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Demenz: Reutlinger Experten klären auf und geben Tipps

Die Demenzdiagnose ist für viele Familien ein Schock. Reutlinger Ansprechpartner erklären, was es zu beachten gilt und an wen man sich wenden kann.

Rund 1,8 Millionen Menschen in Deutschland haben Demenz. Dennoch sind nur die wenigsten ausreichend über das Krankheitsbild info
Rund 1,8 Millionen Menschen in Deutschland haben Demenz. Dennoch sind nur die wenigsten ausreichend über das Krankheitsbild informiert. Foto: Sven Hoppe/dpa
Rund 1,8 Millionen Menschen in Deutschland haben Demenz. Dennoch sind nur die wenigsten ausreichend über das Krankheitsbild informiert.
Foto: Sven Hoppe/dpa

REUTLINGEN. Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis, erste Verhaltensänderungen und Wortfindungsstörungen: Die Symptome für eine Demenzerkrankung treten schleichend auf. Betroffen sind in Deutschland schätzungsweise 1,8 Millionen Menschen, davon leiden rund 445.000 an Alzheimer, der häufigsten Demenzursache. Bis zum Jahr 2050 könnten die Zahlen auf mehr als 2,8 Millionen Menschen steigen.

»Die Bevölkerung wird nun mal immer älter«, sagt Julia Handel von der Anlaufstelle für Demenz und Lebensqualität (ADELE), »daher kommt es auch zu immer mehr Erkrankungen.« Seit zwei Jahren berät sie Angehörige von Demenzerkrankten und bietet gemeinsam mit einer Haupt- und sechs Ehrenamtlichen Betreuungsgruppen für Betroffene an, dienstags und donnerstags im Augustin-Bea-Haus und der Katholischen Kirchengemeinde St. Andreas in Orschel-Hagen. Hier kommen jeweils fünf bis sechs Menschen mit Demenz zu Kaffee und Kuchen zusammen. »Es ist unglaublich wichtig, dass für die Besucher eine gewisse Regelmäßigkeit entsteht«, erzählt Handel, daher werden die Gruppen klein gehalten und nicht durchgewechselt.

Demenz kann auch jüngere Menschen betreffen

In der Gruppe im Augustin-Bea-Haus sind alle Teilnehmer über 60 Jahre alt. Oft verbindet man Demenz mit dem hohen Alter, doch die Krankheit kann sich auch schon früher ausprägen. Jüngeren Betroffenen wird häufig frontotemproale Demenz, eine der rund 50 verschiedenen Erkrankungen, diagnostiziert. Zu den Symptomen gehören Veränderungen der Persönlichkeit oder im zwischenmenschlichen Verhalten. »In diesen Fällen ist die Situation für die Familie besonders schwer, weil die Erkrankten oft noch mitten im Berufsleben stehen und minderjährige Kinder haben«, berichtet Julia Handel. Bei ADELE bietet sie daher einen Treff für Angehörige von Demenzerkrankten unter 60 Jahren an, um einen Raum für Austausch und gegenseitige Unterstützung zu bieten. Die Diagnose käme bei Betroffenen oft erst spät, da man in diesem Alter gar nicht an die Möglichkeit einer Demenzerkrankung denke oder die Anzeichen nicht erkennt.

»Die Menschen verstecken das oft mit einem Lachen«, erklären Melisa Tabakovic und Davud Karaotukan von der Reutlinger Altenhilfe (RAH). In der Tagespflege Voller Brunnen befinden sich derzeit 30 Menschen, die meisten haben Demenz. Veränderungen im Gedächtnis und Verhalten zu bemerken, ist oft mit Scham für die Betroffenen verbunden. »Dann werden Einladungen abgelehnt und man isoliert sich immer weiter«, sagt Tabakovic, Leiterin der Tagespflege, »das kann dann zu Depressionen führen.«

