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Arztpraxen in der Region: Warum Privatpatienten lukrativ sind

Kassenärzte und Krankenkassen verhandeln jetzt übers Geld. Ärzte in der Region Reutlingen sind direkt davon betroffen.

Die Erstbeschreibung der neuen Erkrankung aus der Gruppe der Selenopathien ermöglicht es, weitere Betroffene zu diagnostizieren.
Die Erstbeschreibung der neuen Erkrankung aus der Gruppe der Selenopathien ermöglicht es, weitere Betroffene zu diagnostizieren. Foto: Stephan Zenke
Die Erstbeschreibung der neuen Erkrankung aus der Gruppe der Selenopathien ermöglicht es, weitere Betroffene zu diagnostizieren.
Foto: Stephan Zenke

REUTLINGEN. Geld macht nicht gesund, aber wenn’s fehlt, Arztpraxen möglicherweise krank. Denn eine Unterversorgung in der Kasse kann zu Problemen bei der Behandlung von Patienten führen. Etwa über akuten Nachwuchsmangel oder chronische Personalprobleme. Gespannt verfolgen Mediziner in der Region Reutlingen deswegen die gerade laufenden Honorarverhandlungen. Gelassen antworten sie auf Vermutungen, in Zeiten knapper Finanzen würden Privatpatienten bevorzugt.

»Das Gros der Kollegen macht keinen Unterschied zwischen Kassen- und Privatpatienten«, versichert Dr. Günther Fuhrer als Vorsitzendem der Reutlinger Kreisärzteschaft. Er selbst und seine Mitarbeiterinnen würden niemals bei der Terminvergabe auf die Idee kommen, nach dem Versicherungsstatus zu fragen. Hautärztin Dr. Anja Schäfers erklärt, »dass jede Arztpraxis eine Mischkalkulation benötigt, um alle Menschen adäquat zu behandeln: Kassen- und Privatpatienten, berufsgenossenschaftliche Patienten und solche, die privat zu bezahlende Wahlleistungen wünschen«. Wieso Privatpatienten für niedergelassene Mediziner attraktiv sind, beschreibt sie auch.

»Privatpatienten werden ohne Budgetierung bezahlt«

»Privatpatienten werden ohne Budgetierung bezahlt. Ich bekomme für jede Leistung den vollen veranschlagten Wert, und ich habe keine Quartalspauschale. Wenn ich beispielsweise einen Kassenpatienten in drei Monaten zur notwendigen Kontrolle der Therapie dreimal bestelle, ist das in der Grundpauschale enthalten. Bei Privatpatienten kann ich jeden Besuch abrechnen«, sagt die Dermatologin. Was freilich keinesfalls bedeute, dass sie oder andere Ärzte deswegen darauf verzichten würden, »jeden Patienten so oft in die Praxis zu bestellen, wie es medizinisch notwendig ist«. Die Betrachtung der Abrechnung führt allerdings direkt zu jenen Zuständen im Gesundheitswesen, die niedergelassene Ärzte bereits im vergangenen Jahr als chronische Unterfinanzierung beklagt hatten. Ob sich da mittlerweile etwas aus ihrer Sicht verbessert hat?

Kreisärztevertreter Fuhrer verneint, mit Bedauern: »Tendenziell verschlechtert« hat sich laut seinen Erkenntnissen die finanzielle Lage. Bei sämtlichen auf einem Protesttag vor knapp zwölf Monaten vorgelegten Forderungen der Praxen an die Politik »sind wir nicht weitergekommen«. Weder beim Thema Budgetierung noch bei der Digitalisierung oder dem Bürokratieabbau. Vor allem aber nicht in Sachen Vergütung, und das trotz der in den letzten Jahren deutlich gestiegenen Ausgaben sowie Kosten in einer Arztpraxis. Die aktuell laufenden jährlichen Verhandlungen zur Finanzierung der ambulanten Versorgung im kommenden Jahr betreffen direkt auch die Region. Denn die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der Spitzenverband der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen in Deutschland (GKV) sprechen über die Anpassung des Orientierungswertes, der maßgeblich die Preise für ärztliche und psychotherapeutische Leistungen bestimmt. Die Gesamtrechnung ist in etwa so leicht verständlich wie ein Beipackzettel, lohnt aber dennoch die Lektüre.

Was Ärzte erstattet bekommen, wird kompliziert errechnet: Vergütungsparameter sind regionale Punktewerte für Behandlungen auf der Basis des bundesweiten Orientierungswertes, über den aktuell verhandelt wird. Dazu kommen Faktoren wie eine »morbiditätsbedingte Veränderungsrate« sowie Zuschläge auf den Punktwert für besonders förderungswürdige Leistungen beziehungsweise Leistungserbringer. 70 Prozent des ärztlichen Honorars unterliegen dabei einer Mengensteuerung, die sich besser als Budgetierung begreifen lasst: Bei Überschreitung einer bestimmten Menge werden die darüberhinausgehenden Leistungen zu einem gestaffelten Preis vergütet. Patienten können sich bedanken, dass sie sich damit nicht direkt auseinandersetzen müssen – sind aber dennoch betroffen.

»Der Patientenansturm hat sich eher verschärft«

Die Zahl der Praxen schrumpft. Denn viele Mediziner seien schon in den Ruhestand gegangen, bei anderen Kollegen stehe er kurz bevor. Nachwuchskräfte scheuten aber laut Fuhrer den mit teuren Investitionen und eben auch begrenzten Gewinnaussichten verbundenen Schritt in die ärztliche Selbständigkeit. Stattdessen entstünden viele medizinische Versorgungszentren "mit angestellten Ärzten, die ihre Arbeitszeiten einhalten müssen". Der Kreisärztevorsitzende gibt sich selbst öfters einen 14-Stunden-Tag, da wollten und könnten Angestellte nicht mitmachen. »Der Patientenansturm hat sich eher verschärft«, beschreibt Fuhrer die Lage nicht nur in seiner, sondern vieler Praxen. Eine aus Sicht der Ärzte ungenügende Bezahlung dürfe deswegen nicht länger hingenommen werden.

Aktuell haben die Krankenkassen in den Verhandlungen über die Orientierungswerte eine Anhebung um 1,6 Prozent angeboten. Das liegt für jeden Laien ersichtlich weit unter der Inflationsrate sowie klar unter der Forderung der Kassenärzte nach knapp sechs Prozent mehr. Für Fuhrer ist die Gesamtlage wie eine Diagnose, die verdrängt wird. Ganz bestimmt werde es wieder Ärzteproteste geben, wenn sich nichts ändere. Er fragt sich: »Wann werden wir endlich gehört?« (GEA)