REUTLINGEN-DEGERSCHLACHT. Es ist keine Kapelle wie jede andere. Die Degerschlachter Blasmusik ist in mancherlei Hinsicht etwas Besonderes. Oder welcher Musikverein kann schon von sich behaupten, nicht nur mehrmals durch die USA getourt zu sein, sondern auch Seit' an Seit' mit Stars wie Heino, Gotthilf Fischer, Marianne und Michael, Ernst Holm, Chris Roberts oder Western Union gespielt zu haben? Ein Name fällt dabei immer wieder, wenn die Vorstandsmitglieder von diesen glanzvollen Zeiten berichten: Erwin Nothacker. Der Pädagoge und passionierte Musiker, der mehrere Instrumente sowohl spielte als auch unterrichtete, übernahm im Jahr 1974 den Taktstock von Willi Rist. Und er »behielt ihn so lange in der Hand wie kein anderer Dirigent vor ihm«, erzählt der Vorsitzende Steffen Schwartz.
Drei USA-Touren in den 1980er-Jahren
37 Jahre waren es am Ende – »eine Zeit, die prägend war«, sagt Schwartz, »er hat aus einem klassischen Musikverein die Degerschlachter Blasmusik gemacht«. Die hat sich neben traditioneller Blasmusik nicht nur den Egerländerklängen gewidmet, sondern auch Tanzmusik und Big-Band-Sound ins Programm aufgenommen. »Erwin hat viele moderne Sachen reingebracht«, blickt der heutige Sänger Steffen Schwartz zurück, dessen Vater bereits aktiver Musiker war. Mit Wilfried Haselberger als Vorsitzendem stand damals ein Duo an der Vereinsspitze, das vieles ermöglichte. Haselberger war weit über die Landesgrenzen hinaus als Moderator der Volksmusiksendung »Mit Pauken und Trompeten« sowie Freund und Förderer der Geschwister Hofmann bekannt war. Er war denn auch die treibende Kraft für die drei Reisen nach Übersee in den 1980er-Jahren.
Nach zweijähriger Vorbereitungszeit startete die Kapelle am 16. Juli 1980 zur langersehnten ersten Amerikatour. Wichtige Stationen waren das Heritage-Fest der Concord Singers in New Ulm/Minnesota, ein großes, über alle Rundfunk- und Fernsehstationen ausgestrahltes Konzert in St. Louis sowie ein Konzert in der Christ Church Kathedrale in St. Louis. Das habe durchaus Strahlkraft gehabt für den Verein, weiß Schwartz aus eigener Erinnerung. So manch ein Musiker fand daraufhin den Weg in die Reutlinger Teilortsgemeinde: Bis zu 35 Musiker spielten zu den besten Zeiten in der Kapelle.
Auch hierzulande gab es große Auftritte und Erlebnisse für die Musikanten: Mehrere Tonträger wurden aufgenommen, die Degerschlachter spielten auf der Landesgartenschau und beim Hafenkonzert in Friedrichshafen, sie wurden in die weißblaue Hitparade und zu den »Lustigen Musikanten« eingeladen. Ihre Musik wurden im Radio gespielt, im Fernsehen gezeigt, sie sorgten in Hallen und auf Messen für Stimmung. »Es war schon Wahnsinn, was damals lief«, so Schwartz.
Gottlob Haußmann gründet den Verein
Eine solche Entwicklung hat im Gründungsjahr wohl keiner vorhergesehen. Am 1. November 1924 trafen sich 22 Gründungsmitglieder im Gasthof Lamm, um den Musikverein aus der Taufe zu heben. Die Initiative dazu stammte von Gottlob Haußmann, der während des Ersten Weltkriegs im Musikzug gespielt hatte und der so das gemeinschaftliche Musizieren für sich entdeckt hatte. Etwas, das er auch in Friedenszeiten weiter pflegen wollte. Betzinger Musiker hatten ihm nach dem Krieg ein Ständchen zu seiner Hochzeit gespielt: Das brachte Haußmann auf die Idee, eine eigene Kapelle am Ort zu etablieren.
Programm und Karten im Vorverkauf
Den Jubiläumsauftakt bildet ein Festabend am Samstag, 27. April, mit den Kaisermusikanten. Diese bieten Blasmusik auf höchstem Niveau mit unverkennbarem eigenem Stil. Das »Warm-up« übernehmen die Gastgeber selbst: Gemeinsam mit Oberbürgermeister Thomas Keck eröffnet die Degerschlachter Blasmusik den Abend. Beginn ist um 18 Uhr.
