REUTLINGEN. Lángos (gesprochen: Langosch) ist für ihn mehr als ein bloßer Broterwerb. Denn Lángos ist für Károly Canki liebevolle Erinnerung – an die Großmutter, die ihrem Enkel vor einer gefühlten Ewigkeit im Banater Dörfchen Torontálmezövasárhely jene Hefeteigfladen servierte, die der 59-Jährige seit nunmehr fünfzehn Jahren selbst auf dem Reutlinger Wochenmarkt zubereitet. Etlicher Anläufe, sagt Canki, habe es bedurft, bis die ungarische Spezialität exakt so schmeckte wie weiland bei Oma. Und als dieses Kunststück eines Tages tatsächlich gelungen war, erschien das dem Mann mit dem charakteristischen Schnauzbart wie eine kulinarische Reise in die biografische Vergangenheit.
Zuvor hatte der Wahl-Reutlinger an Rezeptur und Zubereitungsprozess »herumexperimentiert«. Und das, obschon er ausgebildeter Bäcker- und Konditormeister ist, also mit Hefe- oder anderen Teigen professionell umzugehen versteht. Trotzdem dauerte es, bis Károly Canki mit dem Ergebnis seiner Bemühungen zufrieden war – und endlich wieder den Geschmack der Kindheit auf der Zunge hatte.
»Die Mehrheit der Kunden greift zum herzhaften Klassiker«
Die Kreation mundete auch seiner Frau Beate und den beiden Töchtern trefflich. Weshalb sich der damals 42-Jährige dazu entschloss, sein Lángos à la Großmama zum Geschäftsmodell zu machen.
Zu diesem Zeitpunkt betrieb Canki einen kleinen Delikatessenladen mit angedockter Bistro-Ecke: der perfekte Platz für eine Probe aufs Exempel. Allerdings eine, die abrupt gestoppt werden musste. Fiel das ungarische Feinkost-Geschäft doch der Metzgerstraßensanierung zum Opfer.
Als die Schließung unumgänglich geworden war, disponierte Canki um. Er kaufte sich einen mobilen Imbissstand und zieht seither von Wochenmarkt zu Wochenmarkt und von Straßenfest zu Straßenfest, um den Schwaben traditionelles Lángos schmackhaft zu machen. Was mittlerweile bestens klappt. Wiewohl ihn die Reutlinger anfangs durchaus skeptisch beäugten, als er anno 2006 erstmals mit seiner rollenden Miniküche im Herzen der City Station machte und Fladenbrote feilbot.
FRISCH VOM MARKT
Über den Wochenmarkt stromern und sich inspirieren lassen von Händlern und Produkten – und sich überlegen, was man daraus zaubern kann. Dazu soll diese GEA-Serie ermuntern. Sie erscheint in loser Folge. (GEA)
Die Laufkundschaft, erinnert er sich an die zähen Anfänge, wollte zunächst nicht recht anbeißen. Den einen war Lángos zu fremd, den anderen erschien der »Snack« zu fettig. Und wieder andere dachten, dass die »ungarische Pizza« – obschon mit dem italienischen Gericht weder verwandt noch verschwägert – eine dubiose Variation des Themas Fladenbrot sei.
Nun, derlei Vorbehalte sind inzwischen gegessen. Denn das Gros derer, die sich auf ein Versucherle eingelassen haben, zählt längst zur Stammklientel des gebürtigen Banaters, dessen Freiluft-Küche als Konstante auf dem Wochenmarkt bezeichnet werden darf. Für Canki ist sie mehr Berufung denn Beruf. Und wenn ihm ein zufriedenes »Hmmm« von jenseits der Theke ans Ohr dringt, »ist das für mich das allergrößte Lob«.
»Was dem Schwaben seine Rote Wurst, das ist dem Ungarn sein Lángos«
Ob es die Achalmstädter lieber süß oder rezent-würzig mögen? »Die Mehrheit greift zum herzhaften Klassiker«, weiß Károly Canki, der indes auch Kunden kennt, die sich Puderzucker übers Käse-Topping stäuben lassen und diese kühne Kreation ohne mit der Wimper zu zucken verputzen. »Einer klatscht sogar einen süßen und einen würzigen Fladen zusammen.« Canki lacht. Er selbst hat derlei Kombinationen noch nie gekostet. Steht er doch definitiv auf deftig. Schmand gehört für ihn zwingend dazu, Knoblauch, Salz und Käse ebenfalls. Und natürlich Paprika. Die ist Pflicht.
»Was dem Schwaben seine Rote Wurst«, so Károly Canki, »ist dem Ungarn sein Lángos.« Beides steht nicht eben im Ruf, Diätkost zu sein. Beides gehört für viele Wochenmarktbummler aber trotzdem fast schon rituell zum Open-Air-Einkauf dazu. Oder zur Mittagspause. Denn Schlag 12 Uhr kommt es vor dem rot-weiß-grün beflaggten Imbissstand berechenbar zur Schlangenbildung.
Das war schon vor Corona so. Wiewohl pandemiebedingte Lockdowns die Nachfrage zusätzlich befeuert haben – ohne dass Canki darob als Profiteur aus der Krise hervorgehen würde. Das Mehr an Wochenmarktgängern habe den Wegfall von Stadt- und Straßenfesten nämlich kaum kompensieren können. Trotzdem will der 59-Jährige nicht klagen. Im Gegenteil. Er ist heilfroh, dass ihm seine rollende Küche die Existenz gesichert hat. Derweil anderes unsicher geworden ist.
Jüngst ging den Eheleuten Canki die Kündigung fürs angemietete Haus in Degerschlacht zu. In absehbarer Zeit muss das Paar umziehen. Nach langen Jahren sei das »extrem bitter.« Umso mehr, als die Situation auf dem Immobilienmarkt bekanntlich zum Zerreißen angespannt ist. »Wir suchen kreisweit nach einer neuen Bleibe« – für zwei Erwachsene und dreihundert Zuckerhasen-Gussformen, die der Konditormeister sein Eigen nennt. Aber das ist noch mal eine ganz andere Geschichte ... (GEA)
DAS REZEPT
Herzhaftes Lángos mit Schmand und Reibekäse
Sein persönliches Lángos-Rezept ist für Károly Canki ein Geschäftsgeheimnis, das er deshalb nicht rausrückt. Statt seiner sei hier eine Alternative offeriert. Zutaten für 6 Fladen (Teig): Zutaten fürs Knoblauchwasser: Zutaten fürs Topping: Zubereitung:
Vom Teig handflächengroße Portionen abtrennen und mit den Händen zu einem flachen Fladen ziehen. Der Rand sollte etwas dicker sein. Öl in einer tiefen Pfanne oder einem großen Topf erhitzen. Teigfladen von beiden Seite Minuten frittieren und auf Küchenpapier abtropfen lassen. Lángos erst mit Knoblauchwasser, dann mit Sauerrahm-Schmand-Masse bestreichen und Gouda darüberstreuen. (GEA)