REUTLINGEN. Passender hätte Professor Dr. Jürgen Straub seinen Lieblingsplatz kaum aussuchen können. Es sind die Wasserspiele im Bürgerpark. Denn beim Thema Wasser ist der Vorsitzende der WiR-Fraktion im Reutlinger Gemeinderat politisch und beruflich in seinem Element. Vor den Fontänen erklärt der Ingenieur und Chemiker jeweils mit Diplom diesen Platz allerdings gleich zu einem Stück Stadtmitte, dem noch einiges fehle, um seine Liebe vollends zu erwecken. Ein wirklicher Park für die Bürger wäre sein Traum, von dem er realistische Vorstellungen hat.
»Das Problem der Stadt Reutlingen ist die fehlende Aufenthaltsqualität«, bemängelt der 65-Jährige beim Blick über die Steinwüste der Flächen rund um die Stadthalle, aus der sich dürre Bäumstämme erheben. »Die Anlage für die Skater ist toll, wird auch sehr gut angenommen«, verteilt der Fachmann für Umwelttechnologie mit dem Spezialgebiet Trinkwasser-Versorgung und -Aufbereitung einige Komplimente, auch die Terrassen am Echazufer seien »richtig klasse«, aber der Rest könne ihn keinesfalls begeistern. Was ihn nachdenklich macht, hat er sogar nachgemessen.
»Zu wenig Grün und Schatten, und ein Hitze abstrahlender Boden«
»Zu wenig Grün«, klagt Straub gänzlich unpolitisch über den Bürgerpark, »zu wenig Schatten und ein die Hitze abstrahlender Boden.« Er würde sich mehr Gras und Büsche statt Steinplatten wünschen. »Wir werden das grüne Baumdach, mit dem Max Dudler den Gemeinderat überzeugt hat, nicht mehr erleben«, so seine Befürchtung. In diesem Sommer habe er einige Wochen lang zwei automatische Temperaturmesser an ein schattiges Plätzchen der Äste dieser Schnurbäume gehängt, und habe erschreckende Werte ermittelt: »Wir haben 22-mal über 40 Grad Celsius und als Maximum 45 Grad gemessen«, sagt der Gründer und Chef der Straub Umwelttechnologie & Consulting, der laut seiner Website »weltweit« zu Themen wie Trinkwasser oder nachhaltigem Ressourcen-Management engagiert wird. Ein Reizwort im Gespräch über den Bürgerpark ist für ihn das Stadthallenhotel. Hier wird sein Blick ganz ernst.
»Wir waren noch nie gegen ein Hotel im Bürgerpark wie in den Originalplanungen von Max Dudler«, betont er für die WiR-Fraktion, »aber jetzt diesen Koloss da reinzusetzen ist ein absoluter städtebaulicher Fauxpas sowie stadtklimatisch eine Katastrophe.« Dann holt der seit 2004 für die WiR im Reutlinger Gemeinderat sowie seit 2014 auch im Kreistag arbeitende Lokalpolitiker sein Smartphone hervor, und zeigt fotografisch, wie für ihn ein schönes Stadtbild aussieht.
Zu sehen ist eine Brücke im französischen Chamonix, an der große Blumenkübel mit vielen blühenden Pflanzen hängen. Straub macht eine ausladende Bewegung mit beiden Armen, um zu verdeutlichen, wie groß die seien. Womit der Lokalpolitiker bei seinen Lieblingsorten in aller Welt angekommen ist, und sich auch seine Bekleidung erklärt.
Es ist kein Zufall, dass Jürgen Straub – »ich habe natürlich auch Anzüge« – privat gerne eine knallgelbe wasserfeste Expeditionsjacke am Leib trägt, und mit beiden Füßen fest in blauen italienischen Trailrunner-Schuhen mit Profilsohle auf dem Boden der Tatsachen steht. Bergsteigen, Klettern und Radeln in extremen Regionen sind seine Hobbys. Der Mann hat in seinem Leben schon viele abenteuerliche Wanderungen oder Kletterausflüge oder Radtouren unternommen.
Wie sein T-Shirt mit der Aufschrift »Vail Colorado« andeutet, ist er erst vor einigen Monaten etwa zum Eisklettern in diesem US-amerikanischen Skiort gewesen. Er liebe das Montblancgebirge rund um Chamonix, schätze Patagonien und sei auch immer wieder gerne in Rio de Janeiro, verrät der gebürtige Bad Überkinger. Um aber sogleich zu ergänzen, dass wenn er in der Weltgeschichte unterwegs sein, »dann nicht nur zum Spaß. Eine saubere Umwelt ist meine Mission«. In den Gefilden der Lokalpolitik bewegen ihn gänzlich demokratische Werte.
»Einem Teil des Gemeinderates fehlt der richtige Biss«
»Eine bürgerliche Wählervereinigung ist in der Stadt bitter nötig«, meint Straub. Ganz im Sinne des WiR-Vereins, in dem sich engagierte Bürgerinnen und Bürger organisiert haben, die das Interesse am Wohlergehen Reutlingens inklusive seiner Teilgemeinden zusammengeführt habe, nicht die Sympathie für eine Partei oder Ideologie. Auf dem politischen Kompass sieht Straub die WiR-Fraktion »in der konservativen Mitte« verortet. Sein persönliches Ziel sowohl im Gemeinderat als auch Kreistag oder einigen Ausschüssen und Aufsichtsräten sei es, »die Stadt für die Bürger weiter zu bringen«.
Um diesem Anspruch zu genügen, bedürfe es auch eines kritischen Blickes auf das, was die Stadtverwaltung dem Stadtparlament vorlege. Gänzlich diplomatisch verteilt der Weltreisende, der nach seinen Worten aber dennoch rund 300 Tage im Jahr in Reutlingen ist, zunächst mal etwas Lob in Richtung Rathaus. »Das Verhältnis zwischen Stadtverwaltung und Gemeinderat hat sich mit der neuen Verwaltungsspitze erheblich verbessert«, stellt er fest. Dann aber bemerkt er, »einem Teil des Gemeinderates fehlt der richtige Biss. Da wird zuviel abgenickt und zu wenig hinterfragt«. Ein waches Auge auf die Drucksachen und Entscheidungsvorlagen aus den Amtsstuben halte er für sehr wichtig. Dabei hilft ihm eine modische Sehhilfe mit grasgrünen Rahmen. »In die Ferne sehe ich richtig gut, aber ohne diese Brille kann ich nicht mehr richtig lesen«, erklärt der Mann. Nach wesentlichen Veränderungen in den vergangenen zwei Jahrzehnten befragt, konstatiert er »die Gesellschaft ist teilweise etwas unpolitischer geworden«, was sich etwa an der Wahlbeteiligung zeige. Straub mit Sicherheit nicht. (GEA)
Lieblingsplätze
In der Serie »Lieblingsplätze« führen Kommunalpolitikerinnen und -politiker den GEA an ihre ganz persönlichen Wohlfühl-Orte, verraten, warum sie sich dort gerne aufhalten und was sie mit ihnen verbinden. Alle übrigen Gesprächsinhalte sind offen und entwickeln sich erst im Laufe des Zusammentreffens. (GEA)