REUTLINGEN. Professor Dr. Florian Kapmeier unterrichtet an der Hochschule Reutlingen und gibt Workshops, in denen Klimakonferenzen in Rollenspielen durchgespielt werden.
GEA: Herr Kapmeier, was meinen Sie, wie wird die Welt in 100 Jahren aussehen?
Florian Kapmeier: Mein persönliches Szenario ist, dass wir es geschafft haben, unter eine Erderwärmung von zwei Grad Celsius zu kommen. Wenn ich einen Workshop mit World Climate gebe (siehe oben), gehe ich mit viel Hoffnung da raus. Es ist ja alles da, um das Ziel zu erreichen: Wir können mit einem Mix aus bestehenden Technologien und Handlungsweisen erreichen, dass wir auf eine Erwärmung von unter zwei Grad kommen. Climate Interactive, der amerikanische Think-Tank, mit dem ich seit vielen Jahren zusammenarbeite, stellt nächste Woche den neuen Klimasimulator En-Roads, vor, mit dem jeder testen kann, auf welche Weise dieses Ziel erreicht werden kann.
Welche Auswirkungen hätte eine ambitionierte Bekämpfung des Klimawandels auf unser Leben?
Kapmeier: Unser Leben könnte schon in 15 bis 20 Jahren ganz anders aussehen. Wir würden weniger mit fossilen Brennstoffen unterwegs sein und mehr zu Fuß, mit dem Fahrrad und öffentlichen Verkehrsmitteln. Ein Co-Nutzen würde sein, dass es uns gesundheitlich besser geht, weil wir uns mehr bewegen. Die Luft würde sauberer sein, die Städte ruhiger und grüner, weil es mehr Bäume gäbe. Die Autos würden eher elektrisch betrieben sein – und mit Strom aus erneuerbaren Energien gespeist. Wir würden weniger Fleisch und mehr Pflanzen-basiert, mehr Produkte aus ökologischer Landwirtschaft und damit gesünder essen. Das würde einen großen Fortschritt für das Tierwohl bedeuten. Der vorletzte Woche veröffentlichte Bericht des renommierten Lancet Countdown besagt, dass die Menschen durch gesündere Ernährung, mehr Bewegung und weniger Luftverschmutzung auch weniger an chronischen Atemwegserkrankungen, Diabetes, Herzkreislauferkrankungen und Krebs erkranken würden.
Das hört sich schön an. Und was ist mit den wirtschaftlichen Folgen? Sind Klimaschutzmaßnahmen gleichzeitig Wohlstandskiller?
Kapmeier: Die Ängste von Menschen, die in den betroffenen Bereichen arbeiten, sind berechtigt. Aber dieser Wandel wird ohnehin kommen. Die deutsche Solarbranche war Vorreiter bei der Solarenergie, das ist nun nicht mehr so. Die deutsche Windenergiebranche ist jetzt auch dabei, ihre Vorreiterrolle aufzugeben, weil es Blockaden gibt. Wenn wir am Bestehenden festhalten, werden wir uns langfristig keinen Gefallen tun. Die Kosten, die durch den Klimawandel auf uns zukommen, werden um ein Vielfaches höher sein, als wenn wir das jetzt schon angehen. Das Problem ist, dass diese Kosten in der Zukunft liegen und uns heute noch nicht direkt betreffen. Aber welche Last bürden wir damit unseren Kindern auf?
Wie wichtig sind die lokalen Akteure? Macht es bei diesem globalen Problem überhaupt Sinn, im Kleinen etwas zu tun?
Kapmeier: Unbedingt. Jedes Zehntelgrad, um das wir die Erderwärmung verringern können, zählt, um größere Katastrophen zu verhindern.
Welchen Einfluss hat Greta auf die Klimadebatte?
Kapmeier: Enorm. Greta Thunberg hat in den letzten 15 Monaten den Diskurs maßgeblich geprägt. Sie spricht ihre Botschaft laut und schonungslos aus und junge Menschen an, die die Auswirkungen des Klimawandels besonders treffen werden.
Wie hat sich das Denken der Entscheider seit Greta verändert?
Kapmeier: Noch nicht ausreichend, wenn wir uns die Handlungen anschauen. Ich war überrascht vom Klimapaket. Die Enttäuschung war groß. Es gehen so viele Menschen auf die Straße, die Schüler, Eltern, Großeltern, Ärzte und Unternehmer. Es gibt wahrscheinlich zu viel Angst, eine Wahl zu verlieren. Aber der Klimawandel erfordert mutige und weitsichtige Entscheidungen, eine Transformation über alle Teile der Gesellschaft. (ele)
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