REUTLINGEN. E-Scooter stehen an jeder Straßenecke. Das ist vor allem dann praktisch, wenn’s in der Kneipe ein paar Bierchen mehr wurden. Also Auto stehen lassen – die Pappe ist wichtig –, und rauf auf den E-Scooter. Keine gute Idee, sagen Verkehrsexperten und Mediziner: Es ist verboten und extrem gefährlich. Weil aber diese Erkenntnis noch längst nicht bei allen E-Scooter-Fahrern angekommen ist, braucht’s Aufklärung. Beim vom Polizeipräsidium Reutlingen organisierten E-Scooter-Aktionstag gestern auf dem Marktplatz im Rahmen der landesweiten Kampagne #RIDEITRIGHT gab’s davon reichlich.
Die elektronisch angetriebenen Roller seien ein »umweltfreundliches Fortbewegungsmittel«, sagte Oberbürgermeister Thomas Keck. Im Hinblick auf die Verkehrsentwicklung seien die je nach Bauart zwischen 6 und 20 Kilometer in der Stunde schnellen Fahrzeuge eine sinnvolle Ergänzung zum ÖPNV. »Aber der richtige Umgang mit den E-Scootern will gelernt sein«, ergänzte Landrat Dr. Ulrich Fiedler. »Die Fahrer müssen ihre Grenzen kennenlernen.«
»Der richtige Umgang mit E-Scootern will gelernt sein«
Mit Inkrafttreten der Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung im Juni 2019 seien die Voraussetzungen zum Führen elektrischer Tretroller im öffentlichen Straßenverkehr geschaffen worden, sagte Hendrik Kaiser, Leiter der Prävention beim Polizeipräsidium Reutlingen. Bereits im August 2020 war die Aktion »#RIDEITRIGHT – schnell und sicher durch die Stadt. E-scootern, aber richtig!« in Stuttgart gestartet worden. Im Mittelpunkt stehen Fragen und Unsicherheiten in Bezug auf diese Fahrzeugart. Es gelte, Unfälle zu vermeiden und die Menschen zu einem sicheren Umgang mit den Rollern zu motivieren, sagte Hendrik Kaiser. Kern der Kampagne »#RIDEITRIGHT« sind sechs kurze Botschaften in Form von selbsterklärenden Piktogrammen in Signalfarben. Wenige englische Wörter ergänzen die Bildsprache, da die Elektroroller in Städten besonders häufig auch von Touristinnen und Touristen genutzt werden.
Zurzeit bieten fünf Unternehmen das Ausleihen von E-Scootern in Reutlingen an. Die Zahl der Fahrzeuge, die pro Anbieter geliehen werden können, ist begrenzt. »Jeder darf maximal 150 Fahrzeuge verleihen«, sagte Reutlingens Ordnungsamtschef Albert Keppler. In Stuttgart seien es 1 500 Fahrzeuge pro Verleiher. Sollte in Reutlingen ein sechster Anbieter vom Boom profitieren wollen, muss er sich wie seine Kollegen in der Zahl seiner Fahrzeuge beschränken. Wie viele E-Scooter aber eine Stadt verträgt, sei ein Erfahrungswert, sagte Albert Keppler. Zurzeit bestehe kein Handlungsbedarf, die Zahl der E-Scooter in Reutlingen zu beschränken.
In anderen deutschen Großstädten sieht’s offensichtlich anders aus. Der Städtetag forderte deshalb eine Obergrenze für Elektrotretroller. Wo diese wegen ihrer hohen Zahl Ärgernis und Gefahr seien, sollten die Kommunen einschreiten können. »In Reutlingen ist das noch kein Thema«, sagte Thomas Keck, der wie Ulrich Fiedler darum warb, die E-Scooter nicht mitten auf Gehwegen zu parken. Vor allem Mütter mit Kinderwagen oder Senioren mit Rollatoren müssten auf Gehwegen laufen können. »Wenn uns Beschwerden erreichen, dann hauptsächlich wegen falsch abgestellter E-Scooter«, sagte Simon Büchler vom städtischen Amt für Stadtentwicklung und Vermessung.
E-Scooter und andere Elektrokleinstfahrzeuge dürfen erst ab 14 Jahren im öffentlichen Verkehrsraum gefahren werden. Die Verleihfirmen von E-Scootern schreiben sogar ein Mindestalter von 18 Jahren vor, da vorher kein rechtlich gültiger Vertrag abgeschlossen werden kann. Ein Führerschein oder eine Prüfbescheinigung braucht’s nicht.
