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60 Jahre beim Reutlinger THW dabei

Als Grünschnabel schlüpfte Erich Klocker in die blaue Uniform des Technischen Hilfswerks (THW) und trägt sie bis heute. Diese Treue ist bemerkenswert und aller Ehren wert. Weshalb der inzwischen 85-jährige Reutlinger für seine humanitären Einsätze im Landratsamt gewürdigt wird

Wird jetzt für sechszig Jahre THW-Treue ausgezeichnet: Erich Klocker.
Wird jetzt für sechszig Jahre THW-Treue ausgezeichnet: Erich Klocker.
Wird jetzt für sechszig Jahre THW-Treue ausgezeichnet: Erich Klocker.

REUTLINGEN. Sechzig Jahre Mitgliedschaft im THW. Das ist eine bemerkenswerte Hausnummer. Und zwar eine, mit der Erich Klocker als junger Bursche niemals gerechnet hätte. Dass er dem Technischen Hilfswerk tatsächlich über sechs Dekaden - davon eine halbes Jahrhundert aktiv - die Treue halten würde: Rückblickend staunt der Reutlinger selbst ein bissle darüber und freut sich von Herzen, dass er jetzt für seinen ausdauernd-ehrenamtlichen Einsatz gewürdigt wird.

Für ihn ist dies ein Grund, innezuhalten. Wie fühlen sich sechzig Jahre THW an? Klare Antwort: sehr gut. Hat Klocker sein Engagement in der Nothilfe jemals bereut? Nie! »Ich würde es jederzeit wieder tun«, sagt der Reutlinger und erinnert sich an die Anfänge.

Spontan für den Verein entflammt

Zwanzig Lenze jung war er damals, als ihn sein Kumpel Gerhard Mez eines schönen Abends zum »Zivilen Bevölkerungsschutz«, wie das Technische Hilfswerk einst hieß, mitnahm. Klocker wollte sich die Ortsgruppe mit damaligem Sitz beim Arbachbad unverbindlich anschauen. Denn das konnte ja nicht schaden und erschien hinlänglich spannend.

Jedoch: Spannend war gar kein Ausdruck! Erich Klocker entflammte spontan für den Verein. Er kam, sah - und blieb. Auch, »weil ich etwas Sinnvolles tun, mich ehrenamtlich für die Gesellschaft einbringen wollte«. Ein Gedanke, der den heute 85-Jährigen schon als Teenager umgetrieben hatte. 1964 konnte diesbezüglich Vollzug gemeldet werden.

Hochwassereinsätze unter anderem in Wannweil, Kirchentellinsfurt und Seeburg

Klocker entschied sich dafür, die sogenannte Bergungsgruppe zu verstärken. Weshalb er fortan - zu Übungszwecken und im Ernstfall - Masten erklomm und Häuser abstützte. Auch bei Hochwassereinsätzen war der ausgebildete Maler und spätere Betriebshandwerker der Spedition Willi Betz dabei, unter anderem in Wannweil, Kirchentellinsfurt und Seeburg. Er begleitete Schornsteinsprengungen; und einmal reinigte er, an einem Seil baumelnd, die Fassade von Schloss Lichtenstein - und zwar an deren dem Abgrund zugewandter Seite. Womit ultimativ bewiesen wäre, dass Erich Klocker keine Höhenangst kennt.

Auch sonst sind dem verheirateten Vater zweier Kinder und vierfachen Opa Ängste eher fremd. Was keinesfalls heißen soll, dass er ein verwegener Draufgänger oder gar ein Bruder Leichtfuß wäre. Im Gegenteil. Unnötige Risiken ging und geht der Reutlinger, dem Vorsicht und Besonnenheit treue Wegbegleiter sind, nicht ein. Umso weniger, als es ja keine Abenteuerlust ist, die Erich Klocker beflügelt(e), sondern tätige Nächstenliebe: das Bemühen in (existenzbedrohlichen) Notlagen jenen zu helfen, die sich nicht mehr selbst helfen können.

