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Bei der Seniorenpatenschaft in Betzingen entstehen Freundschaften der Generationen

Jour fixe im Betreuten Wohnen: Immer donnerstags besucht Sarah Toll die 97-jährige Gerda Stützel. Warum beide ihre Treffen als Bereicherung empfinden.

Auf Anhieb gut verstanden:  Sarah Toll (von links), Gerda Stützel und Projektleiterin Sabine Lehmkühler, die die Seniorenpaten-T
Auf Anhieb gut verstanden: Sarah Toll (von links), Gerda Stützel und Projektleiterin Sabine Lehmkühler, die die Seniorenpaten-Tandems vermittelt. Foto: Frank Pieth
Auf Anhieb gut verstanden: Sarah Toll (von links), Gerda Stützel und Projektleiterin Sabine Lehmkühler, die die Seniorenpaten-Tandems vermittelt.
Foto: Frank Pieth

REUTLINGEN-BETZINGEN. Der Altersunterschied ist nicht ohne. Und sonderlich lange kennen sie sich auch noch nicht. Aber die Chemie stimmt zwischen Gerda Stützel, 97, und Sarah Toll, 39. »Wir haben es nett miteinander«, sagt die Seniorin verschmitzt lächelnd über ihre Patin. Vor sieben Monaten besuchte Sarah Toll zum ersten Mal die alte Dame, inzwischen sind die Treffen im Betreuten Wohnen in Betzingen zu einer wöchentlichen Gewohnheit geworden, auf die sich beide freuen. Der Gesprächsstoff geht ihnen nicht aus, auch nicht die Ideen, wie sie den Nachmittag gestalten. Bereichernd finden beide die Zeit, die sie miteinander verbringen. Nicht nur sie. Etwa 40 gut eingespielte Seniorenpaten-Tandems betreut Projektleiterin Sabine Lehmkühler vom Trägerverein »Gemeinsam vor Ort – Diakonie leben« inzwischen. Und die Nachfrage steigt.

»Die Woche hat halt sieben Tage«, erklärt Sabine Lehmkühler, warum das Projekt so beliebt ist. Viele der Senioren, die sich bei ihr melden, hätten zwar eine Familie, die sich kümmert, aber da berufstätig oder aus anderen Gründen nur mit beschränkter Zeit. Weil es aber im hohen Alter schwieriger wird mit sozialen Kontakten, erst recht, wenn es an der Mobilität hapert, werden die Tage lang. Und manchmal einsam. Umso willkommener sind die Paten, sagt die Betzingerin. »Es ist eine Abwechslung im Alltag der Senioren und schön für sie, wenn jemand Neues in ihr Leben kommt.« Wie die gemeinsame Zeit verbracht wird, bleibt den Wünschen und Interessen der Tandems überlassen. »Das müssen gar keine großen Aktivitäten sein.«

»Wir haben uns gleich verstanden«

Sarah Toll hat sich ganz bewusst nach einem Ehrenamt umgeschaut. Als sie auf die Seniorenpaten stieß, fand sie das gleich ansprechend. Sie meldete sich bei Sabine Lehmkühler, die sich nach der passenden zweiten Hälfte umschaute. Dafür nimmt sie sich viel Zeit, macht Hausbesuche, um die Senioren persönlich kennenzulernen, fragt beide Seiten nach Interessen und Wünschen ab. "Ich mache mir Gedanken, wer zu wem passt. Bei den beiden habe ich von Anfang an gedacht, dass es gut klappen könnte." Tat es auch. »Wir haben uns gleich verstanden«, strahlt Sarah Toll.

Gerda Stützel nickt. Seit einem Jahr ist sie auf den Rollstuhl angewiesen, was es ihr schwer macht, rauszukommen aus der Wohnung. Und das, wo sie so gerne draußen ist – selbst, wenn es regnet. »Das hat mir schon als Kind gefallen.« Also meldete sie sich bei Sabine Lehmkühler auf der Suche nach einer Patin, die den Rollstuhl schieben kann und mit ihr etwas unternimmt. Die 97-Jährige stammt aus Norddeutschland, lebte mit ihrer Familie in Aalen und zog nach dem Tod ihres Mannes nach Betzingen ins Betreute Wohnen vis-à-vis vom Pflegeheim, in dem die Tochter arbeitet. Trotz ihres hohen Alters ist sie jung im Kopf. Interessiert, offen für alles. Sie liest eine überregionale Zeitung, zuerst den politischen Teil, dann das Feuilleton. Auch naturwissenschaftliche Themen findet die 97-Jährige, die Alte Sprachen studiert hat, spannend.

»In allererster Linie schwätzen wir miteinander«

Gesprächsstoff genug also für die Treffen mit ihrer Patin, die ihre Enkelin sein könnte. »In allererster Linie schwätzen wir miteinander«, sagt die gelernte Versicherungskauffrau und Sozialpädagogin. Nebenher, beim Spazierengehen, beim Einkaufen im nahen Ortszentrum, auf der Bank im parkähnlichen Friedhof gleich ums Eck. Meistens haben sie eine Kleinigkeit zum Essen dabei. »Quasi Picknick«, lacht die 39-Jährige. Für die Wintermonate haben sie sich vorgenommen, Kunstausstellungen zu besuchen. Oder einfach nur gemütlich Karten zu spielen. Auch dann werden sie ihre lieb gewordene Gewohnheit beibehalten und ihre Treffen mit einer Tasse Kaffee ausklingen lassen. Sie gehe, erzählt Sarah Toll, immer mit einem guten Gefühl nach Hause.

Manchmal hört sie Gerda Stützel einfach nur zu. Vor allem dann, wenn die Seniorin auf ihre lebhafte Art von der Kriegs- und Nachkriegszeit erzählt. Von den Luftalarmen. Dem Hunger. Der mangels Kohlen eiskalten Wohnung. Den Flüchtlingszügen, die sie in der Ferne sah. »Das wissen viele gar nicht, wie da das Leben war«, sagt die 97-Jährige. Sarah Toll kann es sich inzwischen gut vorstellen. Geschichte sehe sie durch die Schilderungen jetzt noch reflektierter, meint sie. Und ergänzt: »Ich bin sehr froh über diese Begegnung, da nimmt man viel mit.«

»Ich vermittle nur, wenn ich denke, dass es passt«

Froh ist auch Gerda Stützel über die neue, nette Bekanntschaft. Es läuft also bestens mit den beiden. Das ist fast immer so mit den Tandems, die Sabine Lehmkühler zusammengebracht hat. »Ich vermittle nur, wenn ich denke, dass es passt.« Sie hat ein gutes Händchen, schließlich betreut sie seit 2011 das Projekt. 40 Paare gibt es aktuell. Es könnten mehr sein, denn die Nachfrage von Seniorinnen und Senioren steigt, aber es fehlt an Patinnen und Paten. Während die Senioren im Zuständigkeitsbereich des Vereins, also Betzingen, Degerschlacht, Sickenhausen und Rommelsbach wohnen müssen, können die ehrenamtlichen Paten von überall herkommen. Die Voraussetzungen sind überschaubar: Freude am Umgang mit älteren Menschen und etwas Zeit für die gemeinsame Zeit - zwei bis vier Mal pro Monat, etwa zwei Stunden, mehr nicht. (GEA)
07121/504026
seniorenpaten@t-online.de/
www.seniorenpaten.de