Logo
Aktuell Vertraulichkeit

Über Informantenschutz: Anonymes läuft ins Leere

Einblick in den journalistischen Alltag: Die Redaktion schützt Informanten, wenn es notwendig ist, muss ihre Identität aber kennen.

Egal ob Info oder Kritik: Zuschriften ohne Absender führen nicht weiter. FOTO: ADOBE STOCK
Egal ob Info oder Kritik: Zuschriften ohne Absender führen nicht weiter. Foto: Adobe Stock
Egal ob Info oder Kritik: Zuschriften ohne Absender führen nicht weiter.
Foto: Adobe Stock

REUTLINGEN. »Ein Beobachter« macht die Lokalredaktion auf Entwicklungen in einer großen öffentlichen Einrichtung aufmerksam, die uns seiner Meinung nach »doch sicherlich einen Artikel wert« sein sollten. Die Chance, nachzuhaken und seine Beobachtungen zu konkretisieren, verwehrt er uns jedoch – weil seine Zuschrift anonym ist, und wir nicht wissen, wie wir den Informanten kontaktieren können.

Das ist kein Einzelfall. Immer wieder weisen Leser uns per Briefpost oder direkt eingeworfenen Schreiben ohne Namensnennung und Kontaktdaten auf Vorfälle oder Missstände hin, die ihrer Meinung nach in der Zeitung beleuchtet werden sollten.

Journalisten sind Informationsvermittler und insofern auf Informanten angewiesen. Was Pressesprecher oder PR-Abteilungen verlautbaren, ist in der Regel gefiltert oder gar geschönt. Deshalb sind zusätzliche Quellen höchst willkommen: Insider, die uns etwas »stecken«, Kommunalpolitiker, die – verbotenerweise – auch einmal aus nicht öffentlichen Sitzungen plaudern. Informanten genießen im Journalismus deshalb einen besonderen Schutz: Sie können sich darauf verlassen, dass ihre Identität nicht preisgegeben wird, wenn sie dies wünschen.

Mitunter geht dieser Schutz sogar so weit, dass Redaktionen bestimmte Informationen nicht verwenden, obwohl sie ihnen vorliegen. Und zwar dann, wenn durch die Veröffentlichung die Quelle eindeutig zu identifizieren wäre. Ganz konkret heißt das: Wer sich vertraulich an den Reutlinger General-Anzeiger wendet, kann sich darauf verlassen, dass wir dieses Vertrauen nicht missbrauchen.

Aus triftigem Grund – wenn nachvollziehbar ist, dass der Informant bei Nennung seines Namens Repressalien oder andere Nachteile befürchten müsste – verzichten wir auf die sonst unerlässliche Quellen-Nennung. Dann stammt die Information eben aus den sprichwörtlich »gut informierten Kreisen« oder von jemandem, der »seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, der Redaktion aber bekannt ist«. In Einzelfällen arbeiten wir mit Pseudonymen wie Gisela F. oder Michael K. und meistens mit dem Zusatz, dass der Name »von der Redaktion geändert« wurde. Das geschieht in der Regel dann, wenn sich Menschen uns öffnen und über Krankheiten oder andere Schicksalsschläge und deren Überwindung berichten, aber dies nur tun, wenn ihr Klarname nicht veröffentlicht wird.

Voraussetzung ist jedoch, dass wir unser Gegenüber kennen oder kennenlernen und somit überprüfen oder zumindest einschätzen können, wie verlässlich die Informationen sind. Und dazu brauchen wir Kontaktdaten, einen Namen mit E-Mail-Adresse oder Telefonnummer – am besten die komplette Anschrift. Sonst laufen die Versuche, den GEA auf Missstände, Ungerechtigkeiten oder persönliche Schicksale aufmerksam zu machen, ins Leere.

Anders als in den sogenannten Sozialen Medien, wo sich die Kommentatoren hinter erfundenen Profilen verstecken und weitgehend unkontrolliert pöbeln, diffamieren oder Unwahrheiten verbreiten können, fühlen sich seriöse Medien wie der GEA an die im Pressekodex verankerte Sorgfaltspflicht gebunden. »Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben«, heißt es dort in Ziffer 2. Und weiter: »Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen.«

Von den begründeten Ausnahmen abgesehen, lautet unsere Überzeugung: Wer andere öffentlich kritisiert, sollte mit seinem Namen dazu stehen – wie Journalisten, wenn sie Kommentare schreiben. Das macht angreifbar und kann unbequem sein, dient aber dem fairen, gesellschaftlichen Diskurs. Wie es der Nachrichtenchef des GEA, Davor Cvrlje, vorigen Freitag in einem Artikel über Kommentare formulierte: »Die Tageszeitung versteht sich als Gegenmodell zu den Hasstiraden der Sozialen Medien.«

Und deshalb veröffentlichen wir auch Leserbriefe in aller Regel nur, wenn die Verfasser mit ihrem vollen Namen dazu stehen, und der Redaktion ihre komplette Anschrift bekannt ist. Auch hier folgt der GEA den Empfehlungen aus dem Pressekodex: »Es entspricht einer allgemeinen Übung, dass der Abdruck mit dem Namen des Verfassers erfolgt.« Bestehen Zweifel an der Identität des Absenders, soll auf den Abdruck verzichtet werden – die Veröffentlichung fingierter Leserbriefe ist mit der Aufgabe der Presse unvereinbar.

Auch Kritik an unserer Berichterstattung erreicht uns nicht selten anonym. Dabei würden wir, sofern sie sachlich und nicht beleidigend formuliert ist, vielleicht gerne darauf reagieren und erklären, warum wir bestimmte Dinge so und nicht anders machen. Beliebt sind Zeitungsausrisse, die bekritzelt werden – ohne Anrede, ohne Absender, ohne Anstand. Zur Nachahmung nicht empfohlen. (GEA)

 

DIE KAMPAGNE

Mit der Kampagne »Journalismus zeigt Gesicht« wollen die baden-württembergischen Zeitungsverlage auf die Bedeutung des Journalismus hinweisen und die Arbeit der Journalisten transparent machen. In der Serie beschreiben wir, wie der Alltag in der GEA-Redaktion aussieht, und erklären, nach welchen Kriterien wir arbeiten. (GEA)