es sich gutgehen lassen« habe, nicht zum Dienst erschienen sei. »So kann kein Wirtschaftsbetrieb funktionieren, wenn man nur Kosten verursacht, aber keine Einnahmen generiert.« Nach der Sommerpause im September 2023 hatte der Verein Schulden von mehreren tausend Euro.
Beschwerde war nur Frage der Zeit
Zudem hätten jene Personen den Zorn der gesamten Nachbarschaft auf den Verein gelenkt: »Sie waren permanent laut, haben beim Verlassen des Gebäudes mit voller Gewalt die Türen zugeknallt und ihre Musikboxen bis zum Anschlag gedreht – auch mitten in der Nacht.« So sei es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis eine Beschwerde beim Ordnungsamt eingegangen sei. Die Stadt intervenierte und drohte, dem Verein die Lizenz und Gemeinnützigkeit und somit auch die Räumlichkeiten zu entziehen. Daraufhin zogen sich zwei Vorständler zurück. »Im vergangenen Jahr sind mir immer mehr Freunde und alte Stammgäste zu Hilfe geeilt. So konnten wir die Stimmmehrheiten auf unsere Seite ziehen und die verbliebenen Chaoten rauswerfen.«
Mittlerweile hat sich viel zum Positiven verändert: Das Hades hat zuverlässig geöffnet: freitags, samstags und an Abenden vor Feiertagen. Das Programm ist bunt gemischt: Am ersten Freitag im Monat gibt es einen Comedy-Abend mit Andi Mohr von Comedy72: »Comedians können hier ihre neuen Set-ups erproben und Resonanzen sammeln, bevor sie auf die große Bühne gehen.« Am ersten Samstag lädt das Hades zum Kneipenquiz ein. Weitere Säulen sind unter anderem die »schwarze Nacht« für Gothic-Fans oder »Monsters of Metal«. Ein Klassiker ist der musikalisch gemischte Crossing-all-over-Abend. »Jeder Abend hat ein Motto«, erklärt Müller, »manche Abende bedürfen keines großen Aufwands, andere sind sogar mit Kleiderordnung und Spezial-karte.«
Teil des Inventars
Den ersten Kontakt mit dem Club hatte Mathias Müller in der neunten Klasse durch eine Mitschülerin, die Stammgast im Hades war. Ab 2004, mit Beginn seiner Ausbildung, besuchte Müller das Hades zunächst sporadisch. »Dann lud mich ein anderer Azubi ins Clubhaus ein. Ich lernte das Team kennen. Seit dem bin ich praktisch Inventar.« Der 37-Jährige ist gelernter Maschinenbauer, aktuell aber nicht angestellt. »So kann ich meiner Leidenschaft nachgehen und meine ganze Energie in den Verein investieren.« Seit zwei Jahren gibt es sogar einige Veranstaltungen für Kinder von null bis zehn Jahren, etwa zu Halloween oder Ostern, die laut Müller sehr gut angenommen werden. »Wir wollen gezielt sehr junge Leute ansprechen, die in zehn Jahren dann als Jugendliche vielleicht hier aufschlagen.« (GEA)
JUGENDCLUB HADES
Ehrenamtliche Verpflichtungen für die Reutlinger Jugend
Aktuell hat der Verein Jugend in Aktion e. V. 14 Mitglieder, die sich in voll aktive Mitglieder sowie Antragsteller aufspalten. Wer Mitglied werden möchte, hat eine Antragstellerzeit von drei bis sechs Monaten, in welcher die Person lernt, wie alles funktioniert: von der Bar inklusive Barprotokoll über Technik und Sicherungsschrank bis hin zum profanen Putzen – aber auch Organisatorisches wie das Ausrichten von Mitgliederversammlungen und größeren Events. »Außerdem kann der Antragsteller so testen, ob es überhaupt etwas für ihn ist. Denn Mitglied bei Jugend in Aktion zu sein beinhaltet auch Verpflichtungen: regelmäßig Dienste ableisten, an Wochenenden und Abenden vor Feiertagen arbeiten und entsprechend Privattermine opfern – und das auf ehrenamtlicher Basis.« Mathias Müller ist seit etwa eineinhalb Jahren Vorstandsvorsitzender. Neben ihm gibt es zwei weitere Vorstände sowie drei Beisitzer. (jen)