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Das Reutlinger Nepomuk kämpft weiter ums Überleben

Die Reutlinger Kulturkneipe ringt mit der Insolvenz, im Moment fehlt es vor allem an Arbeitskräften.

Timo Schindler vom Nepomuk.
Timo Schindler vom Nepomuk. Foto: Jessica Müller
Timo Schindler vom Nepomuk.
Foto: Jessica Müller

REUTLINGEN. Das Nepomuk, früher Café, jetzt selbstverwaltete Gastronomie Unter den Linden, besteht seit über 30 Jahren in Reutlingen – doch nun droht der Kulturkneipe pandemiebedingt das Aus. Schon zum zweiten Mal innerhalb von zwei Jahren sahen sich die Mitarbeiter des Nepomuks aufgrund einer drohenden Insolvenz dazu gezwungen, einen Spendenaufruf zu starten (der GEA berichtete). Im vergangenen Jahr konnte sich die Gastronomie dank der erhaltenen Spenden von fast 40 000 Euro über Wasser halten, doch die fünfte Corona-Welle droht den Betrieb nun endgültig zu überrollen, berichtet Timo Schindler vom Nepomuk. Die Überbrückungshilfe III sei nur in Teilen ausgezahlt worden, weitere Hilfsgelder ließen auf sich warten, das Kurzarbeitergeld sei im Januar gekürzt worden, und die Kosten liefen weiter, erzählt Schindler.

In den vergangenen Wochen hätten 60 Unterstützer bereits knapp 10 000 Euro gespendet. Allerdings würden im Moment jeden Monat etwa 6 000 Euro benötigt, um die Existenz des Kulturcafés bis zum Sommer zu überbrücken. Sobald die Temperaturen wieder steigen, werden die Besucherzahlen das auch wieder tun – das sei zumindest die große Hoffnung im Nepomuk. Bis dahin müsse das Bestehen des Unternehmens anders gesichert werden, betonte Schindler. Nun komme es vor allem auf willige Arbeitskräfte an.

Notstand bis zum Sommer

Gastronomiebetriebe haben sehr unter den Folgen der Pandemie gelitten. Doch Betriebe mit Biergärten habe es insbesondere 2021 noch etwas härter getroffen, meint Timo Schindler. Der Sommer sei vermehrt durch Regentage gezeichnet gewesen, warme Sommerabende seien eher vereinzelt zu genießen gewesen. Das mache sich auch in einem Jahr ohne Corona am Umsatz bemerkbar.

Die Lage ist ernst. Im Sommer müssen die Besucherzahlen wieder steigen. FOTOS: MÜLLER
Die Lage ist ernst. Im Sommer müssen die Besucherzahlen wieder steigen. Foto: Jessica Müller
Die Lage ist ernst. Im Sommer müssen die Besucherzahlen wieder steigen.
Foto: Jessica Müller

Die zusätzlichen, pandemiebedingten Belastungen der vergangenen zwei Jahre hätten dem Nepomuk dann noch einmal mehr zu schaffen gemacht, das zeige sich in der Bilanz. Im Jahr 2021 sei der Betrieb mit 72 000 Euro im Minus gewesen, durch die Pandemie habe das Nepomuk Einbußen von etwa 60 Prozent gehabt, so Schindler. Allein um den verbliebenen Mitarbeitern ihren Lohn zahlen zu können, müsse man mit 20 000 Euro rechnen. Hinzu kämen Ausgaben für die Anschaffungen neuer Küchengeräte, bei denen man auf staatliche Hilfe gesetzt hatte. Doch die bleibt nun aus, und somit häufe sich der Schuldenberg jeden Monat weiter. Die Stadt stundet die Pacht noch bis Ende März 2023, doch wie es dann weitergeht, das weiß niemand.

Selbstverwaltung gescheitert?

Was das Nepomuk ausmache, sei vor allem, »dass es selbstverwaltet ist«, so Schindler. Es gebe eine »durchlässige Hierarchie«, in der jeder die gleichen Möglichkeiten habe, seine Meinung zu äußern und Probleme anzusprechen. Auch hatte es vor der Pandemie keine festen beruflichen Positionen gegeben, sondern nur lockere Gruppierungen. Jeder konnte überall mal »reinschnuppern« und alles lernen. Das sei ein wichtiger Aspekt der Selbstverwaltung, sagt Schindler. Aufgrund des abnehmenden Personals habe man dieses System aber vorerst abschaffen müssen.

