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Aktuell Szene

Autotreffen in Reutlingen: Immer mehr junge Menschen nehmen teil

Neues Phänomen: An den Wochenenden treffen sich Hunderte meist junge Autofahrer in der Stadt. Es handelt sich hierbei nicht nur um Angehörige der Tuning- und Poserszene. Eine neue Form des Protests gegen die Pandemie-Politik? »Seit Wochen füllen sich die Straßen und Hotspots in Reutlingen nicht einfach ohne Grund. Wir haben die Schnauze voll«, heißt es jedenfalls auf Instagram.

Auf dem Rewe-Parkplatz in der Föhrstraße herrschte Samstagnacht munteres Treiben. Foto: privat
Auf dem Rewe-Parkplatz in der Föhrstraße herrschte Samstagnacht munteres Treiben.
Foto: privat
REUTLINGEN. Dass sich die Tuning- und Poser-Szene an schönen Tagen mit aufgemotzten Fahrzeugen an einschlägigen Orten zum Sundowner trifft oder laut dröhnende hochglanzpolierte Karossen über die Karlstraße rasen, ist auch in Reutlingen nichts Neues.

Vergangenes Wochenende hat automobiles Beieinandersein jedoch eine neue Dimension erreicht. Wie berichtet, trafen sich vor allem in der Nacht auf Sonntag Hunderte von zumeist jungen Leuten im Stadtgebiet an wechselnden Orten. Parkplätze in der Föhrstraße, auf den Bösmannsäckern und beim Intersport im Industriegebiet West waren Hotspots für direktes nicht immer coronakonformes Beieinandersein. Die Beteiligten aus der Tuning-/Poser-Szene seien nicht in der Mehrzahl gewesen, berichtet Andrea Kopp, Pressesprecherin im Reutlinger Polizeipräsidium, auf GEA-Nachfrage. Das Gros eher: Ganz gewöhnliche Autos, die teils mit heulenden Motoren durch die City pesten oder Reifenspuren hinterlassend auf Parkplätzen kreiselten. Auch ein Autorennen auf der Karlstraße soll gesichtet worden sein.

Seit Mitte Februar nehme das Phänomen massiv zu, berichtet Andrea Kopp. Die Polizei, verstärkt teilweise von Mitarbeitern des Kommunalen Ordnungsdienstes, versucht, der Lage Herr zu werden: sprich Ordnungs- und Ruhestörung sowie Verstöße gegen die Coronaverordnung (siehe Infobox) einzudämmen.

Neuer Freizeitspaß in Coronazeiten in Ermangelung anderer Möglichkeiten? Protest gegen die Pandemiepolitik: Haben die Ansammlungen Demonstrationscharakter? Die Polizei hält sich mit der Interpretation für Reutlingen noch zurück. Dass Bürger insgesamt unzufriedener werden, spüre man jedoch zunehmend, sagt Kopp.

Unterdessen werden die Autotreffen laut Polizei als »Bewegung« bezeichnet. Einige der Akteure sind auch in Reutlingen aktiv. In den sozialen Netzwerken finden sich Anzeichen dafür, dass eine Protestbewegung angestoßen werden soll: »Seit Wochen füllen sich die Straßen und Hotspots in Reutlingen nicht einfach ohne Grund. Wir haben die Schnauze voll«, heißt es bei Instagram. Und: Die Politik sei dafür verantwortlich, »dass die Zukunft von Millionen unserer Generation gegen die Wand fährt«.

Szene vernetzt sich in Sozialen Netzwerken

Die Szene vernetzt sich, man verabredet sich in den sozialen Netzwerken. So meldeten beispielsweise die Polizeipräsidien Konstanz, Ulm und Ludwigsburg am Wochenende ähnliche Ansammlungen. Man wechselt gern die Lokalität, was zur Aussage der Reutlinger Polizisten passt, dass viele externe Nummernschilder gesichtet wurden. Angesichts der Masse der Beteiligten dürfte das Zusammenspiel von Ordnungshütern und Autobesuchern einem Katz- und Mausspiel ähneln. Andrea Kopp drückt es eleganter aus: »Die Leute sind sehr mobil und flexibel. Sobald Kontrollen bekannt werden, fährt man woanders hin.«

Was droht den Teilnehmern der Autotreffen?