Der Reutlinger Ortsbauftragte Falk Schlipphak gratulierte Erich Klocker (links) im November 2011 zur höchsten THW-Auszeichnung:
Der Reutlinger Ortsbauftragte Falk Schlipphak gratulierte Erich Klocker (links) im November 2011 zur höchsten THW-Auszeichnung: dem Ehrenzeichen in Gold. Foto: Thomys Alexander
Der Reutlinger Ortsbauftragte Falk Schlipphak gratulierte Erich Klocker (links) im November 2011 zur höchsten THW-Auszeichnung: dem Ehrenzeichen in Gold.
Foto: Thomys Alexander

So geschehen in Reutlingen und drumherum, so geschehen außerdem auf Sizilien und in Minsk. Unvergesslich: Klockers Einsatz in Armenien. Am 7. Dezember 1988 war’s, als in der Gegend um die Kaukasus-Stadt Spitak die Erde bebte - mit verheerenden Folgen. »Weit mehr als 20.000 Menschen verloren damals ihr Leben, annähernd eine Million wurden innerhalb von neun Sekunden obdachlos. Es war katastrophal.«

Und es war das erste Mal während des Kalten Krieges, dass westliche Organisationen Helfer in die Sowjetunion schickten, um humanitäre und technische Unterstützung zu gewähren. Mit dabei: Erich Klocker und sein zu diesem Zeitpunkt 18-jähriger Sohn Dirk.

Inmitten von Trümmer- und Leichenberge, Trauer und Verzweiflung

»Wir waren fünf Mann aus Reutlingen und insgesamt etwa siebzig aus verschiedenen baden-württembergischen Ortsgruppen«, die sich am 12. Dezember 1988 per Flieger ins Krisengebiet aufmachten – mittenmang hinein in Trümmer- und Leichenberge, Trauer und Verzweiflung. Zehn Tage lang packten Vater und Sohn sowie die anderen THW’ler mit an. Zehn Tage, die ein Fotoalbum füllen.

Erich Klocker holt es hervor, erzählt beim Blättern von Kameradschaft und warmen Mahlzeiten aus der Feldküche, davon, dass das Quecksilber die Minus-Zwanzig-Grad-Marke geknackt hatte und davon, dass das russische Militär den deutschen Katastrophenhelfern »schützend und freundlich« zur Seite stand. Vom Eisernen Vorhang, so Klocker, war beim Hilfseinsatz nichts zu spüren gewesen; mitten im Grauen wurde stattdessen internationale und damit grenzüberschreitende Humanitas erlebbar.

Ob ihn die menschlichen Tragödien, die zahllosen Toten und Verletzten seelisch nicht massiv zugesetzt haben? Erich Klocker schüttelt den Kopf. Obwohl es für Ehrenämtler wie ihn Ende der Achtziger keinen professionellen psychologischen Beistand gab, hat er das Gesehene und Geschehene offenbar gut verkraftet. Wiewohl es da zumindest ein Detail gibt, das Erich Klocker nie wieder losgelassen hat.

Blutgetränkte Kleidungsstücke im Kopfkino

Er beschreibt es als Filmschnipsel im Kopfkino und meint aufgetürmte Kleidungsstücke von Erdbebenopfern, die berechenbar vor seinem inneren Auge erscheinen, wenn im Fernsehen zerbombte oder von Naturgewalten zerstörte Städte gezeigt werden. Dann, räumt er ein, ist plötzlich wieder alles sehr präsent: vor allem die teils blutgetränkten Textilien Verstorbener, in denen obdachlose Überlebende wühlen.

Ja, dieser Einsatz war belastend, aber keineswegs bis zur persönlichen Schmerzgrenze oder sogar über diese hinaus. Andernfalls hätte der jetzt 85-Jährige dem Technischen Hilfswerk nämlich den Rücken gekehrt. Hat er aber nicht, sondern an vielen weiteren Einsätzen partizipiert - seit 1995 in der Position des Reutlinger Vize-Ortsbeauftragten.

Familie und Arbeitgeber müssen mitziehen

Auch Sohn Dirk hat Armenien glücklichweise an Leib und Seele unbeschadet überstanden. Der Einsatz, entsinnt sich Erich Klocker, habe allerdings wie ein Erwachsenwerden-Beschleuniger gewirkt. Was von seiner Frau Ingrid bestätigt wird. Überhaupt ist sie es, die maßgeblich dazu beigetragen hat, dass ihr Erich THW'ler geblieben ist. Denn hätte sie ihr Veto eingelegt - es wäre auf offene Ohren gestoßen. Daran lässt der Reutlinger keinen Zweifel. »Ohne den uneingeschränkten Rückhalt meiner Frau« hätte er seine Uniform an den Nagel gehängt. »Die Familie muss mitziehen.« Ebenso wie der Arbeitgeber. Beide haben es getan. Dafür ist Erich Klocker dankbar.

Dankbar ist indes auch das THW, das den Senior, der als Grünschnabel in den blauen Ehrenämtler-Kittel schlüpfte, bereits 2011 die höchste Auszeichnung des Vereins ans Revers gesteckt hat: das Ehrenzeichen in Gold. Nun folgt eine weitere Würdigung - für sechs Jahrzehnte Mitgliedschaft. (GEA)