REUTLINGEN. Die Blauzungenkrankheit breitet sich bundesweit mit enormer Geschwindigkeit aus. Von dem grassierenden Virus, das besonders für Schafe und Rinder gefährlich ist, sind allein in Baden-Württemberg inzwischen mindestens 94 Tierhaltungsbetriebe betroffen. Deutschlandweit waren es nach Angaben des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI) bis zum 23. August mehr als 4.800. Noch im Juni hatte das Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit gerade einmal 13 Fälle im gesamten Bundesgebiet erfasst. Auch im Landkreis Reutlingen wird es jetzt ernst.
Noch Anfang der Woche hieß es seitens des Reutlinger Veterinäramtsleiters Dr. Thomas Buckenmaier: »Bisher gibt es keine bestätigten Fälle erkrankter Tiere im Landkreis Reutlingen.« Doch die Wahrscheinlichkeit sei sehr hoch, dass sich die Tierseuche auch hier bald ausbreite. Am Donnerstagnachmittag teilte die Reutlinger Amtsveterinärin Dr. Katharina Hölzle dem GEA auf Anfrage dann mit: »Ein Schaf ist inzwischen erkrankt.« Bei einer Ziege sei das Ergebnis noch unklar.
Buckenmaier spricht von einer »saisonalen Krankheit«. Übertragen wird das Virus nämlich durch blutsaugende Insekten, sogenannte Gnitzen. Diese sind vom Frühjahr bis in den Spätsommer unterwegs. Ursache der Epidemie ist laut dem FLI der Serotyp BTV-3 des Erregers. Bis vor kurzem habe es noch keinen offiziell zugelassenen Impfstoff gegeben, so Buckenmaier. Damit die Viehhalter ihre Tiere dennoch zeitnah schützen können, wurde ihnen die Anwendung von drei Blauzungenkrankheit-Impfstoffen per Eilverordnung gestattet – noch vor der offiziellen Zulassung.
Was ist die Blauzungenkrankheit?
Die Blauzungenkrankheit (BT) wird von Gnitzen übertragen. Daher tritt die BT verstärkt in der warmen Jahreszeit bei feuchtwarmem Wetter auf. Die Gnitzen fallen vor allem während der Abend- und Morgendämmerung Tiere im offenen Gelände an. Der Erreger der BT ist für den Menschen nicht gefährlich. Fleisch und Milchprodukte empfänglicher Tiere können laut Angaben des FLI ohne Bedenken verzehrt werden.
Vor allem Schafe und Rinder sind gefährdet, aber auch südamerikanische Kamelarten, Ziegen und Wild-Wiederkäuer sind empfänglich. Bei Wild verläuft die Krankheit meistens symptomlos. Typische und schwere klinische Symptome beim Schaf sind erhöhte Körpertemperatur, Apathie, vermehrter Speichelfluss und Schaumbildung vor dem Maul. Die Zunge schwillt an und kann aus dem Maul hängen. Die namensgebende Verfärbung der Zunge ist sehr selten und nur bei hoch empfänglichen Schafrassen und sehr schweren Verläufen zu erwarten. Erkrankte Tiere können wieder ausheilen, aber je nach Schafrasse auch versterben.
Die klinischen Symptome bei Rindern sind Entzündungen der Schleimhäute im Bereich der Augenlider, Maulhöhle und Genitalien. Außerdem kann es zur Reduktion der Milchleistung kommen. BT verläuft bei Rindern in der Regel deutlich milder als bei Schafen. (ifi/ Friedrich-Loeffler-Institut)
Bestätigte Fälle von infizierten Tieren in der Region waren Anfang der Woche auch Gebhard Aierstock, dem Vorsitzenden des Kreisbauernverbands Reutlingen, nicht bekannt. Ob sich das bald ändern würde, konnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen. Bis auf die Impfung gebe es keine weitere Möglichkeit, die Tiere zu schützen, sagte er. Kritische Stimmen gibt es trotzdem: »Manche Landwirte machen sich Sorgen um Nebenwirkungen.«
Um wirtschaftliche Existenz bangen
Aierstock betonte im Gespräch mit dem GEA: »Solange Tiere schwer krank werden oder qualvoll verenden, müssen viele Viehhalter um ihre wirtschaftliche Existenz bangen.« Das wird auch in einem Schreiben des Fördervereins der Deutschen Schafhaltung deutlich zum Ausdruck gebracht. »Die aktuelle Situation für unsere Schäfer ist katastrophal. Trotz Impfung sind viele Tiere an der Blauzungenkrankheit erkrankt, was immense Behandlungskosten verursacht. Schäfer arbeiten oft bis zu 20 Stunden am Tag, um ihren kranken Tieren alles Lebensnotwendige zu verabreichen. Ohne externe Unterstützung werden viele Schäfer einen Neubeginn nicht schaffen.« Auch den emotionalen Aspekt dürfe man nicht außen vor lassen, sagt Aierstock, denn Viehhalter würden an ihren Tieren hängen. »Die andauernde Belastung durch die Blauzungenkrankheit hat viele Schäfer an ihre Grenzen gebracht – sowohl psychisch als auch physisch«, ist weiter dem Vereinsschreiben zu entnehmen.
Im Landkreis Tübingen ist die Lage noch ernster. »Momentan sind fünf Infektionen in vier Betrieben im Landkreis Tübingen bestätigt, von zwei Verdachtsfällen steht die Untersuchung noch aus«, teilte eine Pressesprecherin des Tübinger Landratsamts dem GEA auf Anfrage mit. Die infizierten Tiere werden nicht eingeschläfert, dürfen jedoch nicht verbracht werden und sollten von der restlichen Herde separiert werden, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren. Die Impfbereitschaft sei groß. Zur Impfquote hat das Landratsamt jedoch keine Zahlen vorliegen. Vermutet wird, dass bis in den späten Herbst noch weitere Schafe erkranken.
Für Tierhalter hat das Auftreten der Erkrankung noch weitere Folgen: Gibt es befallene Tiere, wird ein Sperrgebiet mit einem Radius von 150 Kilometern eingerichtet. Nach einem Ausbruch dürfen Tiere aus betroffenen Gebieten nur dann in seuchenfreie Regionen transportiert werden, wenn sie gesund sind oder geimpft wurden. Gerade für Exportländer führt das bei Landwirten zu einem immensen wirtschaftlichen Schaden. (GEA)