REUTLINGEN. »Die Demokratie stirbt nicht, aber sie ist in akuter Gefahr«, betonte Stephan Kramer am Freitagabend beim Jahresempfang der Reutlinger SPD im Spitalhof. Der Saal war voll, das Interesse am Präsidenten des Landesamts für Verfassungsschutz Thüringen war offensichtlich groß. Verwunderlich? Es ging um nichts weniger als »um Grundsätzliches, um die Verteidigung der Demokratie«, sagte die Kreisvorsitzende der SPD, Ronja Nothofer-Hahn, zur Begrüßung.
»Hass, Hetze und Gewalt« verbreiten sich laut Nothofer-Hahn immer mehr. Die Demokratie werde laut Kramer sowohl von außen wie von innen angegriffen. Mit dem Krieg in der Ukraine habe Putin nicht nur die Grenzen des Landes verletzt, sondern auch dem »Recht auf Demokratie den Krieg erklärt«. China exportiere das autokratische Weltbild. Und Putin greife mit hybriden Methoden auch Deutschland an – mit Cyberattacken auf Krankenhäuser, auf Infrastruktur, Firmen und auch auf die Wahrheit. Fakenews fluten die Sozialen Medien, »China und Russland versuchen, die Demokratie zu untergraben«, so Stephan Kramer.
Dabei sei Putin jedes Mittel der Destabilisierung recht. Weitere Gefahrenpotenziale: In nahezu allen deutschen Parlamenten sei die AfD vertreten. Mit einfachen Antworten auf komplexe Probleme sowie mit Hass und Hetze habe die Partei die sozialen Räume gekapert – Schulen, Gewerkschaften, Universitäten, im Osten und im Westen. »Die Normalisierung der AfD ist längst in vollem Gang«, so Kramer.
Doch die Probleme bleiben. Wohnungsnot, Pflegenotstand, Bildungskrise, marode Infrastruktur – »der Zweifel wächst, dass die bisherigen Regierungen die Krisen bewältigen können und dann kommen die Rattenfänger«. Die Demokratie müsse aber dringend verteidigt werden, »wo sind die Populisten der Demokratie«, fragte der Thüringer Verfassungsschützer. »Wo ist die Leidenschaft, wo sind die Emotionen für die Bundesrepublik«, rief Kramer mit seiner sehr voluminösen Stimme.
»Bildung heißt auch, denken zu lernen«
Die sogenannten »Sozialen Medien« dürften nicht den Rechtsextremen überlassen werden, »die Medien müssen für die Demokratie genutzt werden – dabei ist das Ablichten einer Aktentasche nicht ausreichend«. Die Wahlen im Osten mit Ergebnissen von weit über 30 Prozent für die AfD hätten gezeigt: »Dort besteht eine starke Sehnsucht nach einem autoritären Staat, nach einer Diktatur der Mehrheit.«
Was zu tun sei, um die Demokratie zu verteidigen? Den »freien Journalismus als Rückgrat unserer Informationsfreiheit stärken«, so Kramer. Eine starke Zivilgesellschaft sei gefragt, das persönliche Engagement in Kirchen, NGOs, Bürgervereinen. Zudem sei politische Bildung notwendiger denn je, »Bildung heißt aber auch, Denken zu lernen«.
Die Demokratie in Deutschland sterbe nicht, sei aber in akuter Gefahr. Gefragt sei jede und jeder, »alle müssen für Fakten eintreten, lasst uns Demokraten in der Praxis sein, denn wir sind Vorbilder«, so Kramer. Deutschland sei »ein demokratisches Versprechen, ein Land des Friedens, der Menschenwürde und der Freiheit«, rief Stephan Kramer. »Demokratie ist eine tägliche Aufgabe.« Abschließend zitierte Kramer: »Wer in einer Demokratie schläft, wacht in einer Diktatur auf.«
»Wir brauchen eine Trendwende bei der kommunalen Finanzierung«
Dorothea Kliche-Behnke, Tübinger SPD-Landtagsabgeordnete, verwies in ihrem Statement auf den gerade ausgehandelten Koalitionsvertrag der vermutlich neuen Bundesregierung: Trotz mancher Mängel gehe es vor allem darum, für dieses Land Verantwortung zu übernehmen. Mert Akkeceli berichtete aus dem Reutlinger Gemeinderat, die SPD setze sich dort für eine Absenkung der Kita-Gebühren um 25 Prozent ein. Und die Fraktion fordere eine gerechtere Grundsteuer.
OB Thomas Keck ging in seinen Ausführungen auf die miserable finanzielle Situation der Kommunen ein: »Wir brauchen eine Trendwende bei der kommunalen Finanzierung«, forderte der Oberbürgermeister. Aber auch die Stimmung im Land müsse sich wandeln: »Deutschland, wovor fürchtest du dich« müsse einem »Deutschland, worauf hast du Lust« weichen. (GEA)