Auch durch »Vielfältigkeit und Nachhaltigkeit« zeichne sich das Nepomuk aus, erzählt Schindler. »Hier spielt es keine Rolle, woher jemand kommt oder in welcher Lebenssituation man sich gerade befindet.« Jeder habe eine Chance, sich hier zu beweisen. Es gebe einen Einheitslohn, und das Trinkgeld werde immer unter allen geteilt, erklärt Schindler. Im Sinne der Nachhaltigkeit kämen die meisten Zutaten aus der Region.

Hilfe kommt auch vom Kulturzentrum franz.K, in dem das Nepomuk untergebracht ist. Das franz.K hatte sich vor 15 Jahren vom Nepomuk getrennt, wie Andreas Roth, der Geschäftsführer des Kulturzentrums, in Erinnerung ruft. Jedoch seien sie gedanklich noch immer durch die ursprüngliche Idee mit dem Café verbunden, einen Ort für Kultur und Zusammenkunft in Reutlingen zu bieten. »Die Zusammenarbeit mit der Gastronomie ist für das franz.K elementar«, so Roth. »Für das Gesamtkonzept ist eine Ergänzung von Bühne und Kneipe von besonderer Bedeutung. Es sind vor allem die Gespräche, die dort geführt werden, mit denen auch das Nepomuk zu einem kulturellen Handeln beiträgt.« Und auch durch die Ausstellungen von Kleinkünstlern im Nepomuk steuere die Kneipe einen Teil zur Reutlinger Kultur bei.

Blick in die Zukunft

Für den Sommer sei es nun besonders wichtig, die Gastronomie für Arbeitssuchende wieder attraktiver zu machen, betont Timo Schindler. Von den ehemals 40 Mitarbeitern seien gerade einmal 20 geblieben, und von neun benötigten Servicekräften habe er noch drei. »Das muss sich ändern«, sagt Schindler, denn sonst müsse gar noch auf Selbstbedienung umgestiegen werden. Er hoffe, dass er durch 6,5-Stunden-Schichten und einen Stundenlohn von zwölf Euro neue Mitarbeiter für das Nepomuk begeistern könne. Wird das Nepomuk es durch die Krise schaffen? Im Moment entscheiden die Betreiber von Monat zu Monat, ob und wie es weiter geht, sagt Timo Schindler. Solange die Leute noch gerne ins Nepomuk kämen, sei für ihn und seine Kollegen jedoch klar: »Wir werden weiter kämpfen.«

Im Zusammenhang mit der Personalfrage spricht Schindler auch über die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung im Nepomuk. »In der heutigen Zeit lernen die jungen Menschen nicht mehr, wie man sich selbst- und eigenständig im Beruf orientiert. Es wird darauf gewartet, dass einem genau gesagt wird, wie und wann man etwas zu erledigen hat.« Das Nepomuk biete gerade jungen Menschen die Möglichkeit, kreative Lösungsansätze zu finden. Hier könnten sie viele verschiedene Tätigkeiten und Fertigkeiten erlernen und sich selbst ausprobieren.

Geldtopf für alle

Auch für neue und eher unkonventionelle Ideen sei er zu haben. »Wenn beispielsweise ein Physiotherapeut hier im Nebenzimmer Massagen für gestresste und verspannte Geschäftsleute machen will, hätte ich da erst mal nichts dagegen. Es gibt in diesem Gewerbe viele Inklusionsmöglichkeiten.«

Eine solche Idee sei zum Beispiel sein Konzept einer »solidarischen Gastronomie«. Jeden Monat könne man einen selbstbestimmten Geldbetrag in einen Topf einzahlen und dann kostenlos im Nepomuk essen, bis der Fond ausgeschöpft ist. Ähnliche Konzepte würden zeigen, dass Menschen ohne Geldprobleme meist mehr Geld geben, als sie tatsächlich brauchen, das aber seltenst korrigieren. So kann auch jemand mit einem geringeren Einkommen gelegentlich etwas mehr essen als sonst. »Im Moment fehlt es bei der Umsetzung dieses Projekts an einer organisatorisch motivierten und engagierten Person, die sich der Sache annimmt«, sagt Schindler. (GEA)