»Party total« verspricht dann die zweite Veranstaltung – »die Jubiläums-Dirndl-Party« am Vorabend zum 1. Mai. Zunächst spielt die Band »Brassbrutal«, die musikalisch von Hip-Hop über Brass bis zu Rockklassikern so ziemlich alles im Gepäck hat. Als Topact und Publikumsmagnet ist es der Degerschlachter Blasmusik gelungen, »Die Draufgänger« für einen Auftritt zu gewinnen. Beginn ist am 30. April um 18 Uhr.
Der 1. Mai ist in Degerschlacht traditionell ein Tag der Blasmusik, und wird es in diesem Jahr noch mehr sein. Zunächst sorgen der Musikverein Weilheim und der Verein Tanzstern ab 11 Uhr für Unterhaltung. Bei schönem Wetter wird es außerdem ein Rahmenprogramm mit Kinderschminken, Hüpfburg und vielem mehr geben. Ab 17 Uhr serviert dann die »Föhrenberger Blasmusik« nochmals musikalische Leckerbissen.
Karten für die Konzerte am 27. und 30. April gibt es im Vorverkauf bei allen Vorverkaufsstellen des GEA in Reutlingen, Metzingen und Pfullingen sowie per Mail. (awe)
tickets@gea.de
An Ostern 1925 wagte diese den ersten Auftritt: Sie spielte an mehreren Orten im Dorf und wurde mit viel Applaus bedacht. Ab 1929 gab es vermehrt Rückschläge für den noch jungen Verein: Zunächst war er gebeutelt von der Weltwirtschaftskrise, dann vereinnahmt von den Nationalsozialisten, später aufgrund der Einberufungen von Musikern in den Krieg nicht mehr spielfähig, und nach Kriegsende galt auch für Musikvereine das Versammlungsverbot.
1948 wurde schließlich die ersehnte Neugründung genehmigt, im Jahr 1954 die ursprüngliche Satzung wieder in Kraft gesetzt. Bis Mitte der 1970er-Jahre war der Musikverein vorwiegend regional unterwegs, spielte bei Feierlichkeiten im Ort, aber auch bei Wertungsspielen im Kreis und das durchaus mit Erfolg. 1978 besorgte man sich einheitliche Uniformen. Diese haben bis heute Bestand, der 100. Geburtstag ist da ein willkommener Anlass für die Musiker, sich neu einzukleiden. Es folgten die erwähnten Zeiten unter Wilfried Haselberg und Erwin Nothacker, der 2011 den Dirigentenstab abgab. »Es ist fast unmöglich, für diese eierlegende Wollmilchsau Ersatz zu finden«, blickt Schwartz zurück.
Es gab es mehrere Wechsel, und seit der Pandemie spielt die Kapelle sogar komplett ohne einen Dirigenten. Das funktioniere eigentlich überraschend gut, berichten Schwartz und Mehnert. Während Corona hat der Verein etliche Mitstreiter verloren, vor allem Ältere, die aufhörten, aber auch Jugendliche, für die es ebenfalls keinen Leiter mehr gab. Die Musiker im mittleren Alter beschlossen, dennoch weiterzumachen – übergangsweise sogar ohne Dirigent. »Wir spielen seit vielen Jahren zusammen«, erzählt Mehnert, das habe das Zusammenspiel enorm erleichtert – auch ohne einen, der vorne steht, um den Einsatz vorzugeben. Allerdings seien sie auch eine recht kleine Truppe, manche Stimmen sind nur einmal besetzt.
Eine junge Kapelle: Das Durchschnittsalter ist 37
Rund 20 aktive Musiker hat die Degerschlachter Blasmusik in ihrem Jubiläumsjahr, das Durchschnittsalter liegt gerade mal bei 37 Jahren, davon können andere Kapellen nur träumen. Im Moment spielen sie Aufnahmen im Tonstudio ein, mit einem engagierten Profidirigenten, der sie dafür in die Spur bringe, wie sie grinsend erzählen. Denn irgendwann, das ist klar, wollen die Musiker wieder einen Dirigenten und auch eine aktive Jugendkapelle. Diese Baustellen gehen die Vereinsmitglieder nach dem großen Jubiläum an. Denn jetzt heißt es erst einmal, den runden Geburtstag ordentlich zu feiern. »Es ist uns wichtig, dass wir es da richtig krachen lassen«, sagt Schwartz, an drei Tagen wird Degerschlacht zum Mekka der Blasmusik. Der Verein baut ein großes, beheiztes Festzelt auf, mit Unterstützung anderer Vereine wird für die Verpflegung der Gäste gesorgt und zudem ist es gelungen, ein abwechslungsreiches musikalisches Programm auf die Beine zu stellen. »Herzlichen Glückwunsch«, kann man da nur sagen. (GEA)


