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Aktuell Interview

Campus: Vielfalt statt Einfalt

REUTLINGEN. »Wer nicht vielfältig denkt, denkt einfältig«. Mit diesem Spruch machen Studierende der Hochschule Reutlingen in einem Videoclip auf das Thema Diversity aufmerksam. Doch was verstehen wir eigentlich darunter? Seit September letzten Jahres ist Professorin Dr. Gabriela Tullius Vizepräsidentin der Hochschule Reutlingen und widmet sich unter anderem diesem Bereich. GEA-Campus hat nachgefragt, worum es bei Diversity geht und warum dieser Bereich die Hochschule beschäftigt.

Die Dritte im Bunde der Vizepräsidenten: Gabriela Tullius. FOTO: HOCHSCHULE
Die Dritte im Bunde der Vizepräsidenten: Gabriela Tullius. FOTO: HOCHSCHULE
Die Dritte im Bunde der Vizepräsidenten: Gabriela Tullius. FOTO: HOCHSCHULE
GEA: Was bedeutet Diversity für die Hochschule Reutlingen? Gabriela Tullius: Der Begriff kommt aus der US-amerikanischen Diversity-Debatte der 60er-Jahre und wurde von Unternehmen aufgegriffen. Die Idee war mehr Chancengleichheit unabhängig von Hautfarbe oder Geschlecht zu schaffen. Wir verstehen darunter die Vielfalt unserer Hochschulangehörigen, wobei wir Schwerpunkte auf die Bereiche Internationalität, Gender und heterogene Bildungsbiografien gesetzt haben. Das bedeutet, die Hochschule möchte, dass jeder unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder akademischem Hintergrund sein optimales Leistungspotenzial entfalten kann. Wir sind auf der Suche nach den besten Talenten und möchten dafür sorgen, dass diese hier alle gleichermaßen eine Wertschätzung erfahren. Das gilt für Studierende natürlich genauso wie für die Mitarbeiter und Professoren. Wie sieht diese Wertschätzung aus?

Tullius: Wir tolerieren keine Diskriminierung. Unser Bildungsauftrag beinhaltet es auch, den jungen Menschen den Umgang mit Vielfalt zu vermitteln. Unsere Studierenden arbeiten von Beginn an über Kulturen hinweg zusammen. So lernen sie im Alltag von der Vorlesung bis zur Mensa, auch andere Werte zu schätzen und respektvoll miteinander umzugehen. Interkulturelle Trainings oder Bewusstseins-Schulungen verstärken diesen Effekt. Gerade in Gruppen zeigt sich auch oft, dass Vielfalt Innovation hervorbringt und jeder dank seines unterschiedlichen Hintergrunds auch andere Ideen und Erfahrungen einbringen kann.

Welche Herausforderungen bringt die Diversität mit sich? Tullius: Ziel für Studierende ist der erfolgreiche Studienverlauf, egal mit welchen Voraussetzungen und unter welchen Umständen sie studieren. Diese heterogene Studierendenlandschaft beinhaltet unterschiedliche Vorgehensweisen, Bedürfnisse und Kenntnisse. Brückenkurse können helfen, diese Kenntnisse wieder auf einen Stand zu bringen. Individualisierte Lehre ist hier ein weiteres Stichwort. Allen optimale Entfaltungsmöglichkeiten zu bieten, heißt aber zum Beispiel auch, Studierende mit Kind zu unterstützen oder einen Nachteilsausgleich für Menschen mit Handicap zu schaffen. Da bekommt jemand mit chronischer Sehnenscheidenentzündung unter Umständen mehr Zeit für eine Prüfung – das erfordert auch Toleranz der Mitstudierenden. Hier habe ich bisher aber großes Verständnis von allen Seiten mitbekommen.

Die Hochschule beteiligt sich am Audit »Vielfalt gestalten«, was heißt das? Tullius: Der Stifterverband für die deutsche Wissenschaft ermutigt und unterstützt Hochschulen dabei, Strategien für das Diversity-Management zu entwickeln. Wir werden das Audit in diesem Frühjahr abschließen, was nicht bedeutet, dass die Arbeit damit endet. Wir arbeiten weiterhin daran, Bewerber zum Studium zu ermutigen, die nicht vorweg akademisch geprägt sind, Stichwort Arbeiterkind. Dafür kooperieren wir verstärkt mit Schulen, um frühzeitig den Kontakt zur Hochschule herzustellen und Schnupper-Angebote vor Ort anzubieten. Ich habe Studierende erlebt, denen ein Studium von Haus aus nie zugetraut worden ist und die jetzt erfolgreich im Job sind. Es gilt also auch, Barrieren im Kopf abzubauen. Tullius: Strukturen müssen geschaffen werden, die das Diversity-Management unterstützen. Wir sind bereits mit einigen Ansprechpartnern gut aufgestellt, nicht alle Studierenden wissen jedoch davon. Wir haben eine Servicestelle Familie, Gleichstellungsbeauftragte, das Reutlingen International Office, einen Ethikbeauftragten und eine Ansprechpartnerin für Flüchtlinge. Letztere sollen durch ein Orientierungssemester und Sprachkurse unterstützt werden, da läuft derzeit die Konzeption, doch solche Projekte benötigen auch finanziellen Halt. Wir beteiligen uns außerdem an der Charta der Vielfalt und möchten auch den diesjährigen Diversity-Tag mitgestalten. Auch unser Studierendenparlament will sich künftig verstärkt dem Thema Diversity widmen – es geht uns immerhin alle etwas an. (HS)