KREIS REUTLINGEN. Als der Ministerpräsident samt Staatsschutz und Mitarbeitern in die Metzinger Stadthalle einläuft, ist es kurz nach 19 Uhr. Winfried Kretschmann hat zu diesem Zeitpunkt schon einen ziemlich langen Tag hinter sich: Die Tour durch den Landkreis Reutlingen war anstrengend, das merkt man ihm an. Erst war er beim entstehenden Windpark bei Magolsheim, dann in der Hofkäserei in Ödenwaldstetten und schließlich noch in den Kreiskliniken am Steinenberg. Das hätte selbst jüngere Politiker ordentlich geschlaucht. Der Landesvater hingegen wird in wenigen Tagen 77 Jahre alt. Kernig, kantig, direkt, und nie um einen Witz verlegen: In Metzingen zeigt sich Kretschmann so, wie man es irgendwie auch von ihm erwartet hat. Ein urschwäbisches Orginal.
Mehrere hundert Bürger des Landkreises, darunter auch viele Kommunalpolitiker und eine ganze Riege von Bürgermeistern, haben an diesem Abend den Weg in die Stadthalle gefunden, um dem Landsvater zuzuhören. Rein kommt man nur nach vorheriger Anmeldung. Dieser Tag steht im Zeichen so einiger Geschehnisse, die weltpolitisch von Bedeutung sind. Beispielsweise die Wahl des neuen Papstes. Oder der 80. Jahrestag zum Endes des Zweiten Weltkriegs. »Der 8. Mai ist Anfang und Ende zugleich«, erinnert Kretschmann. »Nach dem Krieg waren die Kommunen das erste, das wieder funktioniert hat. Dann kamen die Länder, und dann der Bund.« Allgemein gibt's an diesem Abend viel Lob für ehrenamtlich engagierte Menschen, vor allem die in der Kommunalpolitik. Und fürs Grundgesetz.
Landrat Dr. Ulrich Fiedler macht in seiner Begrüßung einen kleinen Exkurs zur Kanzlerwahl am Dienstag: »Es wäre anständig gewesen, einen Bundeskanzler im ersten Wahlgang zu wählen.« Ja, das sei »nicht sehr vernünftig, geradezu kindisch« von einigen Abgeordneten gewesen, stimmt der Ministerpräsident dem zu. »Aber sehen Sie es mal andersrum: Der Abgeordnete ist nur seinem Gewissen verpflichtet. Das war eine freie Wahl«, so Kretschmann. Und am Ende hätten die Abgeordneten ja, wenn auch im zweiten Wahlgang, trotz geheimer Wahl zum Wohle des Landes gehandelt.
Einen Seitenhieb auf den neuen Kanzler kann sich der grüne Ministerpräsident dann aber doch nicht verkneifen: »Das gute an Merz ist: Er hat eine steile Lernkurve hinter sich. Er hat alle Fehler, die man machen kann, schon vorher gemacht.« Um dann aber direkt wieder ernst zu werden: »Diese Regierung darf nicht scheitern.«
Das Land ist »überreguliert und überbürokratisiert«, es braucht mehr Menschen, »die neue Wege gehen«, in der aktuellen wirtschaftlichen Lage »muss man mehr schaffen - und nicht weniger«: Es sind keine völlig unbekannten Aussagen, die der Ministerpräsident an diesem Abend in Metzingen tätigt. Doch die wenigsten Anwesenden dürften ihren Landesvater schonmal live gesehen haben. Bei der Bürgerfragestunde zeigt sich dann auch, dass Kretschmann ein Fan der ehrlichen und direkten Worte ist.
Beispielsweise als der Metzinger SPD-Gemeinderat Alexander Hack, von Beruf Grunschullehrer, zu Wort kommt: »Ich bitte Sie, sich dafür einzusetzen, dass wir Grundschullehrer in Baden-Württemberg endlich auch in eine andere Besoldungsgruppe kommen, wie in anderen Ländern auch.« Im Ländle verdiene sein Berufsstand rund 500 Euro weniger, als die Lehrer an weiterführenden Schulen, so Hack. Aus seiner Sicht ein Missstand. Klare Antwort vom Ministerpräsidenten: »Ihren Wunsch werden wir nicht erfüllen erstmal, weil wir das Geld nicht haben.« In einer Zeit, in der das Geld knapp sei, müsse man eben entscheiden: »Investiere ich, oder mache ich eine weitere soziale Wohltat und bezahle den Lehrern mehr.«
Ein Pfarrer im Ruhestand, der in der Flüchtlingshilfe aktiv ist, will wissen: »Ist es möglich, den Bar-Betrag zu erhöhen, den Geflüchtete seit der Einführung der Bezahlkarte bekommen?« Wieder klare Kante vom Ministerpräsidenten, der eine Lanze für die Karte bricht: Die Sache mit dem Bar-Geld sei eine »deutsche Marotte«, und »Sinn des Asylbewerberleistungsgesetzes ist es nicht, dass Schlepperbanden finanziert werden und Geld in Heimatländer überweisen wird«. Also: Nein, »das wird jetzt so gemacht«. Es folgt Applaus im Saal.
Andere Fragen aus dem Publikum dagegen gleichen eher Monologen, oder sie sind so spezifisch oder detailliert, dass der Ministerpräsident sie nicht direkt beantworten kann. Was der eigentlich gut gedachten Idee der Bürgerfragestunde ihren Pepp nimmt. Für den musikalischen Teil sorgen das Inklusivorchester der Musikschule und das Blechbläserquartett der Musikschulleitungen des Landkreises. Am Ende bekommt der Landesvater Geschenke und darf sich ins Goldene Buch der Stadt Metzingen eintragen. (GEA)