Gut gesichert
Auf der historischen Aufnahme erklingen neben beliebten Silcher-Stücken auch Lieder, die der frühere Chorleiter Heinrich Ness bearbeitet hatte; beispielsweise »Der Kuckuck«, den die Betzinger Sänger und Sängerinnen zum Auftakt der Vernissage sangen. Das 1935 aufgenommene Original war bei der Ausstellungseröffnung gut gesichert hinter Glas zu bewundern, danach wird es wieder im Vereinsheim seine Bleibe finden.Laut Chorleiter Künstner »rauscht und knackt« die alte Aufnahme nämlich gewaltig. Mit der Digitalisierung gelang es, »die Nebengeräusche auszuschalten und die Musik zu erhalten«, freute er sich. Eine Kostprobe davon gab es mit dem Lied »Sitzt a klei's Vögele«.
Der Sängerschaft zu Ehren sang Fritz Lauer vom Reutlinger Liederkranz das Gedicht von Sebastian Blau »Dr Gsangverei«, das Willy Seiler vertont hatte. Die Liedzeile »jonge Spritzer, alte Kracher, älles ischt em Gsangverei« dürfte heutzutage manchem Sänger eher mit Wehmut von den Lippen gehen, denn die meisten deutschen Chöre haben es schwer Nachwuchs zu finden. Auch in Betzingen sind die jungen Sänger in die Jahre gekommen, ohne dass viele nachkamen.
»Singen scheint in der Krise zu sein«, bestätigte Wolfgang Alber in seinem Vortrag, in dem er einen Streifzug durch die Geschichte deutscher Gesangvereine unternahm und speziell die Entwicklung der Betzinger seit ihrer Gründung im Jahr 1837 nachvollzog. Für das allmähliche Verstummen und besonders für das Verschwinden deutscher Volksweisen machen Forscher den Missbrauch der Lieder im Nationalsozialismus verantwortlich. Auch in der Betzinger Geschichte existiert das dunkle Kapitel, um das Alber keinen Bogen machte. So reiste die Betzinger Gruppe im Jahr 1936 zur Nazi-Olympiade nach Berlin, denn die Sänger und Sängerinnen waren in den 30er-Jahren durch ihre Schallplatten und Rundfunksendungen bekannt.
Schweigsame Männer
Die Unlust zu singen scheint bis heute ein deutsches Problem zu sein, denn die europäischen Nachbarn lassen viel häufiger Melodien von sich hören und trällern auch gerne im Alltag vor sich hin. Besonders Männer im Alter zwischen 40 und 49 Jahren bekommen selten den Mund auf, ergab Albers Recherche, »es gilt wohl als uncool, die Gefühle nach außen zu kehren.«Dabei gilt laut Ärzten und Psychologen gerade das Singen als gesund für Körper und Seele. Dies weiß der Volksmund längst, wenn es heißt: »Nur frisch, nur frisch gesungen! Und alles wird wieder gut.«
In Betzingen ist die Freude am gemeinsamen Singen indessen ungetrübt, die Sängerschaft bedient ein Repertoire von Musicals, Operetten, Oper, Oratorien bis hin zu anspruchsvoller A-cappella-Literatur und hat mit Chorleiter Künstner auch in Zukunft noch viel vor. (GEA)