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Breuninger: Kaufrausch am Reutlinger Marktplatz

Ende des Monats schließt Breuninger nach 30 Jahren seine Pforten in Reutlingen. Welche Spuren der Rabattrausch im Modehaus hinterlässt.

Breuninger geht. Fahrräder vor den verklebten Schaufenstern machen deutlich, was sonst noch fehlen könnte am Marktplatz.
Breuninger geht. Fahrräder vor den verklebten Schaufenstern machen deutlich, was sonst noch fehlen könnte am Marktplatz. Foto: Frank Pieth
Breuninger geht. Fahrräder vor den verklebten Schaufenstern machen deutlich, was sonst noch fehlen könnte am Marktplatz.
Foto: Frank Pieth

REUTLINGEN. Endspurt bei Breuninger am Marktplatz. Am 30. November schließt das renommierten Modeunternehmen am Reutlinger Standort nach knapp 30 Jahren seine Türen: Satte Rabatte auch auf Edelmarken machen das Geschäft seit vergangener Woche zum Mekka der Schnäppchenjäger.

Für »Powersale« wirbt eine sympathische Männerstimme im Modehaus. Was manche reichlich ernst nehmen: Sie verausgaben sich beim Anprobieren so sehr, dass die Kraft zum Aufräumen der Ware nicht mehr ausreicht.

Am Samstag fand der Kaufrausch einen vorläufigen Höhepunkt. Heike möchte ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen. »Entsetzlich« sei es am Samstag gewesen, weiß sie von einer Freundin. Sie ist deshalb erst am Montag gekommen, um in aller Ruhe zu stöbern. Da sieht der Laden schon wieder manierlicher aus. Das Personal gibt sein Bestes. Unordnung geht gegen die Ehre. »Kennen Sie meinen Laden noch?«, ruft eine Verkäuferin einer Kundin zu. »So sah der noch nie aus.« Der zerwühlte Pullover-Tisch mit dem »Boss«-Schild mittendrin gäbe ein prägnantes Fotomotiv her. Doch die Unternehmenskommunikation winkt auf Nachfrage ab. Zeitungsfotos erforderten eine offizielle Anfrage, die aber nur in Ausnahmefällen genehmigt werden könne.

»Kennen Sie meinen Laden noch? «

Auch am Montag empört sich eine Kundin über das Verhalten des teils exquisiten Publikums und wechselt die Kabine, die voll mit Ware der Vornutzerinnen ist, selbst am Boden verknäulen sich Cashmere-Pullis: »Wie Frauen sich benehmen können«, schimpft sie. Eine andere kommentiert das Wühltischverhalten mit. »Wie wenn's nichts geben tät.«

»Schrang«, »Schrang«: Das Schaben von Kleiderbügeln auf Garderobestangen ist derweil die vorherrschende Geräuschkulisse auf allen Etagen. Fokussierte Schatzsuche bestimmt das Geschehen. Gerade auch in den Abteilungen, in denen Herrenmode feilgeboten wird. Ein junger Anzugträger eilt mit einem Packen Kleidung und Accessoires auf dem Arm zwischen Ständern, Warentischen und Regalen hin und her. Keine Zeit hat er für Kommentare. »Ich wollte schon längst weg sein. Habe nur Mittagspause.« Evangelos Soteriou hat mehr Zeit, ist eigens aus dem fernen Stuttgart-Zuffenhausen angereist, »um schöne Sachen« zu kaufen.

Andere Herren sitzen derweil ergeben in den Sesseln der Abteilung »Damen Exquisit« in Erwartung weiterer Funde, die ihnen die im Jagdfieber entflammte Liebste auf den Schoß türmt.

Menschen mit XS- und XL-Figuren haben die besten Chancen. Auch das Fake-Fur-Handtäschchen für jetzt 299 Euro (vorher 475-Euro) ist noch zu haben. Die pelzbesetzte Hilfinger-Thermojacke in der Kinderabteilung für ehemals 199 Euro hat trotz Reduktion ebenfalls noch keine Kundschaft gefunden.

»Schade, dass solche Geschäfte schließen und stattdessen so viele Krutschläden aufmachen «

Unbeteiligt stehen derweil im Untergeschoss die nicht mehr benötigten Schaufensterpuppen entblößt und käuflich herum: Zeichen der Zeit der Veränderung von Einzelhandel und Innenstädten. »Schade, dass solche Geschäfte schließen und stattdessen so viele Kruschtläden aufmachen«, findet Katharina Troizki, die nebendran mit großer Freude die noch gut gefüllten Ständer mit den teils exotischen Abendkleidern bewundert. Kaufen wird sie wohl Keines: »Immer noch zu teuer. Aber ich schaue sie an und lasse mich inspirieren.«

Wem Inspiration nicht reicht, muss sich in lange Schlangen stellen. Im Erdgeschoss leistet das Kassenpersonal Akkordarbeit, damit die Kundschaft zügig die orangenen Papiertüten die Wilhelmstraße entlangschlenkern kann.

Ob am kommenden Samstag der nächste Großkampftag naht? Und ist Breuninger besser darauf eingestellt als letzte Woche? Grundsätzlich sei man in der Lage, die Personalkapazitäten den Bedarfen anzupassen, heißt es aus der Unternehmenskommunikation in Stuttgart. Dafür unterstütze man auch häuserübergreifend mit zusätzlichem Personal. Und: »Wir freuen uns sehr über die große Nachfrage an unseren Sortimenten und Angeboten.«

Verkauf, Vermietung? Kurz und knapp auch die Antwort auf die Nachfrage, was das Unternehmen nach der Schließung Ende November mit der Immobilie an prominenter Stelle vorhat. Auf Gemunkel, dass die geplante Biosphären-Markt- und Manufakturenhalle dort einziehen könnte oder eine Restaurantkette Interesse angemeldet hat, geht man in Stuttgart nicht ein. »Wir beteiligen uns nicht an Spekulationen. Sobald etwas spruchreif ist, informieren wir gerne.« (GEA)