REUTLINGEN. Gezielte Desinformation und Stimmungsmache gegen das politische System, Sabotageakte, Kampfdrohnen über deutschen Flughäfen, russische Jets im NATO-Luftraum: In diesen düsteren Zeiten vermeldet das Recherchenetzwerk Correctiv, dass die Deutsche Bundeswehr »Städte und Gemeinden auf Kriegstüchtigkeit trimmt«. Unter anderem statteten hochrangige Offiziere Landräten und Bürgermeistern Besuche ab, um die Kommunen »auf die gestiegene Kriegsgefahr auf deutschem Boden vorzubereiten«. Die Gespräche seien Teil des »Operationsplans Deutschland«. Sein Ziel: die Sicherung der NATO-Ostflanke. Dazu solle unter anderem die »deutsche Verteidigungsbereitschaft« hergestellt werden.
Was hat es mit diesem Plan auf sich und was ist davon schon in der Region angekommen? Der GEA hat in Stuttgart beim baden-württembergischen Landeskommando der Bundeswehr nachgefragt – die oberste territoriale Kommandobehörde der Bundeswehr im Bundesland.
Autobahnen für den zivilen Verkehr dicht
»Mit den nach Osten verschobenen Grenzen von EU/Nato wird Deutschland im Verteidigungsfall die logistische Drehscheibe für die NATO«, erläutert Oberstleutnant Kieron Kleinert (49). Im Falle der Mobilmachung müsse man in einem halben Jahr 800.000 alliierte Soldaten und rund 400.000 Fahrzeuge möglichst verzögerungsfrei durch die Republik gen NATO-Ostflanke bewegen. »Das ist die Rolle Deutschlands in der neuen NATO-Verteidigungsstrategie.« Im konkreten Kriegsfall werde es auch eine Ost-West-Bewegung von Flüchtlingen und Verwundeten gebe. Die Autobahnen werden dann für den Zivilverkehr dicht sein. Und auch die Schiene werde gebraucht unter anderem für den Transport der Panzer.
Der Pressesprecher bestätigt, dass die Bundeswehr auch auf Landkreis- und Gemeindeebene informiere. Allerdings sei man nicht flächendeckend unterwegs. »Wir kommen,wenn wir angesprochen werden oder es aus Militärsicht relevante Themen gibt.« Bereits im Februar habe man den »Operationsplan Deutschland« dem Deutschen Landkreistag vorgestellt. Man sei jedoch auf kommunaler Ebene auf dem Level »Austausch und Sensibilisierung. Wir sagen noch nicht, was die Landkreise konkret tun sollen. Wir können auch nichts anweisen. Das wäre dann Sache des Innenministeriums.«
Der – geheime – Plan A zur militärischen Verteidigung stehe. Nun werde schrittweise der Regionalplan ausgearbeitet. Dabei gehe man auch der Frage nach, welche Dienstleistungen die Kommunen im Krisenfall liefern sollen.
Ansage: Vorbereitung auf »Großschadensereignis XL«
Unterstützte bisher etwa bei Hochwasser oder großen Waldbränden das Militär die zivilen Retter, dreht sich die Lage im militärischen Krisenfall um. »Dann brauchen wir Feuerwehr und Rettungsdienste.« Die Ansage an die Kommunen heiße: »Bereitet euch auf ein Großschadensereignis XL vor.« Dabei gelte es für die Behörden, eine Grundversorgung der Zivilbevölkerung mit Nahrung, Strom, Müllentsorgungen et cetera aufrechtzuerhalten: Dafür braucht es vorab Konzepte.
Behörden und Blaulichtorganisationen sind Adressaten der Informationsoffensive – aber auch Unternehmen. Firmen werden ermutigt, sich Gedanken zu machen, wie sie ihre Produktionsfähigkeit erhalten können, wenn Lieferungen ausfallen, der Strom fehlt. Zugleich werden sie schon jetzt in die Krisenszenarien eingebunden.
Bundesweit werden erste Verträge gemacht, darunter ein Rahmenvertrag mit dem Rüstungskonzern Rheinmetall. Er soll »Convoy Support Center« (CSC) einrichten: Rastplätze für Soldaten auf dem Durchmarsch gen Osten mit einer Versorgungsinfrastruktur für Hunderte von Menschen und Fahrzeugen. Ein halbes Dutzend sei zunächst geplant in ganz Deutschland. Auch Kommunen müssen unter Umständen weitere solcher Rastplätze in Gewerbegebieten einrichten. Bis Ende des Jahres sollen für Baden-Württemberg die Planungen hierfür konkretisiert werden. Rheinmetall sei »der erste Einstieg«. Kleinteiligere Rahmenverträge mit verschiedensten Betrieben würden folgen, die bis zur lokalen Bäckerei reichen können, erläutert der Pressesprecher.
Nahrung und Wasser für zwei Wochen
Und was soll der Bürger tun? Kleinert rät: "Be prepared." Sinnvoll sei, Nahrungs- und Wasservorräte für mindestens zwei Wochen anzulegen (Tipps dazu gibt es im Internet zuhauf, etwa: "notration-anlegen.de"). Schon der Blackout in Berlin durch einen Brandanschlag auf Strommasten zeige die Verletzlichkeit des Systems. "Sowas geht jeden an und sowas nimmt zu."
Die Sensibilisierungsoffensive der Bundeswehr soll laut Kleinert Kräfte aktivieren, gemäß dem Motto »Betroffenheit schafft Engagement«. Krisen-Experten nennen unterdessen ganz konkret das Jahr 2029 als neuralgisches Datum. Bis dahin spätestens werde Putin in der Lage sein, die Verteidigungsbereitschaft der NATO anzutesten.
Führt so viel Kriegslogik in den Krieg?
Sind die Szenarien, mit denen die Offiziere jetzt offen durch die Lande touren, Panikmache? Führt so viel Kriegslogik nicht geradewegs hinein in den Krieg? Kieron Kleinert erläutert, dass Militärstrategen von Berufswegen mit dem Worst-Case-Szenario rechnen müssen. Den Vorwurf der Kriegstreiberei verortet der 47-Jährige ins russische Propaganda-Lager. »Wir haben eine brisante Lage. Die Machtpolitik Wladimir Putins macht nicht an den Grenzen der Ukraine halt.« Die Herstellung der Verteidigungsfähigkeit sei das Gebot der Stunde. »Wenn Deutschland als Drehscheibe versagt, die Alliierten hier im Verkehrsstau stehen und nicht an der Ostgrenze – dann klappt die Abschreckung nicht.«
Zivilisten werden Aufgaben übernehmen müssen, sagt Kieron Kleinert. Denn im Ernstfall werden Bundeswehrtruppen verlegt, dann seien auch in Baden-Württemberg keine mehr. Die neuen Herausforderungen müsse die Gesamtgesellschaft bewältigen. »Die Bundeswehr allein kann das nicht leisten.« (GEA)

