Logo
Aktuell Entsorgung

Bald Bußgeld für Reutlinger Biomüll-Sünder?

Die Reutlinger Müllabfuhr nutzt eine Kombination aus künstlicher und menschlicher Intelligenz an der Biomüll-Tonne.

Deckel auf bei der Biomüllabfuhr, damit die künstliche Intelligenz mit ihren Kameras in die Tonne schauen kann.
Deckel auf bei der Biomüllabfuhr, damit die künstliche Intelligenz mit ihren Kameras in die Tonne schauen kann. Foto: Stephan Zenke
Deckel auf bei der Biomüllabfuhr, damit die künstliche Intelligenz mit ihren Kameras in die Tonne schauen kann.
Foto: Stephan Zenke

REUTLINGEN. Deckel auf, Blicke rein. Die Kontrolle des Reutlinger Biomülls auf Störstoffe beginnt mit dem Reinschauen. Zwei menschliche Augen des Müllmannes und ein mit künstlicher Intelligenz ausgestattetes Kamerasystem betrachten und bewerten den Inhalt. Wie das alles funktioniert, erschließt sich am besten bei einer Tour mit dem Müllwagen.

Durch die Straßen von Ohmenhausen lenkt Lucas Friess den 26-Tonner der Technischen Betriebsdienste Reutlingen (TBR). In dem Wohngebiet mit einer Mischung aus Einfamilienhäusern und Wohnblöcken stehen die Biomülltonnen mit ihren braunen Deckeln rechts und links am Straßenrand. Bei jedem Behälter stoppt der Müllwagen. Dann gehen Kai Petruv und ein Kollege zu den Tonnen, rollen sie nach hinten zum Müllwagen und öffnen den Deckel. Das ist neu – bislang blieb der immer geschlossen, was gerade im Sommer mehr als gut verständlich ist. Aber jetzt muss kontrolliert werden: Ob auch nur Bio drin ist, wo nur Bio rein darf – also keinerlei Störstoffe wie etwa Plastik, auch nicht in Gestalt sogenannter kompostierbarer Abfallbeutel. Hintergrund ist eine neue Bioabfallverordnung. Strengere Regeln gelten künftig also nicht nur für Reutlingen.

»Bioabfall kann sicher zugeordnet werden«

Oben am Müllwagen ist mit zwei Kameras ein Teil des »c-detect«-Systems des Bielefelder Unternehmens c-trace montiert. Mit diesem »TopView« soll das System Störstoffe auf der Oberfläche des geöffneten Bio-Behälters erkennen. Damit das klappt, werden die gemachten Fotos über das Internet an den Zentralrechner von c-trace übertragen. Dort vergleicht ein Programm das aktuell gemachte Bild mit seinen Datenbanken. Die künstliche Intelligenz ist hier eine Form von visueller Intelligenz, mit der sich beispielsweise Formen erkennen und analysieren lassen. Das ist recht einfach nachvollziehbar, weil Plastikbeutel ganz anders aussehen und andere Falten werfen als Papiertüten. Ist in der Tonne ein Störstoff drin, dann wird automatisch die Entleerung gestoppt, zücken die Müllmänner die gelbe Karte mit dem fett gedruckten Satz »Ihre Biotonne war leider falsch befüllt«. Noch wird dennoch geleert, aber nicht mehr lange.

»Die gelben Karten werden immer weniger«

Wer jetzt denkt, dieses System ließe sich durch eine dicke Laubschicht an der Oberfläche austricksen, hat sich geschnitten. »InsideView« nutzt zwei KI-Kameras im Schüttraum. Sie sind seitlich auf die Behälter gerichtet und nehmen mit hoher Auflösung Bilder vom Abfall während des Entleerungsvorgangs auf. Durch diese Aufnahmen »kann der Bioabfall jeder Tonne sicher zugeordnet werden«, schreibt die Firma c-trace. Sollte der Bürger, ob bewusst oder unbewusst, Unerlaubtes versteckt haben, werden diese Dinge beim Entleeren des Behälters entdeckt.