Es ist weder verboten, nach Reutlingen zu fahren, noch nachts unterwegs zu sein: Es gelten aber in Coronazeiten die allgemeinen Kontaktbeschränkungen, Regelungen zum Mindestabstand und zur Maskenpflicht. Wird dagegen konkret verstoßen, können laut Polizei Platzverweise und Ordnungswidrigkeiten-Anzeigen die Folge sein, bis hin zum Platzverweis und der Gewahrsamnahme. Dasselbe gilt für sonstige Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, also etwa Ruhestörungen. Sind Fahrzeuge technisch zu beanstanden oder ist durch technische Veränderung die Betriebserlaubnis erloschen, sind Mängelbericht und Anzeige möglich, aber auch eine sofortige Stilllegung oder gar Beschlagnahme des Autos.

Das Einfahren und der Aufenthalt auf einem Parkplatz ist ebenfalls nicht per se verboten. Auf einem privatem Parkplatz übt der Besitzer das Hausrecht aus. Ist dies etwa ein Supermarktbesitzer kann er während der abendlichen Geschäftszeiten sogar ein gewisses Geschäftsinteresse an Publikum haben, mutmaßt die Polizei. Liege hingegen ein Hausfriedensbruch vor, gebe es Platzverweise und Strafanzeigen.

Bei Straftaten wie unerlaubtes Kfz-Rennen erfolgen ebenfalls Strafanzeige und Platzverweis. Im Einzelfall ist auch hier eine Beschlagnahme des Wagens und des Führerscheins möglich.

Am Wochenende wurden laut Polizei mindestens 100 Platzverweise ausgesprochen. Einzelne Personen, die ihnen nicht nachkamen, wurden angezeigt. Außerdem sind bislang um die 20 Verstöße gegen die Corona-Verordnung aktenkundig. (pol/GEA)

Beim Reutlinger Ordnungsamt gingen am Wochenende laut Ordnungsamtschef Albert Keppler etliche Beschwerden ein. In der Föhrstraße beispielsweise zog sich das Spektakel bis 4 Uhr morgens hin.

Grundproblem für Keppler: Leute, die sich über ihr Auto definieren und dazu gern Publikum haben – die Posing- und Tuningszene – bilde nun quasi den Ausgangspunkt für das neue Phänomen nach dem Motto: »Wenn da schon zehn stehen, stelle ich mich dazu«.

Viele Ausweichflächen in der Stadt

Traditionelle Auto-Fanmeilen wie den Weg zur Achalm hat die Stadt nachts schon länger dicht gemacht. Gleiches gilt auch für die Zufahrt zum Pfullinger Übersberg. Doch die City bietet genügend Ausweichflächen. Insgesamt ist so ein Wochenendeinsatz – zusätzlich zum sonstigen Geschäft – nicht einfach. Insbesondere in Sachen Lärmbelästigung ist Einschreiten schwierig, berichtet Keppler. Wie weist man einen aufheulenden Motor nach? Bei Kontrollen müssen Ordnungshüter auch immer wieder feststellen, dass laute Motorengeräusche ab Werk und ganz legal die Mitmenschen nerven dürfen: Dafür sorgt unter anderem eine EU-Norm, die vorsieht, dass Autos umso lauter sein dürfen, je mehr PS pro Tonne (Leistungsgewicht) sie haben. Der Lärm gibt »die sportliche Note« ärgert sich Keppler: »Technisch könnten diese Autos leiser sein.«

»Viele Polizeistreifen« waren vergangenes Wochenende unterwegs, auch Einsatzkräfte aus anderen Kreisen wurden hinzugezogen, berichtet Andrea Kopp. Die Kontrollmaßnahmen sollen am kommenden Wochenende »mit entsprechendem Kräfteansatz« fortgesetzt werden, wie die Polizeisprecherin sagt, ohne Details zu verraten. (GEA)