REUTLINGEN. Schon am späteren Sonntagvormittag, beim Empfang der Ehrengäste und Trachtengruppen-Vertreter im Rathaus, war Barbara Bosch zuversichtlich: Voriges Jahr, beim Landesfestzug in Ulm, sei es »kalt, windig und unfreundlich« gewesen, ließ sie die Gäste aus ganz Baden-Württemberg wissen, »bei uns in Reutlingen ist es warm, nicht windig und freundlich«. Ursache für das Bilderbuchwetter sei, so Reutlingens Oberbürgermeisterin im roten Janker mit Trachten-Look, dass »in Reutlingen anständige Leute sind und wir nur anständige Gäste eingeladen haben«.
Und so ging die Rechnung der Veranstalter dann auch auf: »Rund 50 000 Zuschauer« schätzte der städtische Pressesprecher Wolfgang Löffler, nachdem er während des Landesfestzugs die Straßen abgeschritten, die Zahl der Schaulustigen hochgerechnet und den Wetterfaktor einkalkuliert hatte - »in Ulm waren es 40 000.« Mehr als 70 Trachtengruppen und Musikkapellen aus ganz Baden-Württemberg zogen von der Gartenstraße über den Albtorplatz die Metzgerstraße hinunter und dann die Wilhelmstraße wieder hoch.
Reutlinger Loch
Allen voraus fuhren - wohl aus Sicherheitsgründen, wie gemunkelt wurde - in einer spontanen Abänderung der Zugfolge mit der Nummer 5 direkt hinter einem Polizeifahrzeug und einer dunklen Limousine des Personenschutzes Oberbürgermeisterin Barbara Bosch mit Ehemann Friedemann Kuhn und Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger nebst Freundin Friederike Beyer, in der Festkutsche des Haupt- und Landgestüts Marbach.Nach einer kleinen Lücke - der Moderator auf der Ehrentribüne am Marktplatz sprach vom »sogenannten Reutlinger Loch«, das »dem in der Stadtkasse ähnelt« - folgten dann Fahnenflaiger Thomas Walker mit der offiziellen Zugnummer 1 und zunächst die örtlichen Gruppen, darunter die Stadtgarde, der »Betzinger Hochzeitszug« des Schwäbischen Albvereins, die Trachten- und Volkstanzgruppe Ohmenhausen oder die Gönninger Samenhändler, die kleine Säckchen mit Tulpenzwiebeln unters Volk warfen. Aber auch Reutlingens Partnerstädte waren vertreten - mit Gruppen aus Aarau in der Schweiz und einer Schülergruppe aus dem ungarischen Szolnok.
Fahne weitergegeben
Dass auch ausländische Gruppen und Vereine in Reutlingen am »wunderbaren und reichhaltigen« Landesfestzug mitwirkten, bescherte ihnen abschließend einen »besonders herzlichen Gruß« des Ministerpräsidenten.Gemeinsam mit Barbara Bosch überreichte Günther Oettinger die Landesfahne an eine »schmucke Bürgermeisterriege« aus neun Gemeinden des Markgräflerlands, die 2010 Ausrichter der baden-württembergischen Heimattage sein werden. Sie gebe die Fahne mit »etwas Wehmut weiter«, so die OB, »weil wir so gerne feiern in Reutlingen«. Aber sie tue es auch gerne, weil sie wisse, »dass sie in gute Hände kommt.«
Bereits am Samstagabend trafen sich Trachten- und Volkstanzgruppen zum Brauchtumsabend auf dem Kanzleiplatz. Rund tausend Besucher ließen sich auf den Bierbänken unter den alten Kastanien nieder und erlebten einen zünftigen Abend voller Musik und Tanz aus Baden-Württemberg, der Schweiz und sogar aus dem Süden Europas. Denn auch die Reutlinger mit ausländischen Wurzeln waren eingeladen, das Programm mitzugestalten. So musizierte der Jugoslawische Club »Srebrne Zice iz Reutlingena«, während die Musikanten und Tänzer des Portugiesischen Trachtenvereins eine ebenso farbenfrohe wie temperamentvolle Einlage auf der Bühne hinlegten. Ein Heimspiel hatten auch die Tänzer der Trachtengruppe Ohmenhausen, die sich unter anderem zur Schwäbischen Mazurka drehten.
Die Vielfalt des Volkstanzes im Land dokumentierten ferner die feschen Plattler des Südwestdeutschen Gauverbands, die Tänzer des Bodenseegaus, des Südwestdeutschen Gauverbands und der Trachtenjugend Baden-Württemberg.
Einen umjubelten Auftritt hatten ferner die Sänger des Jodelklubs mit Alphornbläsern aus Aarau, die auch beim sonntäglichen Umzug immer wieder kleine Kostproben ihrer Sanges- und Blaskunst gaben. (GEA)