Die Kameras der automatisierten Störstofferkennung der Bielefelder c-trace GmbH hinten am Müllwagen schauen in die Tonne und übe
Die Kameras der automatisierten Störstofferkennung der Bielefelder c-trace GmbH hinten am Müllwagen schauen in die Tonne und übertragen die Fotos zum Zentralrechner. Foto: Stephan Zenke
Die Kameras der automatisierten Störstofferkennung der Bielefelder c-trace GmbH hinten am Müllwagen schauen in die Tonne und übertragen die Fotos zum Zentralrechner.
Foto: Stephan Zenke

Auch solche Beweisbilder werden online übertragen und sind dann für den TBR-Mitarbeiter Henrique Barbosa auf seinen Bildschirmen in Reutlingen abrufbar – mithin ist alles bestens dokumentiert. Barbosa ist einer der Menschen, die sich mit dem Projekt »Plastikfreier Bioabfall« beschäftigen und denen natürlich klar ist: Wer mit gelben Karten winkt oder gar ab April via roter Karten mit einer Nicht-Leerung der Biomülltonne sowie – im Extremfall – ab Mai sogar mit Bußgeldern droht, der macht sich nicht nur Freunde. Aber offenbar verändert sich in den Biotonnen der Stadt langsam etwas zum Besseren.

TBR-Mitarbeiter Barbosa zeigt eine Karte der Innenstadt, in der im dritten Quartal 2024 noch 38 Prozent aller Biomülltonnen »verschmutzt« waren. Im Februar freue man sich über »eine Reduzierung falsch befüllter Tonnen um 44 Prozent«. Steil abwärts zeige die Zahl der im Stadtgebiet verteilten »gelben Karten«. In der ersten Januarwoche waren es 3.800, in der Kalenderwoche zwei noch 2.150, dann ging es erfreulich weiter zurück auf bis zum letzten aktuell verfügbaren Stand in der sechsten Kalenderwoche 1.750 Hinweise auf falsche Befüllung.

»Unser Ziel ist es nicht, Bußgelder zu verhängen«

Gleichzeitig verteilen die Müllmänner immer mehr grüne Karten. Zum Start des Projektes »Plastikfreier Bioabfall« zeigt die Tabelle von Barbosa gerade mal 250 Karten in der ersten Woche des Jahres mit dem lobenden Aufdruck »Ihre Biotonne war richtig befüllt. Vielen Dank für ihren Beitrag. Bitte machen Sie weiter so«. Mittlerweile zählen die TBR stolze 2.750 grüne Karten in der Woche. Die Sorgen der Anwohner, für nicht durch sie selbst verunreinigte Biomülltonnen ab Mai dann zur Kasse gebeten zu werden, versteht Barbosa voll und ganz.

»Mehrfamilienhäuser sind definitiv ein Problem. Fünf sortieren, fünf vielleicht nicht«, erklärt er. Ebenfalls bekannt ist, dass manche Tonnen in der Innenstadt von Passanten als »öffentliche« Mülleimer missbraucht werden. Deswegen bietet die Stadt ab dem 1. April Schlösser für Biobehälter an. Die kosten pro Stück 55 Euro. Bestellbar so ähnlich wie neue Mülltonnen, denn eingebaut werden sie von den TBR. Damit sind unerwünschte Einwürfe dann ausgeschlossen. Die Schlösser haben allerdings auch einen Nachteil.

TBR-Mitarbeiter Henrique Barbosa kann am Bildschirm Fotos von jeder kontrollierten Tonne anschauen. Plastik im Biomüll soll das
TBR-Mitarbeiter Henrique Barbosa kann am Bildschirm Fotos von jeder kontrollierten Tonne anschauen. Plastik im Biomüll soll das System zuverlässig erkennen. Foto: Stephan Zenke
TBR-Mitarbeiter Henrique Barbosa kann am Bildschirm Fotos von jeder kontrollierten Tonne anschauen. Plastik im Biomüll soll das System zuverlässig erkennen.
Foto: Stephan Zenke

Weil der Deckel der Tonne bis zur Leerung geschlossen bleibt, »kann die Außenkamera am Müllfahrzeug keine Störstoffe erkennen. Erkannte Störstoffe bei Entleerung führen automatisch zu einem Bußgeld«. Mehr Sicherheit geht also mit mehr Verantwortung beim Bürger einher.

Die Reutlinger für Dreck im Bioabfall zur Kasse zu bitten, soll übrigens das allerletzte Disziplinierungsmittel bleiben. »Unser Ziel ist es nicht, Bußgelder zu verhängen«, betont Barbosa. Er und seine Kollegen würden erst mal mehrfach auf falsche Einwürfe hinweisen und erklären.

Deswegen suche man auch aktiv die Zusammenarbeit mit der Wohnungsgesellschaft GWG, sorge in deren Mehrfamilienhäusern für Info-Aushänge in mehreren Sprachen. Im Einzelfall mache man sich sogar die Arbeit »einer intensiven Abfallberatung vor Ort, wenn keine Besserung eintritt«. Es gehe um sauberen Biomüll, bei dem man eins nicht vergessen dürfe: (Mikro)-Plastik im Kompost landet letztlich wieder in unseren Lebensmitteln. (GEA)

www.tbr-reutlingen.de

www.c-trace.de