REUTLINGEN. Es lebt sich ganz schlecht, wenn das Blut nicht mehr gut fließt. Junge Menschen brauchen kaum darüber nachzudenken, das in ihrem Körper etwa 90.000 bis 100.000 Kilometer Gefäße dazu da sind. Dieses System besteht aus Arterien (Schlagadern), die nährstoff- und sauerstoffreiches Blut in Organe und Gewebe leiten, sowie Venen, die das verbrauchte Blut einsammeln und zurück in Herz und Lunge transportieren. Mit wachsendem Alter kann es zu immer mehr Engstellen in diesen Röhren kommen, was zwischen schmerzhaft bis lebensgefährlich wirkt. Seit 25 Jahren behandelt die Reutlinger Klinik für Gefäßchirurgie Patienten, die mit allerlei schon vom Namen her unangenehm klingenden Leiden zu kämpfen haben. In der Abteilung des Klinikums am Steinenberg können Ärzte und Pfleger durch den medizinischen Fortschritt immer besser für ein längeres und besseres Leben sorgen.
Gefeiert wird das Jubiläum in der Akademie der Kreiskliniken (Daimlerstraße 24 in Pfullingen) am Mittwoch, 2. April, ab 17 Uhr in einer öffentlichen Veranstaltung, zu der jedefrau und jedermann eingeladen sind.
Informatives Erlebnis
Zur Feier von 25 Jahren Klinik für Gefäßchirurgie veranstalten die Kreiskliniken Reutlingen ein informatives Erlebnis. Es ist öffentlich und kostenlos zu haben. Am Mittwoch, 2. April, geht es ab 17 Uhr in der Akademie der Kreiskliniken Reutlingen an der Daimlerstraße 24 in Pfullingen (gegenüber von einem Supermarkt) los. Hauptattraktionen sind ein begehbares Arterienmodell sowie gratis Untersuchungen der Halsschlagader mit Ultraschall. Physiotherapeuten zeigen Gefäßtraining live. Die leitende Oberärztin Dr. Ursula Haug erläutert Operationen anhand von echten Aufnahmen. Dazu gibt es Vorträge von Chefarzt Dr. Johann Koller und dem Freiburger Spezialisten Prof. Dr. Mario Lescan. (pr)
»Fortschritt bedeutet mehr Wahlmöglichkeiten für Arzt und Patient«, fasst Chefarzt Dr. Johann Koller die Entwicklungen des vergangenen Vierteljahrhunderts zusammen. Zum Beispiel bei der Behandlung der als »Schaufensterkrankheit« volkstümlich bekannten peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK). Das ist eine Durchblutungsstörung der Extremitäten, meistens der Beine, und ist in der Regel Folge einer Arterienverkalkung, die die Durchblutung behindert.
»Fortschritt bedeutet mehr Wahlmöglichkeiten für Arzt und Patient«
Das Leiden ist weit verbreitet, seine Häufigkeit nimmt im Alter zu. Ab 70 Jahren haben laut der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin (DGG) zwischen 15 und 20 Prozent aller Männer und Frauen – Herren sind etwas häufiger betroffen – diese Krankheit. Je nachdem wo die Arterien verengt sind, wird Gewebe bei Belastung nicht mehr ausreichend mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgt. Sehr häufig sind das die Waden, welche beim Gehen schmerzen. Damit es weniger wehtut, bleiben die Betroffenen immer wieder wie bei einem Bummel stehen – deswegen die Bezeichnung »Schaufensterkrankheit«. Irgendwann – und hoffentlich nicht zu spät – kommen solche Patienten in die Klinik für Gefäßchirurgie und können dort vom medizinischen Fortschritt der vergangenen Jahrzehnte profitieren.
Chefarzt Koller greift zu zwei Mustern von Schläuchen, um die heutigen Behandlungsmöglichkeiten greifbar zu machen. Mediziner sprechen von Bypasses oder von Ballons/Stents, um verschiedene Gefäßabschnitte zu behandeln. Ein Bypass kann aus körpereigener Vene oder einer weichen Gefäßprothese im Rahmen einer Operation angelegt werden. Ein Stent besteht meist aus einer hochflexiblen Metalllegierung und kann nach Erfordernis minimalinvasiv nach Ballonaufweitung eingesetzt werden.
