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Aktuell Medien

Ein Kommentar ist keine Abrechnung

Einblick in den journalistischen Alltag. Was einen Meinungsbeitrag von Hasstiraden unterscheidet

Die GEA-Kommentare werden von anderen Medien oft zitiert.  FOTO: GEA
Die GEA-Kommentare werden von anderen Medien oft zitiert. FOTO: GEA
Die GEA-Kommentare werden von anderen Medien oft zitiert. FOTO: GEA

REUTLINGEN. Um eine oft gestellte Frage gleich zu beantworten: Nein, wir bekommen keine Anrufe, in denen uns die Richtung des Kommentars oder des Artikels vorgegeben wird. Weder von Frau Merkel noch von Ministerpräsident Kretschmann. Natürlich gibt bei einer Zeitung der Verleger die Tendenz vor. Doch das heißt nicht, dass er einen Kommentar diktiert. Journalisten genießen ein außergewöhnliches Maß an Freiheit, wie es wohl kaum ein anderer Berufsstand hat. Die besondere Stellung der Journalisten zeigt sich daran, dass ihre Unabhängigkeit explizit im Grundgesetz garantiert wird. Pressefreiheit ist ein Geschenk über das wir uns jeden Tag freuen. Diese Freiheit ist aber zugleich eine Verpflichtung, mit ihr verantwortungsvoll umzugehen. Man darf sie nicht missbrauchen.

Es ist zweifelsfrei ein Privileg, seine Meinung auf einem prominenten Platz in der Zeitung äußern zu dürfen. Wie geht man damit richtig um? Jede Zeitung hat dafür Regeln. Die Branche hat sich eine Richtschnur (Pressekodex) gegeben, was man machen darf und was nicht. Doch auch diese Regeln sind nicht unumstößlich. Sie werden durch die Diskussion zwischen Lesern und Journalisten, zwischen Presse und Gesellschaft immer wieder neu ausgehandelt. So kam es, dass die Nennung der Herkunft bei Straftätern weiter gefasst wurde.

Doch was macht eigentlich einen guten Kommentar aus? Er ist auf jeden Fall nicht einseitig, in dem Sinne, dass der Autor die Gelegenheit nutzt, um einer Partei oder einer Person so richtig die Meinung zu sagen. Überhaupt ist die eigene Betroffenheit kein Maßstab. Konkret: Keiner sollte sich etwa an der Stadt abarbeiten, weil er mit dem Auto zu schnell gefahren ist und ein Bußgeld zahlen muss. Der Wirtschaftsredakteur schreibt nicht ein Unternehmen hoch, nur weil er deren Aktien besitzt. In der Politik darf die Analyse der Energiewende nicht davon abhängig sein, ob man selber eine Fotovoltaikanlage auf dem Dach hat oder nicht. Wir nennen so etwas Berufsethos. Ein Kommentar ist kein Wutausbruch, der zu Papier gebracht wird. In einem Kommentar setzt sich der Schreiber mit dem Gegenüber und dessen Argumenten und Einwänden auseinander. Er ist eine Art fiktives Streitgespräch.

Doch ein Kommentar ist nicht allein das Abwägen von Argumenten. Am Ende muss eine klare Meinung, ein möglichst gut begründetes Urteil stehen. Das macht den Reiz und die Qualität aus. Er überzeugt nicht durch Lautstärke oder durch Polemik, sondern durch gute Argumente. Dennoch darf er Widerspruch hervorrufen. Die Leser dürfen sich am Kommentar und an seinen Argumenten reiben.

Natürlich ist jede Zeitung ein Tendenzbetrieb und steht für ein bestimmtes Meinungsbild. Doch das heißt nicht, dass es eine für immer festgefügte enge politische Linie gibt. Bei uns besticht ein Kommentar nicht dadurch, dass er die vermeintlich einzige richtige Meinung vertritt. Es geht nicht um Gesinnung und die Ausgrenzung von Menschen und Gruppen, die eine andere Ansicht haben. Das passt nicht zur Demokratie und zum Reutlinger General-Anzeiger. Wir sehen uns als Instrument für den Erhalt der Demokratie. Wir wollen zusammenführen und die Menschen dazu animieren, zuzuhören und sich sachlich über den besten Weg auseinanderzusetzen.

Die Tageszeitung versteht sich als Gegenmodell zu den Hasstiraden der sozialen Medien. Deshalb orientieren wir uns an etwas ganz Altmodischem: der Nachricht. Das klingt banal. Doch durch das Internet werden die Debatten immer schneller. Die Reaktionen überschlagen sich. Da ist es zuweilen schwer herauszufinden, wo der Kern der Geschichte liegt. Was ist Übertreibung, was Polemik, was nur Ablenkung? Und was steckt wirklich dahinter? Mit diesen Fragen setzen wir uns täglich auseinander und versuchen, Antworten zu finden.

DIE KAMPAGNE

Mit der Kampagne »Journalismus zeigt Gesicht« wollen die baden-württembergischen Zeitungsverlage auf die Bedeutung des Journalismus hinweisen und die Arbeit der Journalisten transparent machen. In der Serie beschreiben wir, wie der Alltag in der GEA-Redaktion aussieht, und erklären, nach welchen Kriterien wir arbeiten. (GEA)

Es ist genau diese Orientierung an den Fakten, also an den Nachrichten, die uns vor Fehlern bewahrt. Auch wenn manche Leser das als Mainstream-Journalismus kritisieren, weil wir über manche Themen nicht berichten. Doch die Zeitung will sich nicht zum Gehilfen von Ideologen, von Rufmordkampagnen oder von Verschwörungstheorien machen. Etwas kommentieren und bewerten kann man nur aufgrund von Fakten, nicht aufgrund von Vermutungen oder anonymen Beschuldigungen. Der Kommentar ist der Versuch, sich der Wahrheit so weit wie möglich anzunähern. Und das täglich, immer wieder aufs Neue. (GEA)