REUTLINGEN-BRONNWEILER. Misteln schneiden hält frisch. Und kräftig. Wer schon mal den Akku-Hochentaster in die Hand genommen hat, weiß: Er ersetzt das Fitnessstudio. Das weiß niemand besser als die Mistelbekämpfer der Naturschutzgruppe des Bronnweiler Albvereins. Der harte Kern der Truppe (»wir haben alle haben eine Sieben vorne dran«) hat ein ambitioniertes Ziel: die Gemarkung Bronnweiler mistelfrei machen.
Werde dem Schmarotzer nicht konsequent Paroli geboten, gebe es in 20 bis 30 Jahren keine Apfelbäume mehr auf der Dorfgemarkung – und irgendwann kein Kulturgut Streuobstwiesen mehr in der Region. Das machen Willi Neu, Uli Römer, Wolfgang Lutz, Dieter Leyhr und Rolf Baisch beim Schautermin mehr als deutlich.
Jahr für Jahr müssen die »Halbschmarotzer« (Fotosynthese machen sie selbst) entfernt werden. Vögel sorgen sonst für ihre Verbreitung. Sie fressen an befallenen Bäumen die Mistelbeeren und verteilen über den Kot den Samen auf neue Wirte, bevorzugt Apfelbäume. Das klebrige Beerensekret haftet zudem an Gefieder und Schnabel der Tiere, auch so gelangt es etwa beim Schnabelputzen zum nächsten Baum.
Die Mistel schwächt den Baum kontinuierlich
Bis sich dort die typischen vor allem im Winter weithin sichtbaren Büschel ausbilden, dauert es ein paar Jahre. Dann reiche es nicht, die Misteln nur abzuschneiden. Ihre Wurzeln wachsen im Ast, erläutert Uli Römer. Deshalb muss dieser mindestens 30 bis 50 Zentimeter hinter der befallenen Stelle (gen Stamm) abgeschnitten werden. Das Schneiden ist dabei nur ein Teil der Arbeit. Insbesondere nach einer Radikalkur muss jede Menge Schnittgut auf dem Häckselplatz entsorgt werden.
Die Mistel ist eigentlich eine Heilpflanze, vertreibt altem Glauben nach böse Geister und nährt gerade im Winter die Vögel. Sie kann bis zu 70 Jahre alt werden. Für den Wirt ist die Untermieterin jedoch eine Plage. Sie entzieht dem Baum Wasser und Nährstoffe auch in der Ruhezeit im Winter und schwächt so die Pflanze kontinuierlich, erläutert Uli Römer. Das Schneiden im Winter sei sinnvoll, »weil man da die Misteln gut sieht«.
Die Bronnweiler Ehrenamtlichen gehen das Eindämmen des Befalls nun generalstabsmäßig an. Bei einer Begehung hat man 75 Flurstücke begutachtet, auf denen sich die Verbreitungskünstlerin labt. 40 Bäume auf städtischem Grund haben die Mannen allein diesen Winter schon von der Schmarotzerin befreit. Radikaler Befall, radikaler Schnitt, so das Grundrezept. Zugleich muss geschaut werden, dass der Eingriff den Baum nicht zu sehr schwächt. Deshalb gilt es, frühzeitig aktiv zu werden.
Willi Neus Mistel-Alarmaktionsplan
Problem: 90 Prozent der befallenen Bäume, die die Truppe ausgemacht hat, stehen auf privatem Grund. Ein Aufruf im Gemeindeblatt, sich um die Entfernung der Schädlinge zu kümmern, habe keine Wirkung gezeitigt, berichtet Willi Neu. Derweil nehme das Problem auch in Bronnweiler zu.
Der Grund: Die Streuobstwiesen werden zunehmend weniger gepflegt. Hier setzt der »Mistel-Alarmplan« an, den Willi Neu entworfen hat. Städte und Gemeinden sollen Grundstückeigentümer anschreiben und zur Entfernung der Misteln auffordern. Unter anderem Fristsetzung und die Ansage, ein Unternehmen für die Schnittarbeiten zu beauftragen, sollen Baumbesitzer zu eigenem Handeln ermutigen. Die Naturschützer des Bronnweiler Albvereins seien »führend« in Sachen Mistelbekämpfung, betonen die Männer. Sie hoffen auf »Signalwirkung« auch in Sachen rechtliche Klärung. Gerne sähe man die Bronnweiler Ideen auch als Modellprojekt mit Landesunterstützung.
Der Einsatz für das Kulturgut Streuobst erntet nämlich nicht nur Lob und Dank. Entlang der Kreisstraße hoch gen Alteburg hat Willi Neu auf Stadtgrund im Alleingang 20 Bäume mistelbefreit. Das habe ihn, Entsorgung noch nicht eingerechnet, 15 Stunden Arbeit gekostet und vereinzelt auch Schelte eingebracht – wegen der stark gestutzten Bäume. (GEA)