Solche Wahlmöglichkeiten für eine Behandlung gab es noch nicht, als im April 2000 die große chirurgische Abteilung des Klinikums am Steinenberg aufgeteilt wurde. »Es ging darum, eigene Fachabteilungen zu haben. Man hat dadurch eine ganz andere Qualität der Versorgung«, erklärt Koller. Er selbst ist damals schon als Arzt mit dabei. Anfang 2010 folgt er als Chefarzt auf Dr. Rainer Clausnitzer. Zu Beginn hat die Klinik sechs Ärzte sowie Pflegekräfte auf mehreren Stationen. Heute behandeln neun ärztliche Köpfe, womit auch Teilzeitkräfte angesprochen sind, eine steigende Zahl von Menschen. »Wir hatten am Anfang 600 Patienten pro Jahr. Heute sind es über 800, im vergangenen Jahr 870«, rechnet Koller vor.
»Wir machen das heute mit einer minimal invasiven Prothese«
»Wenn wir früher Patienten hatten, die 70 waren, dann sind die schon alt gewesen. Heute haben wir Patienten mit 85 oder 90 Jahren«, beschreibt der Chefarzt diesen Wandel, »und häufig haben wir es dann mit komplexen Krankheitsbildern zu tun«. Auch Höchstbetagten kann heute mit modernsten Methoden geholfen werden. Die Mediziner können durch große Operationen mit Vollnarkose verursachten Belastungen häufig mit minimal invasive Eingriffe vermeiden.
»Da kann man sich die gesamten Arterien anschauen«
Koller spricht von einer ziemlich gefährlichen Erkrankung, die den Namen »Bauchaorten-Aneurysma« trägt. Man stelle sich einen Gummischlauch vor, den man zuhält und reinbläst, wodurch sich eine Wulst bildet. So ähnlich sehen krankhaft geweitete Arterien aus. Häufig ist das die Bauchschlagader. Wenn die platzt, ist höchste Eile geboten. Das Risiko daran innerlich zu verbluten ist groß. Die Behandlung einer solchen Wulst »war früher eine drei bis vierstündige Operation am offenen Bauch«, sagt Koller, »wir machen das heute mit einer minimal invasiven Stent-Prothese in 90 Minuten«. Wobei hier gelte, dass eine Operation am offenen Bauch mit Einnähen einer Gefäßprothese ihre Vorteile habe. Was für den Patienten am besten ist, werde gemeinsam mit ihm beraten. Die erste Aortenstent-Prothesen-Implantation im Jahre 2003 gehört zu den medizinischen Meilensteinen in Reutlingen. Ein Jahr später folgte mit der Premiere eines Hybrid-Eingriffes – Operation plus Aufweitung mit einem Stent – ein weiterer. 2007 verzeichnet die Chronik der Klinik die erste Halsschlagader-OP in Wachnarkose. Seit 2008 kommen eigene Ultraschallgeräte zum Einsatz. Die Diagnostik hat sich immer weiter verbessert. Mittels der Live-Bildgebung heutiger Ultraschallgeräte sehen die Ärzte mehr denn je, »da kann man die gesamten Arterien anschauen«. Natürlich haben sich auch die Röntgenuntersuchungen verbessert. Zur Geschichte der Klinik gehören Gefäßtage und das GEA-Medizinforum, denn Vorbeugung und Wissensvermittlung liegen den Medizinern am Herzen.

Erstmals lockt im Februar 2018 das GEA-Medizinforum, veranstaltet vom Reutlinger General-Anzeiger und den Kreiskliniken Reutlingen, im Rahmen der Gesundheitsmesse Reutlingen zum Thema arterielle Verschlusskrankheiten Hunderte Interessierte in die Stadthalle. Geboten wird das, was auch jetzt wieder bei der Geburtstagsfeier zu sehen und zu hören ist: Fachlich korrekte Informationen.
»Wie immer gilt auch bei der Vorsorge, Sie müssen es machen«
Schon damals appelliert Koller ans Publikum körperlich so gut wie möglich älter zu werden: »Wie immer gilt auch bei der Vorsorge, Sie müssen es machen«. Gesund leben und die Risikofaktoren vermeiden, sei die beste Methode. Was den Gefäßen gefällt, nützt und schützt den ganzen Körper: Viel Bewegung, gesunde Ernährung, kein Übergewicht, wenig Alkohol und keine Zigaretten. (GEA)