Finanzielle Sorgen der Angehörigen

Sobald die Krankheit erkannt wurde, sind Angehörige mit der Pflege häufig überfordert. »Die meisten Menschen beschäftigen sich erst nach der Diagnose mit dem Thema Demenz, weil es dafür leider kaum Plattformen gibt«, so Karaotukan. Dazu plagen finanzielle Sorgen die Familie, »weil ihnen meist nicht bewusst ist, dass die Pflegekassen einen Großteil finanzieren.« Daher sei es wichtig, so schnell wie möglich den Pflegegrad einstufen zu lassen. Für Unterstützung kann man sich an Beratungsstellen, wie die »Abteilung für Ältere« der Stadt Reutlingen oder die lokalen Pflegeheime, wenden.

Im Umgang mit Demenzerkrankten ist es wichtig, »in die Schuhe des Gegenübers zu schlüpfen. Man muss die Aussagen der Betroffenen ernst nehmen und darf sie nicht aus ihrer eigenen Welt zerren - das führt nur zu Überforderung und Unverständnis«, berichtet RAH-Pflegedienstleiter Karaotukan. Er und das Team aus 20 Pflegern versuchen in der Tagespflege »keine toten Zeiten« entstehen zu lassen. »Die Leute fliegen sonst aus dem Raster.« Gruppenangebote, wie Gymnastik oder gemeinsame Spiele, beschäftigen die Besucher und verhindern, dass sie sich alleine fühlen oder verlaufen.

Ein besonderes Beleuchtungskonzept

Vor allem zu später Stunde sind Menschen mit Demenz immer wieder zu Fuß unterwegs. Unruhe und das fehlende Bewusstsein für einen natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus hindern die Betroffenen daran, nachts schlafen zu können. Im Seniorenzentrum Oferdingen des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) wurde daher im vergangenen Jahr ein besonderes Licht im Demenz-Wohnbereich eingebaut. Mithilfe einer App lässt sich die Intensität und Farbe der Beleuchtung in den Innenräumen an den Tagesverlauf anpassen. So wird das Licht am Abend schwächer, um die Bewohner auf die Nacht einzustellen. DRK-Reutlingen Geschäftsführer Matthias Schlautmann ist von den Ergebnissen begeistert: »Die Menschen schlafen deutlich besser und sind tagsüber viel aktiver.« Die Kosten von 18.000 Euro, die der Förderverein des Seniorenzentrums mitfinanzierte, hätten sich daher vollends gelohnt. »Es ist ein klarer Mehrwert für das Wohlbefinden der Bewohner«, sagt auch Pflegedienstleiter Stefan Haase.

Das zirkadian gesteuerte Licht im DRK Seniorenzentrum Oferdingen wird an das Tageslicht angepasst.
Das zirkadian gesteuerte Licht im DRK Seniorenzentrum Oferdingen wird an das Tageslicht angepasst. Foto: Matthias Schlautmann
Das zirkadian gesteuerte Licht im DRK Seniorenzentrum Oferdingen wird an das Tageslicht angepasst.
Foto: Matthias Schlautmann

Matthias Schlautmann hofft, dass noch mehr Pflegeheime das Lichtkonzept für sich entdecken, da »es ohnehin zu wenig Plätze für Demenzerkrankte gibt und so etwas die Arbeit der Pfleger entlasten kann«. Eine bessere Lebensqualität in den Tagesstätten erleichtert auch den Umgang mit Betroffenen für die Angehörigen. Doch damit auch jeder das nötige Wissen hat, um sich um seine Liebsten bestmöglich kümmern zu können, »müssen wir uns alle endlich trauen, offen darüber zu sprechen«, sagt ADELE-Ansprechpartnerin Julia Handel. »Demenz darf kein Tabuthema mehr sein.« (GEA)

Ansprechpartner und weitere Infos zum Thema Demenz

Melisa Tabakovic (RAH): 07121 9280-617
Anlaufstelle für Demenz und Lebensqualität 
Stationäre Pflege 
Pflegestützpunkt