Mit dem E-Scooter muss auf Radwegen, Radfahrstreifen oder Fahrradstraßen gefahren werden. Wenn diese nicht vorhanden sind, muss man auf der Straße scootern. Fahren auf dem Gehweg oder in Fußgängerzonen ist verboten – es sei denn, das Zusatzzeichen »E-Scooter frei« genehmigt die Ausnahme. Mehrere Personen mit mehreren E-Scootern müssen hintereinanderfahren. Nebeneinander zu fahren ist nicht erlaubt.
Was viele nicht wissen: Es gelten dieselben Regeln und Grenzwerte wie beim Autofahren. Wer mit über 0,5 Promille fährt, begeht eine Ordnungswidrigkeit, die in der Regel 500 Euro Geldbuße, einen Monat Fahrverbot und zwei Punkte in Flensburg nach sich zieht. Wenn der Fahrer oder die Fahrerin alkoholbedingte Ausfallerscheinungen zeigen, kann bereits ab 0,3 Promille eine Straftat vorliegen – was bei über 1,1 Promille immer der Fall ist. Und wer unter 21 Jahre alt ist, darf nur mit 0,0 Promille auf den Roller. Das gilt auch für Führerscheinneulinge in der Probezeit. Dass auch andere Drogen tabu sind, versteht sich fast von selbst.
»In Reutlingen ist das noch kein Thema«
Wie gefährlich das Fahren von E-Scootern unter Alkoholeinfluss ist, haben Rechtsmediziner in einer Studie erforscht. Bereits bei mäßigem Alkoholkonsum büßten die Hälfte der Fahrer ihrer Fahrleistung ein. Die Untersuchung entstand in Zusammenarbeit der rechtsmedizinischen Institute in Düsseldorf und München.
»Überrascht hat uns die deutliche Verschlechterung der Fahrleistung auf etwa die Hälfte ab einer Alkoholisierung um 0,3 Promille«, sagten die Professoren Thomas Daldrup und Benno Hartung. Dies hänge vermutlich mit den hohen Anforderungen an den Gleichgewichtssinn zusammen, der beim Fahren der elektrisch betriebenen Tretroller den Fahrerinnen und Fahrern abverlangt werde.
In Anlehnung an eine Studie zum Fahrradfahren unter Alkoholeinfluss hatten die Forscher einen Parcours aufgebaut, den die Probanden zunächst nüchtern und dann mit fortschreitendem Alkoholpegel auf E-Scootern absolvieren mussten. »Angesichts dieser Ergebnisse sollten für E-Scooter Maßstäbe wie für Fahranfänger gelten, nämlich ein Alkoholverbot«, forderte der Bund gegen Alkohol und Drogen im Straßenverkehr, der die Studie unterstützt hatte.
Noch halten sich die Unfallzahlen in Reutlingen in Grenzen – auch wenn die Zahlen steigen. Waren es 2020 noch fünf Unfälle mit E-Scootern im Landkreis, so wurden im vergangenen Jahr bereits 21 Unfälle statistisch erfasst, 20 davon im Stadtgebiet. In 16 Fällen wurde der Unfall von den E-Scooter-Fahrern verursacht. 15 Personen wurden bei den Unfällen verletzt, drei davon schwer. In neun der 16 von E-Scooter-Fahrern verursachten Unfälle waren diese allein beteiligt, so das Polizeipräsidium Reutlingen.
Eine Studie der Universitätsklinik Essen indes hat ergeben, dass die tatsächliche Anzahl verunglückter E-Scooter-Fahrer deutlich höher zu sein scheint, als es die Zahlen des Statistischen Bundesamtes vermuten lassen. Präventive Maßnahmen könnten die Einführung einer Helmpflicht, eine höhere Anzahl von Verkehrskontrollen, Fahrsicherheitstrainings und der Ausbau von Fahrradwegen sein, so die Studie.
In Grenzen hält sich in der Region auch das »Entsorgen« der Roller im Gebüsch oder in Echaz oder Erms. Auch das sieht in anderen Städten anders aus: In Köln wurden an vier Arbeitstagen im Oktober und November des vergangenen Jahres 113 E-Scooter aus dem Rhein gefischt. Im Juni haben Taucher gar 500 auf dem Grund des Flusses entdeckt. (GEA/eg/dpa)